Ausstellung

Ärztliche Kunst

»Du wirst gerettet, bis du stirbst«: Aya Ben Ron vor einem ihrer Medizinbilder Foto: Gregor Zielke

Die Berliner Charité ist ein Krankenhaus, keine Kunstgalerie. Gerade deshalb ist Aya Ben Ron mit ihrer Ausstellung A Voyage to Cythera im Medizinhistorischen Museum der berühmten Klinik am richtigen Ort. Denn ihre Arbeiten – Skulpturen, Videos mit Gedichten und Soundinstallationen, Fotomontagen und Zeichnungen – befassen sich mit der Wahrnehmung und Darstellung des Körpers in Kunst und Medizin. Thomas Schnalke, der Direktor des Museums, hat die Israelin, die in Tel Aviv lebt, zu einer künstlerischen Intervention in die Dauerausstellung medizinischer Präparate eingeladen.

krankenschwester Folgerichtig präsentiert sich die Künstlerin im einleitenden Video mit Schwesternhäubchen vor dem berühmten Gemälde von Jean-Antoine Watteau Einschiffung nach Kythera, das eine Reisegesellschaft unmittelbar vor der Überfahrt zu der Glück verheißenden Insel zeigt. Im Text von Aya Ben Ron heißt es dazu: »Venus erscheint mit amputierten Armen – sie ist das Symbol der Liebe.«

Wie eine Reiseleiterin zu Sehenswürdigkeiten führt Schwester Aya per Video die Zuschauer dann zu den 18 Stationen ihrer Schau: Es sind menschliche Organe, in Formaldehyd konserviert und in Schaukästen präsentiert. Einige von ihnen stammen noch vom Museumsgründer Rudolf Virchow aus dem 19. Jahrhundert. An dessen Schreibtisch ist eine Klanginstallation von Aya Ben Ron zu hören. An anderen Stationen rezitiert die Künstlerin Gedichte auf Hebräisch.

Es ist ihr ein wichtiges Anliegen, ihre Muttersprache in der Charité erklingen zu lassen, aus der nach 1933 jüdische Ärzte verdrängt worden waren. »Meine Großmutter stammte aus Polen und studierte in Wien Medizin, bevor sie in den 30er-Jahren vor den Nationalsozialisten fliehen musste«, erzählt die Israelin, die am renommierten Londoner Gold-smith Coollege studiert hat. »Sie bat mich, niemals deutschen Boden zu betreten. Als ich das Angebot für eine Ausstellung in Berlin bekam, war sie schon gestorben.«

präparate Durch die Großmutter, die in Haifa als Gynäkologin praktizierte, ist Aya Ben Ron das Krankenhausmilieu von Kindheit an vertraut. Was auf viele Menschen einschüchternd wirkt und sie beklommen macht, etwa medizinische Geräte, findet die 45-Jährige inspirierend. In ihrer Kunst beschäftigt die Tel Aviverin sich ausschließlich mit medizinischen Themen. Wie fühlt sich ein Mensch im Krankenbett? Was bedeutet Heilung? In einem ihrer Gedichte heißt es: »Du wirst gerettet, bis du stirbst.«

Zugleich bringt Aya Ben Ron eine zweite Ebene in die nüchternen Räume des Medizinhistorischen Museums der Charité: die Erinnerung an die Schicksale derjenigen, deren konservierte Organe heute zur Anschauung für Studenten und Besucher zur Verfügung stehen. Was haben diese Menschen erlebt und gefühlt? Aya Ben Ron geht der Frage nach und versucht, in ihren Geschichten Antworten zu geben.

Sie möchte mit ihrer künstlerischen Intervention den ausgestellten Präparaten ihre Würde zurückgeben, indem sie daran erinnert, dass es Teile von einst lebenden Menschen waren. Das zielt auch kritisch auf die moderne Medizin, die das menschliche Wesen auf erkrankte Organe reduziert: »Krankheit muss nicht nur Mangel sein. Sie kann auch bereichernd sein. Das ist in unserer Leistungsgesellschaft vergessen.«

anatomie Manche von Ben Rons Arbeiten wirken verstörend, sollen es auch sein. Etwa die Entwürfe für eine überlebensgroße Stahl-skulptur, die sie im Seziersaal der Charité gezeichnet hat: Ein Toter ist aufgespannt an Haken und Galgen, um seine Organe auszuweiden, umgeben von Studenten und Ärzten. Die Arbeit mit dem Titel Anatomy Class 1 ist auch eine Hommage an Rembrandt und dessen Gemälde Anatomie des Dr. Tulp aus dem 17. Jahrhundert.

