Bei den 78. Internationalen Filmfestspielen in Cannes, die am vergangenen Wochenende zu Ende gingen, war jüdisches Leben nicht allzu präsent auf der Leinwand. Zumal nicht im Hauptwettbewerb, in dem die Jury – zu der neben der Vorsitzenden Juliette Binoche auch der jüdische US-Schauspieler und Succession-Star Jeremy Strong gehörte – die Goldene Palme am Ende an den iranischen Regisseur Jafar Panahi und seinen heimlich gedrehten, regimekritischen Film It Was Just An Accident vergaben.
Zwar konkurrierte auch Ari Aster um die Palme, doch der New Yorker Regisseur hat in seinen Filmen bislang noch selten sein Jüdischsein auf inhaltlicher Ebene verhandelt. Eddington (ab 17. Juli im Kino) stellt da nun keine Ausnahme dar.
Die 2020 im Bürgermeisterwahlkampf einer fiktiven Kleinstadt in New Mexico spielende Mischung aus Covid-Satire und Action-Western beschäftigt sich vielmehr von Verschwörungstheorien über Gen Z-Protestbewegungen bis hin zur Radikalisierung und Spaltung der Gesellschaft mit einer Vielzahl von Themen – und das derart plump, wenig erhellend und mittels durch die Bank unangenehmer Figuren, dass sich vor allem Frustration einstellt. Da konnte auch die prominente Besetzung mit Joaquin Phoenix, Emma Stone, Pedro Pascal und Austin Butler nicht viel ausrichten.
»Ich bin nicht sonderlich gut darin, mich selbst psychologisch zu analysieren«, sagte Aster im Interview auf die Frage, ob er dennoch das Gefühl habe, seine jüdische Identität beeinflusse seine künstlerische Arbeit. »Aber ich denke die Tatsache, dass alle meine Filme ziemlich neurotisch sind und im Grunde von Phobien aller Art erzählen, ist ziemlich jüdisch, oder? Zumindest haben sie das mit mir selbst gemeinsam.«
»Vie Privée« von Rebecca Zlotowski vermischt Privatermittlungen mit Psychoanalyse, Humor mit Krimi-Elementen und Familiendrama – und macht bei alledem sehr viel Spaß.
Außer Konkurrenz lief derweil Vie Privée, der neue Film der französischen Regisseurin Rebecca Zlotowski, die anders als Aster immer wieder ihre Religion und ihre Wurzeln in ihre Werke integriert. Dieses Mal ist ihr ein besonderer Coup gelungen, konnte sie doch niemand anderen als Jodie Foster überzeugen, hier erstmal eine französischsprachige Hauptrolle zu übernehmen. Die Doppel-Oscar-Gewinnerin spielt die Psychiaterin Liliane Steiner, Amerikanerin in Paris, die nach dem Suizid einer Patientin falsches Spiel wittert und mit Nachforschungen beginnt.
Vie Privée vermischt Privatermittlungen à la »Mord ist ihr Hobby« mit Psychoanalyse, Humor mit Krimi-Elementen und Familiendrama und macht bei alledem sehr viel Spaß.
Zlotkowskis Vater Michel hat einen Gastauftritt als Rabbi
Das Jüdische ist dabei enorm präsent, weniger wegen Steiner, ihrem Ex-Mann (Daniel Auteuil) und dem erwachsenen Sohn (Vincent Lacoste), für die weder der Glauben noch kulturelle Bräuche noch eine Rolle spielen. Aber umso mehr durch die Familie der Toten, deren Ehemann Simon Cohen-Solal vom jüdischen Schauspieler Mathieu Amalric verkörpert wird. Und Zlotkowskis eigener Vater Michel hat nicht zum ersten Mal einen Gastauftritt, dieses Mal als Rabbi.
Auch Scarlett Johansson, deren Urgroßeltern mütterlicherseits aus Polen in die USA eingewandert waren, ließ sich in Cannes von ihren jüdischen Wurzeln inspirieren, wenn auch nicht unbedingt auf autobiografische Weise. Die Schauspielerin legt mit Eleanor the Great ihr Regiedebüt vor und erzählt darin von der rüstigen jüdischen Rentnerin Eleanor Morgenstern (June Squibb), die nach dem Tod ihrer besten Freundin Bessie aus Florida zurück nach New York zu ihrer Tochter Lisa (Jessica Hecht aus Friends) zieht.
Durch eine Verwechselung einerseits und aus Trauer und Einsamkeit andererseits sitzt Eleanor plötzlich im Jewish Community Center in einer Selbsthilfegruppe für Holocaust-Überlebende und gibt Bessies Erinnerungen als ihre eigenen aus. Als die aufstrebende Journalistin Nina (Erin Kellyman) Eleanor ins Zentrum einer Reportage stellen will, wird die Geschichte immer größer und die Lüge lässt sich nicht mehr ohne weiteres zurücknehmen.
Sarletts Johanssons Feelgood-Komödie funktioniert nicht zuletzt dank der 94-jährigen Hauptdarstellerin, die in den 50er-Jahren zum Judentum konvertierte.
Johansson macht aus der durchaus abgründigen Prämisse (das Drehbuch stammt von Tory Kamen) vor allem eine Feelgood-Komödie. Das ist prinzipiell nicht fragwürdig und funktioniert sogar über weite Strecken ziemlich gut, nicht zuletzt dank der wirklich wunderbaren, mittlerweile 94-jährigen Hauptdarstellerin, die in den 50er-Jahren zum Judentum konvertierte.
Eine eigene Regie-Handschrift entwickelt Johansson allerdings nie, und insgesamt ist Eleanor the Great doch arg kitschig und vorhersehbar geraten. Zumindest im Kontext der cineastisch sonst eher mutigen und anspruchsvollen Nebenreihe Un Certain Regard (deren Hauptpreis übrigens an Once Upon a Time in Gaza der palästinensischen Zwillinge Tarzan und Arab Nasser ging) fiel der Film etwas aus dem Rahmen.
Mit Nadav Lapid war auch ein israelischer Regisseur vertreten
Apropos Nebenreihen: mit Nadav Lapid war auch ein israelischer Regisseur in Cannes vertreten, wenn auch in der Sektion Quinzaine des Cinéastes, die nicht zum offiziellen Programm der Festspiele gehört. Yes!, der neue Film des Berlinale-Gewinners von 2019, handelt von einem Jazz-Musiker, der nach den Hamas-Angriffen vom 7. Oktober eine Nationalhymne komponieren soll.
Der unter anderem von der Berliner Firma Komplizen Film mitproduzierte Film sorgte an der Croisette durchaus für Gesprächsstoff, konnte aus Zeitgründen vom Autor dieser Zeilen allerdings nicht gesehen werden. Es wird an dieser Stelle aber sicherlich noch künftig die Rede sein, denn davon, dass Yes! auch in die deutschen Kinos kommen wird, ist auszugehen.