Ausstellung

Anpasser mit Netzwerken

Das Denkmal von Richard Scheibe steht heute noch im Bendlerblock in Berlin. Foto: Liselotte Orgel-Köhne

Ausstellung

Anpasser mit Netzwerken

Das Deutsche Historische Museum in Berlin zeigt, wie NS-Künstler auch in Nachkriegsdeutschland Karriere machten

von Maria Ossowski  30.09.2021 12:24 Uhr

Es waren nicht nur Juristen und Polizisten, Ärzte und Lehrer, Dirigenten, Unternehmer oder Beamte, die vor den Nazis buckelten oder mit ihnen paktierten und die nach 1945 die Karriereleiter weiter hinaufklettern durften. Opportunismus war das Gebot der Stunde null, die es deshalb nie gab. Die prinzipienlose berufliche Anpassung galt erstaunlicherweise auch für Bildende Künstler.

Im September 1944 entschieden Hitler und Goebbels, welche 114 Maler und Bildhauer nicht zum Militär eingezogen wurden, wer nicht an die Front musste in den »Totalen Krieg«.

Die »Gottbegnadeten« galten als Vertreter der »artreinen« Kunst.

»Gottbegnadet« seien sie, Hitler hat diesen Ausdruck oft benutzt, auch um diese Künstler von jenen der verachteten Moderne zu unterscheiden. Das Deutsche Historische Museum hat als erstes überhaupt diesem Thema eine Ausstellung gewidmet.

Klassizismus Die »Gottbegnadeten« galten als die Vertreter der »artreinen« Kunst, sie orientierten sich am Klassizismus des 19. Jahrhunderts. Es galt als Auszeichnung, auf dieser Liste zu stehen, und dennoch: Ihre Namen sind uns heute kaum noch geläufig.

Arno Breker kennen wir noch. Aber Hermann Kaspar? Willy Meller? Werner Peiner? Richard Scheibe? In den 50er- und 60er-Jahren waren diese Künstler trotz ihrer Vergangenheit geachtet. Bund, Städte, Gemeinden und Kirchen erteilten ihnen viele Aufträge.

Die großen Museen zeigten sie selten, aber ihre neuen Arbeiten waren in Parks, an Schulen, Rathäusern, Kultureinrichtungen, Postämtern, Firmen- und Wohnungsbauten zu sehen. Vor allem in Bayern, Nordrhein-Westfalen und Berlin. Der Historiker Wolfgang Brauneis ist Kurator dieser hervorragenden Ausstellung, er hat viele Jahre über die »Gottbegnadeten« recherchiert.

PROFESSOREN »Fast alle der Künstler, die wir in der Ausstellung sehen und die Professuren im Nationalsozialismus hatten, waren auch nach 1945 Professoren. Meistens in der Akademie in Düsseldorf und in München«, so Brauneis. »An der Akademie in Dresden war dies beispielsweise überhaupt nicht der Fall. Überhaupt kommt die DDR kaum vor in dieser Ausstellung, deshalb wird die Bundesrepublik im Untertitel auch genannt, weil es ein spezifisches und primär bundesrepublikanisches Thema ist.«

Hermann Kaspar hat zum Beispiel für die Meistersingerhalle in Nürnberg 1970 einen riesigen Gobelin geschaffen, Titel: »Die Frau Musica«. Kaspar stand auf der Liste, er hatte die Räume der Reichskanzlei gestaltet, er war Chefausstatter des Reichsparteitagsgeländes in Nürnberg, noch heute sieht man im Haus der Kunst in München seine Hakenkreuze an der Kassettendecke hinter dem Café.

Er hat die Museen mit »gesäubert« von »entarteter Kunst«. Und dennoch: Dieser Großauftrag später mit dem Gobelin schien kein Problem. Eine blonde Frau mit langem Haar, alte Instrumente, Blumen. Kaspar orientierte sich thematisch nicht besonders neu. Wie viele auf der Liste.

Themen »Bestimmte ikonografische Themen wie der Rossebändiger, die trauernde Mutter, antike Themen oder auch Symbole für das Abendland wurden verwendet. So auch in der klassischen Musik beispielsweise – man stellt da nicht anno 1970 Beat- oder Krautrock als Thema dar, sondern die Dame mit blonder Mähne und Violoncello«, berichtet Kurator Brauneis.

Besonders erstaunlich: Einige sogenannte Gottbegnadete durften nach dem Krieg sogar Mahnmale gestalten. Meist für die Opfer des Krieges, allerdings nicht für Juden. Kaum jemand interessierte sich bis in die frühen 70er-Jahre hinein für die Schoa. Nein, die trauernde Mutter eines gefallenen Soldaten, der verhungerte Flüchtling, an sie wollte man mit Denkmälern erinnern.

Richard Scheibe, ebenfalls auf Hitlers Liste, durfte 1953 sogar für jenen Hof, in dem Claus Schenk Graf von Stauffenberg und andere Widerstandskämpfer nach dem 20. Juli 1944 erschossen wurden, das Denkmal schaffen. Einen nackten, gefesselten Jüngling. Er steht heute noch da – im Bendlerblock in Berlin.

