Terrorismus

Sagen Sie das K-Wort!

Französische Sicherheitskräfte stürmen nach den Anschlägen in Paris am vergangenen Freitag das Café Carillon, in dem die Attentäter mutmaßlich 14 Menschen ermordeten. Foto: Reuters

Man sei im Krieg, hat Frankreichs Staatspräsident François Hollande nach dem islamistischen Massaker vom vorigen Freitag gesagt, das mindestens 132 Menschen das Leben gekostet hat. Von Krieg hatte schon 14 Jahre davor, am 11. September 2001, George W. Bush gesprochen und war für diesen Begriff heftig kritisiert oder lächerlich gemacht worden. Inzwischen redet sogar der Papst von einem »Dritten Weltkrieg«.

Es ist ein Krieg, der sich gegen die Zivilbevölkerung des Westens richtet. Im Visier sind sogenannte weiche Ziele, die wenig geschützt sind (und auch nur schlecht geschützt werden können) und deshalb bei vergleichsweise geringem Aufwand der Täter ein Maximum an Opfern ermöglichen: Bürogebäude wie das World Trade Center in New York 2001 (mehr als 2900 Tote), Personenzüge wie in Madrid 2004 (191 Tote, fast 2000 zum Teil schwer Verletzte), U-Bahnen wie in London 2005 (52 Tote, über 700 Verletzte) und jetzt Paris, wo unter anderem Restaurants und ein Konzertsaal angegriffen wurden.

Nicht zu vergessen Israel, das allein seit Anfang dieses Jahrhunderts rund 1000 zivile Tote zu beklagen hat, von Anschlägen auf Busse, Marktplätze oder Diskotheken während der sogenannten Zweiten Intifada zwischen 2000 und 2005 bis zu der gegenwärtigen Terrorwelle, die bislang 15 Tote und mehr als 80 Verletzte gefordert hat. Anders als bei den Attacken von New York, Madrid, London und jetzt Paris war – und ist – allerdings bei den Anschlägen in Israel von weltweitem Aufschrei und internationaler Solidarität wenig zu hören.

Verleugnung Im Frieden können Zivilisten davon ausgehen, dass sie dort, wo sie leben, ihren alltäglichen Verrichtungen – Einkaufen, Arbeiten, Ausgehen – ohne Angst um Leib und Leben nachgehen können. Natürlich kommen immer wieder Verbrechen oder Unfälle vor. Aber das sind Ausnahmen von der Regel. Diese Regel des gesellschaftlichen Urvertrauens ist durch den islamistischen Terror außer Kraft gesetzt. Jederzeit und überall kann jetzt der Tod drohen. Das Risiko zu sterben, ist zur Norm geworden. Das ist die Definition des Krieges. Und den haben wir jetzt.

Wenn dennoch auch nach den jüngsten Attacken viele das Wort Krieg nicht in den Mund nehmen wollen, ja, den Begriff vehement ablehnen, ist das psychologisch zunächst nachvollziehbar. Krieg bedeutet den Verlust elementarer existenzieller Sicherheit. Krieg heißt Angst. Diese Angst zu verleugnen, schafft wenigstens das Gefühl von Sicherheit, die Illusion, dass alles nicht so schlimm ist. Es sind ja nur Einzelaktionen von Durchgeknallten, heißt es dann, oder: Die Zahl der Verkehrstoten pro Jahr ist um ein Vielfaches höher als die der Terroropfer.

Derartige (Selbst-)Beschwichtigungen dienen auch und vor allem dazu, sich vor der Konsequenz des Terrors zu drücken: Nämlich ihn aktiv zu bekämpfen. Stattdessen verlegt man sich auf vermeintliche Ursachenforschung. Auf jeden Anschlag folgen fast rituell die Wortmeldungen selbsternannter »Besonnener«, die fordern, die eigentlichen, tieferen Wurzeln des Terrorismus anzugehen. Diese sind dann – je nach Gusto – die Armut in der Dritten Welt, die soziale Ausgrenzung muslimischer Jugendlicher, das Patriarchat, die Klimakatastrophe – und natürlich immer wieder der israelisch-palästinensische Konflikt, bekanntlich die Wurzel allen Übels im Nahen Osten, wenn nicht auf der ganzen Welt.

Apologetik Solche Erklärungsversuche haben nicht zufällig etwas Relativierendes, ja Entschuldigendes an sich. Sie erinnern an Plädoyers von Anwälten, die versuchen, die Verbrechen ihrer Mandanten mit deren schwerer Jugend oder den gesellschaftlichen Umständen im Allgemeinen kleinzureden. Oder es wird gleich dem Opfer die eigentliche Schuld zugewiesen, das durch sein Verhalten die Tat erst provoziert habe: Hätte die Frau nicht einen derart kurzen Rock getragen, wäre der Vergewaltiger nicht sexuell stimuliert worden.

Ähnlich argumentieren die »Ursachenforscher« des Terrorismus. Manche, weil sie so, siehe oben, die brutale Wirklichkeit auch vor sich selbst zu leugnen versuchen. Andere kommen aus der – ob rechten oder linken – antiwestlichen politischen Ecke. Ihre Empathie gilt spürbar den Tätern, denen sie in ihrer ideologischen Ablehnung der liberalen marktwirtschaftlichen Demokratie näherstehen als ihrer eigenen Gesellschaft und deren ermordeten Angehörigen.

Das Gerede von den »eigentlichen Ursachen« des Terrorismus ist aber nicht nur moralisch und politisch dubios. Es entbehrt auch der Logik. Allein die Vielzahl der angeführten vorgeblichen Wurzeln zeigt, dass es sich im besten Fall um reine Mutmaßungen handelt. Meist sind es ideologisch basierte willkürliche Pseudoerklärungen. Einen direkten, widerspruchsfreien kausalen Zusammenhang zwischen den jeweiligen Lieblingsübeln und den mörderischen Aktionen von Terroristen hat bislang noch keiner der Apologeten nachweisen können.

Logik Tatsächlich allerdings gibt es eine einfache Ursachenerklärung für den Terrorismus. Folgt man der heuristischen Lex parsimoniae – auch als Ockhams Rasiermesser bekannt –, wonach von mehreren möglichen Erklärungen für ein und denselben Sachverhalt die einfachste Theorie allen anderen vorzuziehen ist, ist der wesentliche Grund des Terrorismus zunächst der Terrorist selbst.

Er ist es, der die Bombe zündet, mit Maschinenpistolen auf wehrlose Menschen schießt oder ahnungslose Passanten niedersticht. Ihn gilt es an allererster Stelle an seinem mörderischen Tun zu hindern, ob defensiv durch Ausbau der Sicherheitsvorkehrungen oder offensiv durch militärische Ausschaltung. Das nennt sich Krieg. In dem befinden wir uns zweifelsfrei. Jetzt gilt es, ihn zu gewinnen.

Marko Dinić

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