Interview

»Die documenta hat nichts gelernt und nichts verstanden«

Benjamin Graumann, Vorstandsmitglied der Jüdischen Gemeinde Frankfurt am Main, über die nicht endenden Judenhass-Skandale bei der Weltkunstausstellung

von Ralf Balke  03.08.2022 10:51 Uhr

»Die Worte von Herrn Farenholtz machen uns fassungslos«: Benjamin Graumann

Benjamin Graumann, Vorstandsmitglied der Jüdischen Gemeinde Frankfurt am Main, über die nicht endenden Judenhass-Skandale bei der Weltkunstausstellung

von Ralf Balke  03.08.2022 10:51 Uhr

Herr Graumann, bei der documenta reiht sich ein Judenhass-Skandal an den anderen. Nun hat der neue documenta-Chef Farenholtz die Kritik der Jüdischen Gemeinde Frankfurt brüsk zurückgewiesen. Er fühle sich nicht angesprochen, sagt er, und generell wisse er nicht, was Antisemitismus bedeutet. Wie sind diese Worte bei Ihnen in der Gemeinde aufgenommen worden?
Die Worte von Herrn Farenholtz machen uns fassungslos. Wer trotz dieser Skandale immer noch davon spricht, dass die Stimmung auf der documenta »sehr gut« sei und man sich auf einem »hervorragenden Kurs« befände, hat sich mit den Vorfällen entweder nicht beschäftigt oder leidet unter Realitätsverlust. Der Wechsel an der Spitze der Geschäftsführung war also kein Befreiungsschlag, sondern definitiv ein Eigentor. Fazit also: Nichts gelernt und nichts verstanden!

Nach den Judenhass-Eklats haben die Gesellschafter ein Expertengremium benannt, das die Ausstellung fortan wissenschaftlich begleiten soll. Reicht das aus?
Es ist schon bezeichnend, dass das Expertengremium seine Arbeit mit deutlicher Kritik an der Geschäftsführung aufnehmen musste, weil diese sich weiterhin weigert, antisemitische Kunstwerke zu entfernen, und man sich deshalb das Recht vorbehält, eigenständige Einschätzungen zu formulieren.

Fordern Sie einen Abbruch der documenta?
Die documenta steht für einen staatlich geförderten und tolerierten Antisemitismus, weshalb sie angesichts der permanenten Verweigerungshaltung der Verantwortlichen, etwas zu ändern, auch nicht mehr zu retten ist. Man hat mittlerweile den Eindruck: Immer dann, wenn man denkt, es geht gar nicht schlimmer, belehrt uns die documenta eines Besseren.

Externer Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen externen Inhalt, der den Artikel anreichert. Wir benötigen Ihre Zustimmung, bevor Sie Inhalte von Sozialen Netzwerken ansehen und mit diesen interagieren können.

Mit dem Betätigen der Schaltfläche erklären Sie sich damit einverstanden, dass Ihnen Inhalte aus Sozialen Netzwerken angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittanbieter übermittelt werden. Dazu ist ggf. die Speicherung von Cookies auf Ihrem Gerät nötig. Mehr Informationen finden Sie hier.

Als erste Amtshandlung kritisierte das neue Expertengremium die Leitung der documenta dafür, die Kritik am Judenhass nicht ernst zu nehmen und die so entstandenen Wunden bei der jüdischen Gemeinschaft auszublenden. Was sagen Sie dazu?
Das Expertengremium legte damit die Finger direkt in die Wunde. In der jüdischen Gemeinschaft fühlt man sich hilflos angesichts des Unwillens, Antisemitismus zu erkennen. Zudem hat uns der Mangel an Empathie entsetzt sowie die herzlose Kälte angesichts der jüdischen Verletzungen.

Wer trägt für Sie die Hauptverantwortung?
Das beginnt bei der Geschäftsführung der documenta, reicht über den Aufsichtsrat bis hin zu den verantwortlichen Politikern, Benennen wir es klar: also Sabine Schormann, Alexander Farenholtz sowie Christian Geselle oder Claudia Roth.

