Meinung

Wie gehen Sie damit um?

Ausgerechnet das woke Milieu ist blind auf beiden Augen, wenn es um Juden und Israel geht

von Nicole Dreyfus  02.11.2023 15:00 Uhr

Nicole Dreyfus Foto: Claudia Reinert

Ausgerechnet das woke Milieu ist blind auf beiden Augen, wenn es um Juden und Israel geht

von Nicole Dreyfus  02.11.2023 15:00 Uhr

Vor ein paar Tagen stellte ein Schweizer Journalist in einer Sendung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks seinem jüdischen Radiogast die Frage: »Seit dem Holocaust sind noch nicht so viele Juden umgebracht worden. Wie gehen Sie damit um?«

In seiner Tonalität lag eine Art von professioneller Nonchalance, die nicht zu ertragen war. Damit kann man nicht umgehen! Wie soll man denn mit dem Brutalsten des Brutalen umgehen können? Menschen, die der Welt meisterhaft inszeniert vorführen, wie sie andere abschlachten, sind keine Menschen. Es sind noch nicht einmal Tiere. Es sind Bestien.

Nach solchen Ereignissen verstummen viele Menschen – entweder sind sie sprachlos, oder sie haben Angst. Oder aber – und das gibt mir besonders zu denken –, sie verwandeln sich in Gutmenschen, die einem die Welt erklären wollen. Aber auch hier wieder: Was gibt es zu verstehen, wenn Menschen einfach abgeschlachtet werden?

Bei Terrorismus gibt es nichts zu erklären. Er ist mit nichts zu legitimieren, auch nicht mit israelischer Politik. Selbstverständlich kann und soll sie kritisiert werden, wenn der Kontext es zulässt. Doch Kritik und Ideologie stehen zusammen auf Messers Schneide. Es ist nicht weiter erstaunlich, dass gerade intellektuelle Kreise nicht in der Lage sind, hier zu differenzieren. Das jüngste Beispiel in Harvard zeigt, dass die aktuellen Diskurse – also all die woken, identitären und postkolonialen Theorien, wo es um Diversität, Rassismus und Minderheiten geht – keine scharfe Trennlinie zwischen Juden und Antisemitismus ziehen.

Es ist irritierend, dass ausgerechnet jene, die sich mit Diversität, Rassismus und Minderheiten beschäftigten, auf beiden Augen blind sind, wenn es um Juden und Antisemitismus geht. Was dazu führt, dass die Lesart der Ereignisse auch das Opfer-Täter-Schema dreht. Dann überraschen auch Stellungnahmen wie diese von mehr als 30 studentischen Organisationen der Harvard University vom 7. Oktober nicht: »Wir machen das israelische Regime vollumfänglich verantwortlich für die sich entwickelnde Gewalt.«

Ja, die Situation in Gaza ist desolat und grauenhaft. Tote Zivilisten sind immer zu viel. Aber die Attacken des 7. Oktober haben nicht nur »sur place« stattgefunden. Mit ihnen geriet die ganze Welt ins Wanken – sowohl politisch als auch gesellschaftlich. Und es braucht kein Orakel von Delphi, das voraussagt, dass nun Angst in den Köpfen jüdischer Menschen grassiert.

Dass außerhalb Israels Eltern ihre Kinder nur noch mit Vorbehalt in jüdische Kindergärten und Schulen schicken, weil sie sich zu Hause, sei es in Deutschland, Frankreich, Holland oder in der Schweiz, unwohl fühlen.

Und vor allem, dass Israel, ein Ort, wo man sich als jüdische Person sicher und zu Hause gefühlt hat, wohl nie mehr dieses Land sein wird – jedenfalls vorerst. Wie war das noch mal mit der Frage: »Wie gehen Sie damit um?«

Trinity College Dublin

Kniefall vor der BDS-Bewegung

Nach Campus-Protesten Studierender will die führende Universität Irlands ihre Beziehungen zu Israel überdenken

von Michael Thaidigsmann  13.05.2024

Trauer

Auschwitz-Überlebender Ivan Ivanji gestorben

Noch am Mittwoch nahm der Schriftsteller an der Eröffnung des Museums Zwangsarbeit in Weimar teil

 10.05.2024

Schweiz

Zimmern und Streichen mit Kippa

Jüdische Handwerksbetriebe sind rar, aber es gibt sie. Wir haben zwei Unternehmer besucht

von Peter Bollag  10.05.2024

Aachen

Aufrüttelnde Appelle gegen Judenhass beim Karlspreis

Preisträger Goldschmidt mahnte in seiner Dankrede, jüdisches Leben sei leider nicht mehr selbstverständlich

von Gottfried Bohl  10.05.2024

Perspektive

Dieser Tag

Unser Autor Igor Mitchnik über seinen ganz persönlichen Blick auf den 9. Mai

von Igor Mitchnik  09.05.2024

Aachen

»Ich bin zu alt, um an Märchen zu glauben, aber zu jung, um aufzugeben«

Die Rede des Karlspreisträgers 2024 im Wortlaut

von Rabbiner Pinchas Goldschmidt  09.05.2024

USA

Biden warnt vor Antisemitismus und versichert Israel Unterstützung

Gewalt und Antisemitismus hätten keinen Platz in Amerika, so der Präsident

 08.05.2024

Österreich

Wiener Kunstblut

Ein jüdischer Aktivist sorgte mit einer Aktion bei einer Antisemitismustagung in Wien für Aufsehen

 07.05.2024

Lausanne

»Es ist ein Angriff auf das Prinzip der Universität«

Israelfeindliche Aktivisten besetzen die Universität, hetzen gegen den jüdischen Staat und setzen die Hochschule unter Druck. Ein Interview mit Professor Jacques Ehrenfreund

von Sophie Albers Ben Chamo  07.05.2024