Nachruf

»Nichts mit Literatur«

Andrew Ranicki sel. A. (1948–2018) Foto: Uwe Steinert

Der Mathematiker Andrew Ranicki ist in der Nacht vom 20. zum 21. Februar im schottischen Edinburgh im Alter von 69 Jahren verstorben. Seine Tochter Carla Ranicki teilte mit, dass er seit einiger Zeit an Leukämie gelitten hatte. Andrew Ranicki war der Sohn des Literaturkritikers Marcel Reich-Ranicki und der Künstlerin und Übersetzerin Teofila Reich-Ranicki.

Andrew Ranicki wurde 1948 in London als Andrzej Aleksander Ranicki geboren. Er wuchs in Warschau, Frankfurt am Main und Hamburg auf und studierte in den Vereinigten Staaten und Großbritannien Mathematik. An der Universität Cambridge studierte er unter anderem bei den Topologen Andrew Casson und John Frank Adams. 1973 promovierte er in Cambridge über die algebraische L-Theorie und war anschließend Research Fellow am Cambridger Trinity College sowie Gastforscher am französischen Institut des Hautes Études Scientifiques in Bures-sur-Yvette.

Geometrie Von 1977 bis 1982 lehrte und forschte Andrew Ranicki in Princeton im US-Bundesstaat New Jersey, zuletzt als Assistenzprofessor, bevor er 1982 an die Universität Edinburgh in Schottland wechselte, wo er seit 1995 Lehrstuhlinhaber für Algebraische Chirurgie war. 2016 wurde er emeritiert, blieb aber weiterhin Honorarprofessor. Von 1988 bis 2015 war er außerdem Redakteur der Fachzeitschrift »Forum Mathematicum«.

Ranickis Spezialgebiete waren Topologie und Geometrie. 1992 wurde er Fellow der Royal Society of Edinburgh. Mehrfach war er auch Gastwissenschaftler am Max-Planck-Institut für Mathematik in Bonn. Zu den mathematischen Fachbüchern, die er verfasste, zählten unter anderem Algebraic L-Theory and Topological Manifolds (Cambridge University Press 1992), High-dimensional Knot Theory (Springer 1998) und Algebraic and Geometric Surgery (Oxford University Press 2002).

Holocaust Nach dem Tod seiner Eltern in den Jahren 2011 beziehungsweise 2013 beschäftigte Andrew Ranicki sich zunehmend mit der Vergangenheit seiner Familie. In einem Gespräch mit der Jüdischen Allgemeinen im Jahr 2014 sagte Ranicki, dass seine Eltern mit ihm nicht oft über das Thema Holocaust gesprochen haben. Er erinnerte sich jedoch: »Als meine Mutter einmal mit mir durch Warschau ging, sagte sie: Hier war früher das Ghetto. Hier haben dein Vater und ich überlebt. Da war ich gerade einmal acht Jahre alt.«

Über seinen verstorbenen Vater Marcel Reich-Ranicki sagte er damals: »Ich hätte in den 70er-Jahren öfters mit meinem Vater über seine Erlebnisse während der Schoa sprechen sollen. Da war ich Student in Großbritannien und dann Professor in den USA. Generell hätte ich ihn vielleicht öfter darauf ansprechen sollen. ... Später, in den 90er-Jahren, habe ich öfter Fragen gestellt. Meine Mutter und ich ermutigten ihn in dieser Zeit, seine Erinnerungen aufzuschreiben, und seine Autobiografie Mein Leben ist auch uns beiden gewidmet.«

Bücher Gefragt, wie er es geschafft habe, sich aus dem Schatten seines berühmten Vaters zu befreien, sagte Andrew Ranicki ein Jahr später, wiederum im Gespräch mit der Jüdischen Allgemeinen: »Es hat geholfen, dass ich – womöglich unbewusst – einen Beruf ergriffen habe, der nichts mit Literatur zu tun hat. Als Mathematiker habe ich ja Bücher geschrieben, die mein Vater nicht verstand.«

Andrew Ranicki war seit 1979 mit der Paläontologin Ida Thompson verheiratet. Sein Enkel Nico Marcel wurde 2015 geboren. iw/ppe

Fernsehen

»Mord auf dem Inka-Pfad«: War der israelische Ehemann der Täter?

Es ist einer der ungewöhnlichsten Fälle der deutschen Kriminalgeschichte. Die ARD packt das Geschehen nun in einen sehenswerten True-Crime-Vierteiler

von Ute Wessels  30.04.2025

Sehen!

»Der Meister und Margarita«

In Russland war sie ein großer Erfolg – jetzt läuft Michael Lockshins Literaturverfllmung auch in Deutschland an

von Barbara Schweizerhof  30.04.2025

20 Jahre Holocaust-Mahnmal

Tausende Stelen zur Erinnerung - mitten in Berlin

Selfies auf Stelen, Toben in den Gängen, Risse im Beton - aber auch andächtige Stille beim Betreten des Denkmals. Regelmäßig sorgt das Holocaust-Mahnmal für Diskussionen. Das war schon so, bevor es überhaupt stand

von Niklas Hesselmann  30.04.2025

Medien

Leon de Winter wird Kolumnist bei der »Welt«

Bekannt wurde er vor mehr als 30 Jahren mit Romanen wie »Hoffmanns Hunger«. Jetzt will der niederländische Autor Leon de Winter in Deutschland vermehrt als Kolumnist von sich hören lassen

von Christoph Driessen  29.04.2025

Fernsehen

»Persischstunden«: Wie eine erfundene Sprache einen Juden rettet

Das Drama auf Arte erzählt von einem jüdischen Belgier, der im KZ als angeblicher Perser einen SS-Mann in Farsi unterrichten soll. Dabei kann er die Sprache gar nicht

von Michael Ranze  29.04.2025

Berlin

Antisemitismusbeauftragter für alle Hochschulen soll kommen

Details würden derzeit noch im Senat besprochen, sagte Wissenschaftssenatorin Ina Czyborra

 29.04.2025

Jerusalem

Seltenes antikes Steinkapitell wird in Israel ausgestellt

Ein Fund aus dem Jahr 2020 gibt israelischen Archäologen Rätsel auf. Die Besonderheit des Steinkapitells aus römischer Zeit: Es ist mit einem mehrarmigen Leuchter - im Judentum Menorah genannt - verziert

 29.04.2025

Berlin

Jüdisches Museum erforscht Audio-Archiv von »Shoah«-Regisseur

Claude Lanzmann hat mit seiner epochalen Dokumentation »Shoah« Geschichte geschrieben. Das Jüdische Museum Berlin nimmt ein Doppeljubiläum zum Anlass, um das umfangreiche Recherchematerial des Regisseurs zu erschließen

von Alexander Riedel  29.04.2025

Köln

»Charlie Hebdo«-Überlebender stellt Comic zu NS-Raubkunst vor

»Zwei Halbakte« heißt ein 1919 entstandenes Gemälde von Otto Mueller. Die Geschichte des Kunstwerks hat der französische Zeichner Luz als Graphic Novel aufgearbeitet. Mit teils sehr persönlichen Zugängen

von Joachim Heinz  28.04.2025