Jan Faktor

»Deutsche Reichsbananenrepublik«

Jan Faktor, tschechisch-deutscher Schriftsteller und Übersetzer. Foto: picture-alliance / Erwin Elsner

Jan Faktor

»Deutsche Reichsbananenrepublik«

In seinem autobiografischen Roman »Trottel« rechnet der gebürtige Prager mit der DDR ab

von Tobias Kühn  22.10.2022 19:30 Uhr

Externer Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen externen Inhalt, der den Artikel anreichert. Wir benötigen Ihre Zustimmung, bevor Sie Inhalte von Bottalk ansehen und mit diesen interagieren können.

Mit dem Betätigen der Schaltfläche erklären Sie sich damit einverstanden, dass Ihnen Inhalte aus Bottalk angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittanbieter übermittelt werden. Dazu ist ggf. die Speicherung von Cookies auf Ihrem Gerät nötig. Mehr Informationen finden Sie hier.

»Die stille Frage meiner Jugend lautete, ob ein Trottel im Leben glücklich werden kann.« So beginnt der 1951 in Prag geborene Schriftsteller Jan Faktor seinen autobiografischen Roman Trottel, mit dem er es auf die Shortlist des Deutschen Buchpreises geschafft hat. Einer Beschreibung des eigenen Lebens den Titel Trottel zu geben, zeugt von Selbstironie. Faktor ist ein Meister darin, und ebenso ein Meister des Spotts und der Komik.

Nach der Niederschlagung des Prager Frühlings und einem abgebrochenen Studium hat er Anfang der 70er-Jahre »eine vollkommen untergeordnete Arbeit in einem ökonomischen Forschungsinstitut« gefunden, wo er sich mit Statistiken beschäftigt, die auf Zahlen basieren, die »gelogen, geschönt, frei erfunden« waren. Doch noch mehr als diese Arbeit bedrücken ihn die politischen Verhältnisse: »In der Tschechoslowakei waren damals schnell alternde Opportunisten, Schleimer und Dummköpfe an der Macht, die bei der nachokkupatorischen Säuberungswelle aus der zweiten oder dritten Reihe nach oben gespült worden waren.«

»Prager Hölle« Er will dieses Land verlassen, die »Prager Hölle«, wie er es nennt. »Etwas in mir wollte aus Prag unbedingt verschwinden, wollte raus aus dieser fauligen, verfilzten, porenverstopften Knödelgeschwulst.« Am liebsten in Richtung Westen. Doch sei in seinem Leben alles anders gekommen als gedacht. Und so verschlägt ihn die Liebe ausgerechnet nach Ost-Berlin, in den »DDR-Pferch«, wie er den Mauerstaat nennt, »die Deutsche Reichsbananenrepublik«, »die real existierende Dederonie«.

Faktor schraubt die deutsche Sprache auseinander, setzt sie wieder zusammen, spart nicht mit Fußnoten.

Faktor schraubt die deutsche Sprache auseinander, setzt sie wieder zusammen, spart nicht mit Fußnoten, erfindet unzählige weitere Synonyme für dieses Land, das ihn befremdet, aber irgendwie auch amüsiert: »Deutsche rundumordnungsliebende Republik«, »Deutsche Durchschnittsrepublik«, »DDReutschland«, »das DDReich«.

Was es für ihn als Sohn und Enkel von Auschwitz-Überlebenden bedeutet haben mag, unter Deutschen Fuß zu fassen, erwähnt er mit keinem Wort. Stattdessen preist er den nördlich der alten Tschechoslowakei gelegenen sozialistischen deutschen Teilstaat als für ihn »allerliebst geeignet«: »Die DDR war für mich tatsächlich wie geschaffen. Die Schäbigkeit des Landes wurde mein Forschungsthema.«

literatenszene Er dockt an die Literatenszene im Prenzlauer Berg an, betrachtet wie ein Zoobesucher das »ostdeutsche Teilvolk« und beschreibt distanziert, ungeschönt, ja schelmisch den Alltag in der DDR: die kleinbürgerliche Enge, die Borniertheit der Behörden, den Freiraum und Erfindergeist junger Aussteiger in besetzten Altbauwohnungen, die ständigen Einschüchterungsversuche des Staates, die Bespitzelung durch die Stasi.