Externer Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen externen Inhalt, der den Artikel anreichert. Wir benötigen Ihre Zustimmung, bevor Sie Inhalte von Sozialen Netzwerken ansehen und mit diesen interagieren können.

Mit dem Betätigen der Schaltfläche erklären Sie sich damit einverstanden, dass Ihnen Inhalte aus Sozialen Netzwerken angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittanbieter übermittelt werden. Dazu ist ggf. die Speicherung von Cookies auf Ihrem Gerät nötig. Mehr Informationen finden Sie hier.

Hat es etwas Vergleichbares wie den Skandal um die documenta in Vergangenheit schon mal gegeben?
Als Frankfurter fällt einem natürlich als Erstes das Theaterstück von Rainer Werner Fassbinder aus dem Jahr 1985 ein. Aber selbst dieses hatte nur lokale Bezüge und beschäftigte uns maximal einige Tage. Bei der documenta sind es andere Dimensionen. Es handelt sich um die bundesweit bekannteste Kunstausstellung, eine der wichtigsten der Welt. Vergleichbares gab es in der jüngeren Vergangenheit also nicht.

Was für Folgen könnte das haben?
Wenn in so einer Öffentlichkeit judenfeindliche Exponate problemlos gezeigt werden können, dann senkt das die Hemmschwellen und man muss sich über die Zunahmen antisemitischer Straftaten dann auch nicht mehr wundern.

Externer Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen externen Inhalt, der den Artikel anreichert. Wir benötigen Ihre Zustimmung, bevor Sie Inhalte von Sozialen Netzwerken ansehen und mit diesen interagieren können.

Mit dem Betätigen der Schaltfläche erklären Sie sich damit einverstanden, dass Ihnen Inhalte aus Sozialen Netzwerken angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittanbieter übermittelt werden. Dazu ist ggf. die Speicherung von Cookies auf Ihrem Gerät nötig. Mehr Informationen finden Sie hier.

Frankfurt am Main

Bildungsstätte Anne Frank zeigt Chancen und Risiken von KI

Mit einem neuen Sammelband will sich die Institution gegen Diskriminierung im digitalen Raum stellen

von Greta Hüllmann  19.04.2024

Kunst

Akademie-Präsidentin gegen Antisemitismus-Klausel

»Wir haben ein gutes Grundgesetz, wir müssen uns nur daran halten«, sagt Jeanine Meerapfel

 19.04.2024

Jehuda Amichai

Poetische Stimme Israels

Vor 100 Jahren wurde der Dichter in Würzburg geboren

von Daniel Staffen-Quandt  19.04.2024

Antisemitismus

Zentralrat der Juden äußert sich zu Hallervordens Gaza-Video

Das Gaza-Gedicht des Schauspielers wurde in den vergangenen Tagen massiv kritisiert

 19.04.2024

Streaming

»Bros«: Zwei Trottel, eine Bar

Die erste rein hebräischsprachige und israelische Original-Produktion für Netflix ist angelaufen

von Ayala Goldmann  18.04.2024

Interview

»Deutschland ist eine neurotische Nation«

Bassam Tibi über verfehlte Migrationspolitik, Kritik an den Moscheeverbänden und Ansätze für islamische Aufklärung

von Christoph Schmidt  18.04.2024

Verschwörungstheorien

Nach viel kritisiertem Israel-Hass-Video: Jetzt spricht Dieter Hallervorden

Der Schauspieler weist die Kritik an seiner Veröffentlichung zurück

 18.04.2024

Venedig

Israelhasser demonstrieren bei Kunstbiennale

Die Demonstranten forderten einen Boykott israelischer Künstler

 18.04.2024

Klassik

Eine Liebeserklärung an die Mandoline

Der israelische Musiker Avi Avital verleiht Komponisten wie Bach oder Vivaldi einen unverwechselbaren neuen Touch

von Christine Schmitt  18.04.2024