Der Regisseur Christian Stückl sieht sich nach eigenen Worten Anfeindungen durch Antisemiten ausgesetzt. Der langjährige Leiter der Passionsspiele im oberbayerischen Oberammergau sagte der »Augsburger Allgemeinen« (Wochenende): »Ich bin jahrelang dafür gelobt worden, was ich gegen den Antisemitismus in der Passion gemacht habe. Jetzt werde ich gerade eher angefeindet deswegen und die Leute sagen ›Na wie geht es Dir jetzt, Judenfreund?‹, weil sie den Antisemitismus mit den Vorgängen in Israel in Verbindung bringen. Natürlich ist da im Moment nicht viel in Ordnung, auf beiden Seiten nicht. Aber man spürt, da sind so viele offene Fragen.«
Im Hinblick auf künftige Inszenierungen der Passionsgeschichte ergänzte Stückl, er habe das Gefühl, »dass der Abstand von dem, was wir von Jesus erzählen, und der Kirche noch einmal um einiges größer geworden ist. Vor zehn Jahren habe ich mich über Kirche noch aufgeregt, richtig aufgeregt, und jetzt merke ich, sie ist mir wurscht. Sie ist weder sozial noch moralisch ein Vorbild für uns. Wie kriegt man also die Geschichte noch mal so erzählt, dass die Leute nicht das Gefühl haben, wir sind Religionslehrer auf der Bühne - das ist die große Herausforderung, auch wie wir die jungen Leute erreichen.«
»Wir haben nicht die Kraft, die Welt zu verändern«
Zur gesellschaftlichen Rolle des Theaters erklärte der Künstler: »Wir haben nicht die Kraft die Welt zu verändern, auch wenn man während Corona immer von der Systemrelevanz gesprochen hat. Wir haben vielleicht die Kraft, Diskussionen anzuregen und in bestimmte Richtungen zu lenken, Dinge aufzureißen, die andere lieber verschlossen halten, weil auf der Bühne mehr passieren darf als im realen Leben. Aber wir sind genauso hilflos wie der Hofnarr, der zwar alles sagen darf, aber am Ende nicht gehört wird.«
»Wir haben über den Klimawandel, über Antisemitismus, über Kriege zu reden und machen es zu wenig.«
Er habe auch das Gefühl, dass das Bühnenspiel immer mehr ins Private rutsche, so der Regisseur. »Das hängt damit zusammen, dass die Welt so unheimlich kompliziert geworden ist, wir sie aber auch kompliziert machen. Wenn bei der Genderdiskussion über Toiletten gesprochen wird, dann denke ich mir manchmal, dann hängt halt einfach ein Papperl hin, dass alle da hindürfen, wir haben doch wichtigere Themen zu besprechen. Ich habe das Gefühl, dass alle eher der Schwierigkeit der Welt aus dem Weg gehen.«
Stückl mahnte: »Im Augenblick werden gerade viel zu wenig neue Stücke geschrieben. Wir haben über den Klimawandel, über Antisemitismus, über Kriege zu reden und machen es zu wenig. Da liegt eigentlich unsere Aufgabe, wenn wir Relevanz für die Gesellschaft haben wollen.« kna