Faktor vergleicht das Leben in seiner Geburtsstadt Prag mit dem in Ost-Berlin und fragt sich: »Wieso war die DDR so einmalig im Ostblock?« Er sinniert: »Ließ sich der DDR-Leibeigene leichter dressieren als ein Ostmitteleuropäer?«

In seinem neuen Buch versucht Jan Faktor, den Tod seines Sohnes literarisch zu verarbeiten.

Faktors Buch kann heutigen Ostalgikern helfen, sich daran zu erinnern, wie es damals wirklich war. Auf subtile Art liest er denen, die meinen, früher sei alles besser gewesen, die Leviten. So ist das Buch auch ein Plädoyer gegen die heute weit verbreitete Ostalgie – und ein großes Lesevergnügen für alle ehemaligen Bewohner der DDR, die froh sind, dass es dieses Land nicht mehr gibt. Wie etliche von ihnen schien aber auch der »Trottel« eine Nische gefunden zu haben, in der es sich erträglich leben ließ und man trotz allem glücklich sein konnte.

schicksalsschlag Vor zehn Jahren erlebte Jan Faktor einen Schicksalsschlag, der ihn in eine tiefe Krise stürzte: Sein Sohn, 33 Jahre alt und psychisch krank, nahm sich das Leben. Der Schmerz über diesen Verlust zieht sich durch das gesamte Buch. Frei assoziierend wie auf der Couch eines Psychoanalytikers denkt Faktor über die Schieflagen des Lebens nach, erinnert sich an die Kindheit und Jugend seines Sohnes, an manchen heftigen Streit und daran, wie ihm und seiner Frau die psychische Labilität des Kindes erstmals auffiel: »Dieser fremdartige Einbruch des Irrsinns in unser Leben kam ganz plötzlich.«

Jan Faktor hat Jahre gebraucht, um sich damit auseinanderzusetzen. In seinem neuen Buch versucht er, den Tod seines Sohnes literarisch zu verarbeiten. Auch mit Humor, einer bewährten Überlebensstrategie.
Auf der Innenseite des Buchdeckels gibt Faktor Vorschläge für Rezensenten und fragt: »Kann es gut gehen, wenn einer ein höchst albernes Buch über den Tod seines eigenen Sohnes zusammenstoppelt?« Ja, es kann.

Jan Faktor: »Trottel«. Roman. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2022, 397 S., 24 €

Tel Aviv

Gal Gadot trifft Geiselfamilien

Die Darstellerin zeigt seit den Massakern und Geiselnahmen vom 7. Oktober 2023 und dem damit von der Hamas begonnenen Krieg Solidarität mit Israel und den Geiseln. Damit handelt sie sich auch Kritik ein

von Sara Lemel  18.08.2025

Fernsehen

»Die Fabelmans«: Steven Spielbergs Familiengeschichte als TV-Premiere

In »Die Fabelmans« erzählt der jüdische Star, wie er vom Film-begeisterten Sammy zu einem jungen Regisseur heranwuchs

von Rüdiger Suchsland  17.08.2025

Forum

Leserbriefe

Kommentare und Meinungen zu aktuellen Themen der Jüdischen Allgemeinen

 17.08.2025

Geheimnisse & Geständnisse

Plotkes

Klatsch und Tratsch aus der jüdischen Welt

von Imanuel Marcus, Katrin Richter  17.08.2025

Kino

»The Life of Chuck«: Das Universum zwischen unseren Ohren

Die Geschichte dieser tragisch-herzlichen jüdische Familie, diese grandiose Idee, das Leben von Chuck genau so zu erzählen, ist ein Geschenk!

von Sophie Albers Ben Chamo  15.08.2025

Bonn

»Monk in Pieces«: Filmdoku über eine Meisterin der Klangsprache

Babysprache und Tierlaute: In den Werken der Musikerin Meredith Monk spielt Gesang, jedoch nicht der Text eine Rolle. Ein neuer Dokumentarfilm nähert sich der einzigartigen Künstlerin

von Michael Kienzl  14.08.2025

Aufgegabelt

Kalte Wassermelonen-Lollis

Rezepte und Leckeres

 14.08.2025

Kulturkolumne

Sehnsucht nach Youkali

Über einen Sommerabend mit Kurt Weill

von Sophie Albers Ben Chamo  14.08.2025

Kanada

Toronto Film Fest will Doku zum 7. Oktober nun doch zeigen

Das Festival hatte urheberrechtliche Bedenken, weil in »The Road Between Us: The Ultimate Rescue« Videoaufnahmen von Hamas-Terroristen gezeigt werden

 14.08.2025