LUFTWAFFE Die Kontinuität in Scheibes Schaffen erschüttert, denn Scheibe hatte im Nationalsozialismus die identische Figur für einen Innenhof der Luftwaffe kreiert. Nur ein Detail hat Scheibe verändert: Die kämpferische Luftwaffenhof-Figur ist mit einem Bogen versehen, die an den Widerstand gemahnende ist gefesselt. Eine Art Figurentypus, der universell funktioniert, sowohl für die Luftwaffe als auch für den Widerstand. Am Schluss der Ausstellung, die sich über zwei Stockwerke im Deutschen Historischen Museum erstreckt, sind Fotografien von 300 Kunstwerken im öffentlichen Raum zu sehen, die »Gottbegnadete« in Deutschland und Österreich schufen, davon 200 sogar nach dem Krieg.

Die Schau schließt eine historisch bisher nicht beachtete Lücke.

Es gibt viele, die aus der Nazizeit stammen, auch in Berlin: Arno Brekers »Siegerin« oder Adolf Wampers Reliefskulpturen vor der Waldbühne. Die Namen der »Gottbegnadeten« allerdings sind meist vergessen. Als »Nichtkunst«, »Unkunst« wurde sie ab den 80er-Jahren wahrgenommen. Die Künstler selbst mussten jedoch keine Not leiden. Die meisten hatten nicht nur dank privater Auftraggeber ein gutes Auskommen, sondern eben auch als Lehrende in den Akademien.

Die Schau im Deutschen Historischen Museum ist keine Kunstausstellung, sie gehört auch in kein Kunstmuseum. Sie schließt eine historisch bislang nicht beachtete Lücke, sie klärt auf, welche Kontinuitäten es gab in der Kunst – von der Nazizeit bis weit in die 70er-Jahre. Damit ist sie eine der wichtigsten Ausstellungen, die weit über Berlin hinaus wirken sollte.

Holzstörche zur Geburt in Niederösterreich. Noch immer werden neben den klassischen Namen viele biblische Namen den Kindern gegeben.

Statistik

Diese hebräischen Vornamen in Österreich sind am beliebtesten

Österreichische Eltern wählen gern Klassiker. Unter den Top Ten sind auch viele Namen biblischen Ursprungs

von Nicole Dreyfus  19.11.2025

TV-Tipp

Sie ging über Leichen: Doku »Riefenstahl« zeigt eine überzeugte Nationalsozialistin

Das Erste zeigt Andres Veiels vielschichtigen Dokumentarfilm über Leben und Wirken von Hitlers Lieblingsregisseurin Leni Riefenstahl. Der Film geht auch der Frage nach, wie ihre Filme bis in die Gegenwart ausstrahlen

von Jens Hinrichsen  19.11.2025

Nazivergangenheit

Keine Ehrenmedaille für Rühmann und Riefenstahl

»NS-belastet« oder »NS-konform« – das trifft laut einer Studie auf 14 Persönlichkeiten der Filmbranche zu. Ihnen wird rückwirkend eine Auszeichnung aberkannt, die die Spitzenorganisation der Filmwirtschaft (SPIO) zukünftig nicht mehr vergeben will

von Niklas Hesselmann  19.11.2025

Magdeburg

Telemann-Preis 2026 für Kölner Dirigenten Willens

Mit der Auszeichnung würdigt die Landeshauptstadt den eindrucksvollen Umgang des jüdischen Dirigenten mit dem künstlerischen Werk Telemanns

 19.11.2025

Sachsen-Anhalt

Judenfeindliche Skulptur in Calbe künstlerisch eingefriedet

Die Kunstinstallation überdeckt die Schmähfigur nicht komplett. Damit soll die Einfriedung auch symbolisch dafür stehen, die Geschichte und den immer wieder aufbrechenden Antisemitismus nicht zu leugnen

 19.11.2025

Kino

Unter erschwerten Bedingungen

Das »Seret«-Festival zeigt aktuelle israelische Filmkunst in Deutschland – zum ersten Mal nur in Berlin

von Chris Schinke  19.11.2025

Bonn

Bonner Museum gibt Gemälde an Erben jüdischer Besitzer zurück

Das Bild »Bäuerliches Frühstück« aus der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts wird restituiert

 19.11.2025

Perspektive

Humor hilft

Über alles lachen – obwohl die Realität kein Witz ist? Unsere Autorin, die israelische Psychoanalytikerin Efrat Havron, meint: In einem Land wie Israel ist Ironie sogar überlebenswichtig

von Efrat Havron  19.11.2025

New York

Rekordpreis für »Bildnis Elisabeth Lederer« bei Auktion

Bei den New Yorker Herbstauktion ist wieder ein Rekord gepurzelt: Ein Klimt-Gemälde wird zum zweitteuersten je versteigerten Kunstwerk – und auch ein goldenes Klo wird für einen hohen Preis verkauft

von Christina Horsten  19.11.2025