Rezension

Die Schönheit von David, Josef, Ruth und Esther

Regenbogen in Israel Foto: Flash 90

Um einander zu erkennen – ohne kompromittierende Worte – ist viel Feingefühl nötig. Oft ist es auch gar nicht einfach, ein Gefühl einzuordnen, von dem nicht gesprochen wird und das die Betroffenen im falschen Umfeld ins Gefängnis bringen könnte. Homosexualität war in Deutschland zur Zeit des Kaiserreichs, in der Weimarer Republik und auch nach dem Zweiten Weltkrieg noch strafbar. Für das Gebiet der alten Bundesrepublik wurde der Paragraf 175 erst nach der Wiedervereinigung, im Jahr 1994, aufgehoben.

Was wissen wir über die queere jüdische Subkultur im Kaiserreich und der Weimarer Republik? Janin Afken und Liesa Hellmann haben homosexuelle Zeitschriften dieser Zeit dahingehend durchforstet und einiges zutage gefördert. Ihre Funde sind nun im Buch Queere Jüdische Gedichte und Geschichten in homosexuellen Zeitschriften zwischen 1900 und 1932 festgehalten.

Einleitend tauchen sie mit erhellendem und differenziertem Blick in die vielfältige Verlagswelt der queeren Subkultur jener Jahre ein (die damals noch nicht so genannt wurde). Selbst während der Weimarer Republik unterlag diese der Zensur, um »das Scham- und Sittengefühl« nicht zu verletzen. So wurde vieles kodiert – und unverfängliche Worte wie Freund, Freundin oder Kameradschaft wurden verwendet, um Liebesbeziehungen zu beschreiben.

Referenzen an die jüdische Kultur

Mit Referenzen an die jüdische Kultur verhält es sich in den gefundenen Beispielen ähnlich. Meist waren sie kaschiert und bloß in Andeutungen wahrnehmbar. So heißt es im Gedicht »Die Blume vom Toten Meer«: »Des Orients Wollust ist in dir gebannt«. Selten wird die jüdische Identität einer Figur offen benannt wie in den Erzählungen »Gefunden« oder »Eine Junge sucht Liebe«. Sie im Titel aufzugreifen wie bei »Die kleine Jüdin« war eine absolute Ausnahme.

Die Beiträge werden von Ergänzungen begleitet, in denen die Herausgeberinnen den Spuren der meist unbekannten (jüdischen) Autoren und Autorinnen folgen und zudem aufschlussreiche Hintergründe zu queeren, religiösen und kulturellen Referenzen liefern.

Bereits der erste Artikel »David und der heilige Augustin, zwei Bisexuelle« verweist auf die innige Beziehung zwischen David und Jonathan in der Hebräischen Bibel und deutet sie als homoerotisch. An die Bibel lehnt sich auch »Da ward aus Abend und Morgen der zweite Tag«, in der der Erzähler mit Josef verglichen wird. Da Josef die Avancen von Potiphars Frau zurückweist und damit ein heterosexuelles Verhalten verneint, wird er als homosexuell verstanden. Die Hervorhebung der Schönheit der Männer verrät die homosexuelle Neigung der Schreiber, die oft ungenannt bleibt.

David, Jonathan und Josef tauchen in mehreren Texten auf, so auch Ruth. Laut Afken und Hellmann bestand nicht immer ein biblischer Bezug, weil der Name in den späten 1920er und frühen 30er-Jahren in den Top 10 der Mädchennamen auftauchte. Afken und Hellmann fanden jedoch wiederholt die Kombination aus Ruth und Erika. Warum, wird nicht erklärt. Besonders ist auch »Esther« als Titel einer kurzen Erzählung, da die Figur zu jener Zeit Vorbildcharakter für die moderne jüdische Frau hatte.

Essays, Berichte und Kontaktanzeigen

Der Buchtitel lautet zwar Queere Jüdische Gedichte und Geschichten, doch die ausgewählten Beiträge präsentieren einen Querschnitt verschiedener Genres und schließen Essays, Berichte und Kontaktanzeigen mit ein. Auch inhaltlich variieren die Texte. Einige sind emotional, voller Liebespein und -schwüre, andere liefern nüchtern-sachliche Argumente, etwa warum die Frauenbewegung unterstützenswert sei und auch Männern Vorteile biete.

Die Zeitzeugnisse lesen sich mal leicht, mal weniger leicht und reflektieren Erinnerungen, Fantasien, Heiteres, Trauer und Begierde. Zuweilen schimmert ein positiver Grundton durch wie in Toni Brands Humoreske »Frieda geht aus«, die einzige Trans-Geschichte in dem Band. Darin verwandelt sich Fritz mit schicken Kleider in Frieda und geht zum Sportpalast, wo sie von einem Jüngling angesprochen wird, der sich als Frau entpuppt. In Selli Englers »Die kleine Jüdin« wird neben der Popularität der Hauptfigur auch die Treue ihrer nichtjüdischen Partnerin hervorgehoben, die sogar am Gottesdienst in der Synagoge teilnimmt, anstatt vor dem Gebäude zu warten.

Insgesamt sind die Texte als Lektüre eher bildend als unterhaltend, bieten aber interessante Einblicke in eine Welt, die vielen Lesern sonst verschlossen bliebe.

Janin Afken (Hg.), Liesa Hellmann (Hg.): »Queere jüdische Gedichte und Geschichten in homosexuellen Zeitschriften zwischen 1900 und 1932«. Hentrich & Hentrich, Leipzig 2024. 238 S., 24 €

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