Philosophie

Sprung ins Dunkle

Kierkegaard-Denkmal in Kopenhagen Foto: dpa

Der dänische Philosoph Søren Kierkegaard (1813–1855) war mit seinen Gedanken über das Irrationale des Glaubens auch für jüdische Denker reizvoll, so Christian Wiese im Gespräch mit der Jüdischen Allgemeinen (www.juedische-allgemeine.de/article/view/id/17956). Auf dem Kongress »Jüdische Kierkegaard-Lektüren im 20. Jahrhundert« in Frankfurt habe ich mich als Referent kritischer mit dem Verhältnis Kierkegaards zum Judentum auseinandergesetzt.

Die Juden, so Kierkegaard in seinem Hauptwerk Entweder–Oder, »erlauben sich, die Münzen ein ganz klein wenig zu beschneiden«, sie »eignen sich am besten für die unanständige Tyrannei des Wuchers«, heißt es im Tagebuch; nur der Tod, schreibt er in den Stadien auf dem Lebensweg, ist »schlimmer als der blutrünstigste Jude«. »Der abstrakte Charakter der Juden zeigt sich auch durch ihre Präferenz für Geld – nicht für Liegenschaften etc.; denn Geld ist eine reine Abstraktion«, so wiederum im Tagebuch. Tradierte Verschwörungstheorien sind ihm auch nicht fremd, denn wie die Juden (im Buch Exodus) die Ägypter, also die Gäste den Wirt, ermordet haben, so werde dieses Verhältnis wohl »in unserer Zeit die Beziehung der Juden zu ganz Europa prägen«, meint Kierkegaard 1849.

Unterscheidung Seine Zeitgenossen haben seine Judenfeindschaft bezeugt. »Kopenhagen aber ist ja überall von diesen tierischen Juden voll«, beschwerte er sich. Auch nicht vor dem christlichen Lehrling eines jüdischen Buchhändlers verbarg er seine Judenfeindschaft: »Um Gottes Willen, warum arbeiten Sie bei einem Juden? Sie fahren ja alle zur Hölle ...«

Christian Wiese, der Veranstalter des Kongresses in Frankfurt, findet es aber strittig, ob solche Vorstellungen überhaupt antisemitisch sind, »denn Kierkegaards Äußerungen werden sonst vielfach im Sinne eines lutherischen Antijudaismus erklärt«.

Aber wie sind hier Antisemitismus und Antijudaismus zu unterscheiden? Kann dieser als eine rein religionskritische Haltung verstanden werden, während allein jener ein rassistisches Phänomen ist? Mir scheint der Begriff des Antijudaismus ziemlich dunkel, zudem häufig eine Verharmlosung der christlichen Judenverfolgung zu sein – zugunsten der christlichen Theologie, besonders der des Reformators Luther. Man erinnere sich bitte an dessen Hass-Schrift Von den Juden und ihren Lügen!

Christlich »Seltsamerweise spielt die Frage nach dem Antisemitismus aber bei den jüdischen Philosophen und Wissenschaftlern des 20. Jahrhundert gar keine Rolle«, kontert Wiese. Das ist aber gar nicht so seltsam, weil die meisten jüdischen Kierkegaard-Lektüren nur Lektüren von einzelnen Werken sind, besonders von Furcht und Zittern, das aber, seiner vortrefflichen Analyse der Opferung Isaaks zum Trotz, für das Gesamtwerk Kierkegaards nicht repräsentativ ist. So gibt Kierkegaard wenige Jahre später seine ursprüngliche Auffassung von Abraham als »Vater des Glaubens« auf, indem er die Prüfung des Patriarchen für »jüdisch« erklärt, weil er den Sohn schon in diesem Leben wiederbekommt. Christlich aber sei es, dass der Sohn tatsächlich geopfert wird.

Was heißt also hier jüdisch? Optimismus, Lebenslust, Genuss, Zeitlichkeit, Fertilität, Sinnlichkeit! Im Gegensatz dazu, so der spätere Kierkegaard, ist das Christliche: Pessimismus, Lebensüberdruss, Leiden, Ewigkeit, Virginität, Geistlichkeit. In seinem Werk entwickelt er ein Verständnis des Judentums als absoluter Gegensatz des Christentums.

