Neuerscheinung

Ich ist ein anderer

Wäre gern nicht, was er ist: Shlomo Sand Foto: Sipa Press / Baltel

Neuerscheinung

Ich ist ein anderer

Shlomo Sand versucht, sich von seiner jüdischen Identität zu lösen, indem er sie für »imaginär« erklärt

von Michael Wuliger  28.10.2013 20:35 Uhr

Shlomo Sand gehört zu den Lieblingsjuden des israelkritischen Feuilletons, spätestens seit seinem 2008 erschienen Buch Die Erfindung des jüdischen Volkes. Dort argumentierte der Tel Aviver Historiker, ein jüdisches Volk gebe es nicht und habe es auch nie gegeben. Die Juden seien lediglich eine Religionsgemeinschaft aus Nachkommen Übergetretener diverser ethnischer Herkunft.

Als ein Eckstein dieser These diente Sand dabei der einst von Arthur Koestler popularisierte Chasarenmythos: Die osteuropäischen Juden in ihrer übergroßen Mehrheit sind demnach nicht Nachkommen des biblischen Volkes Israel, sondern stammen von einem im frühen 9. Jahrhundert u.Z. zum Judentum konvertierten nomadischen Turkvolk aus Mittelasien ab.

diatribe Tut nichts zur Sache, dass die Chasarenstory in der seriösen Wissenschaft schon lange als widerlegt gilt. Politisch kam Sands Buch wie gerufen. In der arabischen und muslimischen Propaganda, aber auch bei europäischen und amerikanischen Antisemiten und Antizionisten rechts wie links wird er seither als Kronzeuge zitiert, wenn es darum geht, den jüdischen Anspruch auf einen eigenen Staat, zumal auf dem Gebiet des biblischen Israel, zu negieren. »Sogar der jüdische Historiker Shlomo Sand schreibt ...«

Das Adjektiv »jüdisch« freilich müsste zukünftig wegfallen, geht es nach dem neuen Buch des 67-Jährigen. Warum ich aufhöre, Jude zu sein heißt das vergangene Woche auf Deutsch erschienene Druckwerk. Anders als Die Erfindung des jüdischen Volkes und der 2012 erschienene Band Die Erfindung des Landes Israel erhebt Sands jüngste Schrift keinen wissenschaftlichen Anspruch. Es handelt sich um eine Art persönlichen Essay.

Man könnte auch sagen, eine Diatribe. Auf 154 Seiten handelt Sand assoziativ so ziemlich alles ab, was ihn am Judentum und an Israel nervt: die »Ethnozentriertheit« und den »Tribalismus«, die Besatzung, den israelischen »Rassismus«, die – Finkelstein lässt grüßen – Instrumentalisierung der Schoa und so weiter.

Ins Zentrum seiner Attacken stellt Sand dabei die säkularen Diasporajuden. Ihnen spricht er das Recht ab, sich überhaupt als Juden zu definieren. Denn da das Judentum – siehe oben – lediglich ein religiöses Bekenntnis sei, mitnichten aber eine Nation oder Ethnie, sei ihre behauptete jüdische Identität »imaginär«. Die Juden in der Galut hätten schließlich »niemals eine gemeinsame Sprache oder eine alle verbindende säkulare Kultur« besessen.

hassliebe ist nicht sonderlich originell. So ähnlich hatte bereits Josef Stalin 1913 in seiner Schrift Marxismus und nationale Frage argumentiert, als er unter allen Völkern des Zarenreichs allein den Juden das Recht auf nationale Selbstbestimmung absprach. Auch nicht neu ist Sands Kritik an der »partikularistisch-ethnisch-religiösen Ethik« des rabbinischen Judentums, dergegenüber »die christliche Tradition für die universalistischen Aspekte der biblischen Prophetie viel empfänglicher« sei. Das zählt seit Paulus zum ideologischen Kern des christlichen Antijudaismus.

Gleichzeitig singt Sand nostalgische Loblieder auf die jiddische Kultur seiner Eltern und schwärmt von Israel als seiner Heimat, das er als zionistischen Staat natürlich dennoch ablehnt. So liest sich Warum ich aufhöre, Jude zu sein, dem Titel zum Trotz, weniger wie eine Abschiedserklärung, sondern wie das Gejammer eines in eine symbiotische Hassliebe Verstrickten. Man fühlt sich erinnert an das Gekvetche alter Ehepaare, die übereinander nur schlecht reden, aber voneinander dennoch nicht loskommen. Jüdischer geht es kaum.

Sands Dilemma hat lange vor ihm ein anderer Jude auf den Punkt gebracht. Kurt Tucholsky schrieb 1935, kurz vor seinem Suizid, in einem Brief an Arnold Zweig: »Ich bin im Jahre 1911 ›aus dem Judentum ausgetreten‹, und ich weiß, dass man das gar nicht kann.«

Shlomo Sand: »Warum ich aufhöre, Jude zu sein. Ein israelischer Standpunkt«. Aus dem Hebräischen von Gundula Schiffer. Propyläen, Berlin 2013, 160 S., 18 €

Fernsehen

»Mord auf dem Inka-Pfad«: War der israelische Ehemann der Täter?

Es ist einer der ungewöhnlichsten Fälle der deutschen Kriminalgeschichte. Die ARD packt das Geschehen nun in einen sehenswerten True-Crime-Vierteiler

von Ute Wessels  02.05.2025

Donna Anna (Adela Zaharia) und Don Ottavio (Agustín Gómez) in »Don Giovanni/Requiem«

Oper

Requiem nach der Höllenfahrt

Der Exilrusse Kirill Serebrennikov erschüttert mit »Don Giovanni« in Berlin

von Maria Ossowski  02.05.2025

Sachbuch

Auf der Spur der wahren Germanen

Ein neues Buch zeigt, wie kurz der Weg vom Kult um die Germanen über das völkische Denken bis zum Antisemitismus und zum Holocaust war und ist

von Christoph Arens  02.05.2025

Dresden

Israel Philharmonic Orchestra an Doppelkonzert beteiligt

Der Israeli Lahav Shani dirigiert ein als »musikalisches Zeichen für Versöhnung und Frieden« angekündigtes Konzert

 02.05.2025

Fernsehen

Rache für den Holocaust? »Plan A« in der ARD

In dem Drama sinnt eine Gruppe Juden auf Rache für die deutschen Holocaust-Verbrechen

von Ute Wessels  02.05.2025 Aktualisiert

Programm

Termine und TV-Tipps

Termine und Tipps für den Zeitraum vom 2. bis zum 11. Mai

 02.05.2025

Iris Berben

»Ich habe eine tiefe Liebe zu Israel«

Am 4. Mai liest die Schauspielerin beim »stARTfestival« aus dem Buch »Gleichzeit« von Sasha Marianna Salzmann und Ofer Waldman. Ein Gespräch über die Kraft von Worten und Musik, Reisen nach Israel und die Hoffnung

von Katrin Richter  02.05.2025

Basel

ESC hat Hotline für Betroffene von Gewalt, Judenhass und Rassismus

Die Organisatoren setzen auf eine Idee aus Baden-Württemberg. Gegen den Antisemitismus, der sich bereits im Vorfeld des Wettbewerbs zeigte, hilft die Telefonnummer jedoch nicht

 02.05.2025

Geheimnisse & Geständnisse

Plotkes

Klatsch und Tratsch aus der jüdischen Welt

von Katrin Richter  01.05.2025