Kino

»Schau mir in die Augen, Kleines«

»Rick’s Café« ist ein Treffpunkt der Emigranten im noch von den Nazis unbesetzten Marokko: Filmszene mit Humphrey Bogart und Ingrid Bergman Foto: dpa

Filme werden zu Kultfilmen, wenn sie etwas bieten, was jede Generation von Zuschauern fasziniert – eine universale Geschichte oder einen unverwechselbaren Charakter. Casablanca mit Humphrey Bogart und Ingrid Bergman bietet von alledem mehr als genug: Es ist ein Melodram über die große Liebe in Zeiten des Krieges, aber auch eine Parabel über Heldentum und Widerstand.

Im Mittelpunkt steht nicht nur eine Dreiecksgeschichte, sondern auch ein Zyniker und desillusionierter Abenteurer – die ambivalenten Charaktere sind im Kino immer die interessanteren. Uraufgeführt wurde Casablanca am 26. November 1942 in New York, mitten im Zweiten Weltkrieg.

bürgerkrieg Humphrey Bogart spielt den Barbesitzer und Amerikaner Rick Blain, der in Casablanca sein »Café Americain« betreibt. Er ist ein ehemaliger Schmuggler, dessen Herz aber auch politisch auf dem rechten Fleck schlägt: Im Spanischen Bürgerkrieg kämpfte er auf der Seite der Republik gegen Franco. Für Bogart sollte dieser Film einen Karriereschub bedeuten.

Rick’s Café ist ein Treffpunkt der Emigranten im noch von den Nazis unbesetzten Marokko. Eines Tages treffen dort der tschechische Widerstandskämpfer Victor Laszlo (Paul Henreid) und seine norwegische Frau Ilsa Lund (Ingrid Bergman) ein, auf der Suche nach Visa für die USA.

Mit Ilsa Lund verbindet Rick eine leidenschaftliche Affäre, in Paris, kurz vor der Besetzung durch die Deutschen. Und es gehört ein Lied dazu: »As Time Goes By«, gespielt vom Barpianisten Sam (»Spiel es, Sam«). Im Café verkehren auch der opportunistische und korrupte Polizeichef Capitaine Renault (Claude Rains), der Transitpapiere gegen Geld oder Sex vergibt, und der deutsche Major Strasser (Conrad Veidt), den die Nazis in die französische Kolonie geschickt haben.

flucht Heute, wenn wieder von einer »Flüchtlingskrise« die Rede ist, erinnert der Film des ungarischstämmigen Juden Michael Curtiz daran, dass es eine Zeit gab, als auch verfolgte Deutsche auf Hilfe in anderen Ländern angewiesen waren. Rund eine halbe Million Menschen, so schätzt man, haben zwischen 1933 und 1945 per Flucht den Nazis den Rücken gekehrt, Regimegegner und Juden. Schon in seinem Anfang zeichnet der Film mit einer Landkarte die Fluchtroute der Emigranten nach, durch Frankreich, über das Meer und dann über Land nach Casablanca.

Es macht den Charme von Casablanca aus, dass er sehr viele Rollen mit den Verfemten des Nazi-Regimes besetzte: Der Österreicher Paul Henreid etwa war nach dem sogenannten »Anschluss« an Hitlerdeutschland geflohen und wurde in Hollywood populär. Conradt Veidt war schon in der Stummfilmzeit in Deutschland ein großer Star und floh wegen seiner jüdischen Frau vor den Nazis. Und Peter Lorre, auch ein Österreicher, der in dem Film einen Schwarzmarkthändler spielt, reüssierte in Fritz Langs Klassiker M.

Bis in die kleinsten Nebenrollen war dieser Film mit Emigranten besetzt. Ilka Grüning und Ludwig Stössl spielen ein älteres Ehepaar, das sich auf seine Zeit in den USA vorbereitet: »Liebchen, äh, Sweetness-Heart, what watch?«, fragt der ältere Herr seine Frau, »was hat die Uhr?«. Und sie: »Ten watch«. Darauf er: »Such much?«

Résistance Casablanca, entstanden ein Jahr nach Pearl Harbor und dem Kriegseintritt der USA, macht unverhohlen Front gegen die Nazis. Einmal singen die Deutschen die »Wacht am Rhein«, und Laszlo lässt die französische Nationalhymne »Marseillaise« anstimmen. Da singen sie dann alle mit, die Verfemten und Verfolgten, die Menschen im Transitzustand mit Tränen in den Augen. Und Rick wird sich am Ende für die gute Sache entscheiden, für die französischen Widerständler der Résistance.

1943 erhielt Casablanca – mit einer Million Dollar Produktionskosten übrigens eine Billigproduktion – den Oscar als bester Film. Er gehört zu den rund 180 Antinazi-Filmen, die Hollywood herstellte. Von diesem Geist war nichts zu spüren, als der Film 1952 in die deutschen Kinos kam. Der Verleih hatte ihn um 25 Minuten gekürzt und alle Verweise auf den Zweiten Weltkrieg und die Naziherrschaft getilgt – eine im Nachkriegsdeutschland nicht unübliche Praxis. Jetzt ging es um einen ungeklärten Mordfall.

Erst 1975 begann der Siegeszug von Casablanca in Deutschland – durch eine neu synchronisierte und ungekürzte, vom Fernsehen ausgestrahlte Fassung, die auch zum Standardrepertoire der damals neu entstandenen Programmkinos gehörte.

Zahl der Woche

2 Jahre

Fun Facts und Wissenswertes

 03.12.2025

Meinung

Gratulation!

Warum die Ehrung der ARD-Israelkorrespondentin Sophie von der Tann mit dem renommierten Hanns-Joachim-Friedrichs-Preis nicht nur grundfalsch, sondern auch aberwitzig ist

von Lorenz Beckhardt  03.12.2025 Aktualisiert

Medien

»Antisemitische Narrative«: Vereine üben scharfe Kritik an Preis für Sophie von der Tann

Die Tel-Aviv-Korrespondentin der ARD soll mit dem Hanns-Joachim-Friedrichs-Preis geehrt werden

 03.12.2025

Chemnitz

Sachsen feiert »Jahr der jüdischen Kultur«

Ein ganzes Jahr lang soll in Sachsen jüdische Geschichte und Kultur präsentiert werden. Eigens für die Eröffnung des Themenjahres wurde im Erzgebirge ein Chanukka-Leuchter gefertigt

 03.12.2025

TV-Tipp

»Fargo«: Spannend-komischer Thriller-Klassiker der Coen-Brüder

Joel und Ethan Coen erhielten 1997 den Oscar für das beste Originaldrehbuch

von Jan Lehr  03.12.2025

Programm

Termine und TV-Tipps

Termine und Tipps für den Zeitraum vom 4. Dezember bis zum 10. Dezember

 03.12.2025

TV-Kritik

Allzu glatt

»Denken ist gefährlich«, so heißt eine neue Doku über Hannah Arendt auf Deutsch. Aber Fernsehen, könnte man ergänzen, macht es bequem - zu bequem. Der Film erklärt mehr als dass er zu begeistern vermag

von Ulrich Kriest  02.12.2025

Streaming

Gepflegter Eskapismus

In der Serie »Call my Agent Berlin« nimmt sich die Filmbranche selbst auf die Schippe – mit prominenter Besetzung

von Katrin Richter  02.12.2025

Jean Radvanyi

»Anna Seghers war für mich ›Tschibi‹«

Ein Gespräch mit dem Historiker über die Liebesbriefe seiner Großeltern, Kosenamen und hochaktuelle Texte

von Katrin Richter  02.12.2025