Gleichzeitig mit der Schau in der Charité läuft bis zum 29. Juni in der Galerie Aando Fine Art eine zweite Ausstellung von Ben Ron. Auch hier geht es um Krankheit und Medizin, wie schon der Titel verrät: First Aid Station, übersetzt »Erste-Hilfe-Station«. Wobei der Künstlerin der Ausstellungsort Charité in gewisser Weise mehr liegt. Sie will bewusst nicht nur in Galerien oder Kunstmuseen ausstellen, um als Künstlerin auch mit Menschen zu kommunizieren, die nicht aus der kreativen Szene kommen: »Kunst sollte nicht isoliert in einem speziellen Raum präsentiert werden.« Dort wirkten Kunstwerke wie edle Designprodukte oder Statussymbole von Raumausstattern. Das entspricht nicht Aya Ben Rons Vorstellungen: »Ich möchte Menschen in ihrem Denken verändern – nicht in ihren Konsumgewohnheiten.«

»A Voyage to Cythera«. Medizinhistorisches Museum der Charité Berlin, bis 9. September
www.avoagetocythera.com

»First Aid Station«, Aando Fine Art, Tucholskystraße 35, 10117 Berlin, bis 29. Juni
www. aandofineart.com

Hochstapler

»Tinder Swindler« in Georgien verhaftet

Der aus der Netflix-Doku bekannte Shimon Hayut wurde auf Antrag von Interpol am Flughafen festgenommen

 16.09.2025

Eurovision Song Contest

Streit um Israel: ESC könnte wichtigen Geldgeber verlieren

RTVE ist einer der fünf größten Geldgeber des Eurovision Song Contest. Umso schwerer wiegt der Beschluss, den der spanische Sender verkündet

 16.09.2025

Literatur

Bestseller aus Frankreich: »Der Barmann des Ritz«

Philippe Collin hat ein packendes Porträt über einen jüdischen Barkeeper im Zweiten Weltkrieg geschrieben

von Sibylle Peine  16.09.2025

Belgien

Gent bleibt hart: Lahav Shani bei Festival weiter unerwünscht

Nach massiver Kritik befasste sich der Verwaltungsrat des Musikfestivals am Montagabend erneut mit der Ausladung der Münchner Philharmoniker. Es blieb bei der Ausladung

von Michael Thaidigsmann  16.09.2025

Bundesamt für Statistik

Dieser hebräische Vorname ist am beliebtesten bei Schweizer Eltern

Auch in der Schweiz wählen Eltern weiterhin häufig biblische Namen für ihr Neugeborenes

von Nicole Dreyfus  16.09.2025 Aktualisiert

Nach Absage in Belgien

Lahav Shani in Berlin: Ein außergewöhnliches Konzert

Der Israeli hielt die Spannung mit den Händen – der Dirigent und die Münchner Philharmoniker wurden mit Standing Ovations gefeiert

von Maria Ossowksi  16.09.2025

Berlin

Kulturausschuss lädt Dirigenten Lahav Shani zu Gespräch ein

Die Konzert-Absage an den israelischen Dirigenten sorgt für Kritik - und für Gesten der Solidarität. Nach einem Konzert in Berlin macht auch der Kulturpolitiker Sven Lehmann eine Ansage

 16.09.2025

Nach Absage in Belgien

Dirigent Shani in Berlin gefeiert

Nach der Ausladung von einem Festival werden die Münchner Philharmoniker und ihr künftiger Chefdirigent Lahav Shani in Berlin gefeiert. Bundespräsident Steinmeier hat für den Fall klare Worte

von Julia Kilian  15.09.2025

Essen

Festival jüdischer Musik mit Igor Levit und Lahav Shani

Der Festivalname »TIKWAH« (hebräisch für »Hoffnung«) solle »ein wichtiges Signal in schwierigen Zeiten« setzen, hieß es

 15.09.2025