»Die Zeit drängt. Aber noch ist es nicht zu spät.« Mit diesen warnenden Worten bringen Extremismusforscher Peter R. Neumann und TV-Journalist Richard C. Schneider ihre Analyse der Krise westlicher Demokratien auf den Punkt. In ihrem Buch zeigen sie, wie »illiberale« Kräfte auf dem Vormarsch sind und Rechtspopulisten massiv an Unterstützung gewinnen – in Ungarn, den Niederlanden, Italien, den USA und inzwischen auch in Deutschland. Am Montagabend stellten sie die Neuerscheinung »Das Sterben der Demokratie« in der Französischen Botschaft in Berlin vor.
Neumann warnte dabei vor einer schleichenden Aushöhlung demokratischer Institutionen. Der Professor für Sicherheitsstudien am King’s College in London betonte, es sei ein Irrtum zu glauben, Demokratie werde über Nacht abgeschafft. »Genau das passiert eben nicht.« Er verwies auf Ungarn: Dort existieren Justiz, Parlament, Opposition und Medien zwar weiterhin, sind aber so geschwächt, dass sie der Regierung kaum noch etwas entgegensetzen können. »Am Ende bleibt von Demokratie außer Ritualen fast nichts übrig. Das ist die eigentliche Gefahr.«
Schneider schilderte den Aufstieg von Geert Wilders in den Niederlanden. Der lange als Außenseiter geltende Rechtspopulist gewann 2023 die Wahl und konnte sogar eine Regierung bilden. Seine islam- und europafeindlichen Parolen seien mittlerweile »normal« geworden, stellte Schneider fest. »Meist übernehmen rechtskonservative oder rechtsliberale Parteien diese Narrative, weil sie glauben, so Wahlen gewinnen zu können.«
Melonis Weg
Der frühere ARD-Studioleiter in Rom skizzierte auch Giorgia Melonis Weg. Seit Oktober 2022 regiert sie Italien und verfolgt nach Einschätzung Schneiders Schritt für Schritt den Umbau des Systems. »Erst geht es um die Justiz, dann um Medien und Kultur.« Meloni wolle künftig den oder die Premierministerin direkt vom Volk wählen lassen. »Damit hätte sie einen Machtstatus weit über dem jetzigen – und könnte per Wahl zu einer Art absolutistischer Herrscherin werden.«
Neumann und Schneider sehen darin ein Muster. »Alle Rechtspopulisten, sogar Donald Trump, orientieren sich am Vorbild Ungarns. Orbáns Politik ist eine Blaupause«, schreiben sie. Es gehe darum, Macht zu konzentrieren, ohne die Demokratie formell abzuschaffen. »Sie behaupten: Wir sind Superdemokraten, wir verwirklichen den Volkswillen – schaffen aber Institutionen, die die Mächtigen kontrollieren sollen, systematisch ab.«
Lange galt Deutschland wegen seiner Geschichte als immun gegen Rechtsaußenparteien. Doch mit der AfD existiert nun auch hier eine »illiberale« Partei, die in Umfragen weit über 20 Prozent liegt.
Viele Deutsche vertrauten dennoch auf stabile Institutionen und das Grundgesetz, so Neumann. »Aber wer erlebt hat, wie in den USA jemand zwar die Verfassung einhält, aber Konventionen ignoriert oder zerstört, der weiß, wie schnell eine Demokratie ins Wanken geraten kann.« Donald Trump habe die zentrale Regel verletzt, Wahlniederlagen anzuerkennen. Damit sei das vermeintlich perfekte System der USA als fragil entlarvt worden.
Brandmauern verteidigen
Demokratien könnten sich als verletzlich erweisen, wenn Mehrheiten entstehen, die demokratische Konventionen aushebeln. »Ich bin überzeugt, dass unsere Institutionen stark sind«, sagte Neumann. »Aber lieber wäre mir, wir müssten sie nicht testen.« Jetzt komme es darauf an, dass Politik Handlungsfähigkeit beweist. »Probleme lösen – das wäre meine Strategie.«
Im Buch fordern die Autoren, dem Rechtspopulismus nicht nur juristisch, sondern vor allem politisch zu begegnen: Verkrustungen im eigenen System aufbrechen, Brandmauern verteidigen, leere Versprechen offenlegen – und vor allem eine positive Zukunftserzählung entwickeln, die auch Menschen außerhalb des eigenen Lagers überzeugt.
»Das Sterben der Demokratie. Der Plan der Rechtspopulisten – in Europa und den USA«, Rowohlt Berlin, 224 Seiten, 24 Euro.