Der vielleicht einzige jüdische Schriftsteller des 20. Jahrhundert, der das Gesamtwerk Kierkegaards gelesen hat, ist Max Brod. In seiner Schrift Heidentum – Christentum – Judentum schreibt er, dass »der Kern des jüdischen Weltgefühls nirgends so erlebt formuliert ist wie in Kierkegaards Schrift Furcht und Zittern«. In den späteren Schriften Kierkegaards hat Brod aber auch »gröbliche Missdeutungen des Judentums von der typisch christlichen Einstellung« gefunden. Man muss, Gott sei Dank, nicht unbedingt alles von Kierkegaard lesen – wie auch nicht von Luther!

Der Autor ist Verfasser der Monografie »Stadier på antisemitismens vej. Søren Kierkegaard og jøderne« (Stadien auf dem Weg des Antisemitismus. Søren Kierkegaard und die Juden).

Medien

Leon de Winter wird Kolumnist bei der »Welt«

Bekannt wurde er vor mehr als 30 Jahren mit Romanen wie »Hoffmanns Hunger«. Jetzt will der niederländische Autor Leon de Winter in Deutschland vermehrt als Kolumnist von sich hören lassen

von Christoph Driessen  29.04.2025

Fernsehen

»Persischstunden«: Wie eine erfundene Sprache einen Juden rettet

Das Drama auf Arte erzählt von einem jüdischen Belgier, der im KZ als angeblicher Perser einen SS-Mann in Farsi unterrichten soll. Dabei kann er die Sprache gar nicht

von Michael Ranze  29.04.2025

Fernsehen

»Mord auf dem Inka-Pfad«: War der israelische Ehemann der Täter?

Es ist einer der ungewöhnlichsten Fälle der deutschen Kriminalgeschichte. Die ARD packt das Geschehen in einen sehenswerten True-Crime-Vierteiler

von Ute Wessels  29.04.2025

Berlin

Antisemitismusbeauftragter für alle Hochschulen soll kommen

Details würden derzeit noch im Senat besprochen, sagte Wissenschaftssenatorin Ina Czyborra

 29.04.2025

Jerusalem

Seltenes antikes Steinkapitell wird in Israel ausgestellt

Ein Fund aus dem Jahr 2020 gibt israelischen Archäologen Rätsel auf. Die Besonderheit des Steinkapitells aus römischer Zeit: Es ist mit einem mehrarmigen Leuchter - im Judentum Menorah genannt - verziert

 29.04.2025

Berlin

Jüdisches Museum erforscht Audio-Archiv von »Shoah«-Regisseur

Claude Lanzmann hat mit seiner epochalen Dokumentation »Shoah« Geschichte geschrieben. Das Jüdische Museum Berlin nimmt ein Doppeljubiläum zum Anlass, um das umfangreiche Recherchematerial des Regisseurs zu erschließen

von Alexander Riedel  29.04.2025

Köln

»Charlie Hebdo«-Überlebender stellt Comic zu NS-Raubkunst vor

»Zwei Halbakte« heißt ein 1919 entstandenes Gemälde von Otto Mueller. Die Geschichte des Kunstwerks hat der französische Zeichner Luz als Graphic Novel aufgearbeitet. Mit teils sehr persönlichen Zugängen

von Joachim Heinz  28.04.2025

Berlin

»Eine Zierde der Stadt«

Es ist einer der wichtigsten Orte jüdischen Lebens in Deutschland: Vor 30 Jahren wurde das Centrum Judaicum im denkmalgeschützten Gebäude der Neuen Synagoge in der Oranienburger Straße in Berlin-Mitte eingeweiht

 28.04.2025

Paris

»Bambi«-Neuverfilmung: Nah an Felix Saltens Original

Ganz ohne Spezialeffekte und Animation: In Michel Fesslers »Bambi«-Neuauflage stehen echte Tiere vor der Kamera. Das Buch wurde einst von den Nazis verboten

von Sabine Glaubitz  28.04.2025