Panama

Surfen im Paradies

Der morgendliche Dunst kriecht langsam aus dem Dschungel, als hinter den üppig bewachsenen Hügeln die ersten Sonnenstrahlen hervortreten. Der seichte Wind rauscht leise in den Palmenblättern und wird nur von den Wellen übertönt, die gegen den dunklen pazifischen Sandstrand anrollen. Einige tropische Vögel trällern ihren Sonnengruß, ansonsten ist es noch ruhig. Die ersten Surfer paddeln hinaus auf den tiefblauen Ozean – in freudiger Erwartung der perfekten Welle.

»Playa Venao hat eine bestimmte Magie, eine mystische Atmosphäre, die schwer zu greifen ist, aber die Menschen einfach anzieht. Für mich bedeutet Venao endlose Freiheit: Es ist ein sicherer Ort, umgeben von Natur, hier gibt es nicht diese Hektik wie in der Stadt.

vogelperspektive Wenn man aus der Vogelperspektive auf Venao schaut, sieht die Bucht aus wie ein symmetrischer Magnet, und so fühlt man sich auch: magnetisiert. Jeder, der einmal hier war, wird immer wieder hierher zurückgezogen«, erzählt Gigi Amir (41), während er vor seiner Surfschule im Schatten eines Mandelbaums sitzt und auf Kundschaft wartet.

Das Surfen ist für Rabbi Klein mehr als nur ein Sport.

Aufgewachsen in einem ehemaligen kleinen Fischerdorf an der israelischen Mittelmeerküste, war Gigi schon von klein auf in jeglichen Sport vernarrt, der mit dem Meer zu tun hatte: erst das Windsurfen, dann Kitesurfen und natürlich auch Wellenreiten.

Später arbeitete er als Surflehrer, merkte aber schnell, dass ihm das Arbeitsklima in Israel nicht gut gefiel. »Die Konkurrenz zwischen den Surfgewerben ist riesig, und der Umgang untereinander ist nicht sehr freundlich. Außerdem sind die Bedingungen zum Surfen nicht die besten: Das Mittelmeer ist klein, man bekommt nicht jeden Tag gute Wellen, und es ist ein saisonaler Job, denn im Winter ist das Wasser zu kalt.«

Aber nicht nur die Suche nach guten Wellen und warmem Wasser zog Gigi nach Panama. »Ich wusste, dass ich sehr gut war in meinem Job, und irgendwann passten meine Ambitionen und Träume nicht mehr mit dem zusammen, was ich in Israel sah. Am Ende wollte ich unabhängig sein. Ich habe gemerkt, wie wichtig mir das ist, mein eigener Boss zu sein.«

Also kam der freiheitssuchende Gigi 2009 mit seiner heutigen Ehefrau als einer der Ersten nach Playa Venao und machte seinen Traum wahr: eine eigene Surfschule. Dabei erhielt er Unterstützung von israelischen Bekannten, die ebenfalls Projekte in der Gegend umsetzten.

NOMADEN Inzwischen ist Playa Venao einer der bekanntesten Surfstrände Panamas, an dem auch viele nationale und internationale Meisterschaften stattfinden. Neben den guten Wellen bietet der kleine Ort alles, was junge Reisende suchen: extravagante Hostels für digitale Nomaden, hippe Smoothie-Bowl-Läden und authetische Strandbars, in denen nachts zu rhythmischer House-Musik oder zu Latinoklängen leidenschaftlich getanzt wird.

Das zieht junge Touristen aus aller Welt an, vor allem Israelis. Denn die Besitzer der meisten Lokale und Hotels in Venao sind Landsleute, und die Mundpropaganda funktioniert unter jungen Israelis sehr gut, wie die 23-jährige Noa Nahum erzählt.Sie reist für drei Monate durch Lateinamerika, und Playa Venao wurde ihr von einer Freundin empfohlen: »Israelis ziehen sich gegenseitig an. Wir reisen an dieselben Orte, und Playa Venao ist wie ein Kibbuz: ein kleines Dorf, das durch die selbstversorgende Gemeinschaft funktioniert. Man ist nie allein«, erzählt Noa.

Ihr gefällt Venao, weil es ruhig und so weit entfernt von zu Hause ist. Nach dem Militärdienst nutzen die meisten jungen Israelis ihre neu gewonnene Freiheit, um einige Monate durch die Welt zu reisen. Noa glaubt, dass die Wehrpflicht auch einer der Gründe ist, warum sich die jungen israelischen Reisenden so verbunden fühlen: »Wir haben alle das Gleiche durchgemacht. Man muss tough sein und zusammenhalten. Man wird wie eine richtige Familie. Die Wehrpflicht ist wichtig und verändert das Leben.«

militärdienst Noa vermutet, dass Lateinamerika wegen der Partys ein so beliebtes Reiseziel für junge Israelis ist. Sie wollen die Erlebnisse während des Militärdienstes hinter sich lassen. Tatsächlich werden in Venao jedes Jahr Musikfestivals veranstaltet, die vor allem in den Social-Media-Kreisen junger Israelis bekannt sind und für die allein viele die lange Reise nach Panama auf sich nehmen.

Viele der Reisenden schätzen die jüdische Gemeinde vor Ort, die seit einigen Jahren langsam wächst.

Dann verwandelt sich der kleine Ort für zwei Wochen in ein großes Festivalgelände: mit Yoga- und Meditations-Workshops tagsüber und bunten Lichtinstallationen während der Nacht. Sobald es dunkel wird, erfüllt die elektronische Musik den Strand, und die jungen Leute tanzen mit fliegenden weißen Gewändern und kunstvollem Make-up wie in Trance bis zum Sonnenaufgang.

Viele der Reisenden schätzen aber auch die jüdische Gemeinde vor Ort, die seit einigen Jahren langsam wächst. Vor zwei Jahren wurden sogar ein Chabad-Haus und eine Synagoge eröffnet. Die treibende Kraft dahinter ist der in Südafrika geborene Rabbiner Yariv Klein.

umfeld Der heute 32-Jährige ist in seinem Leben viel herumgekommen. Seine Familie trat zum Judentum über und wanderte nach Israel aus, als er acht Jahre alt war. Aufgewachsen in einem liberalen Umfeld, hat er gelernt, viele verschiedene Perspektiven zu schätzen. Mit 18 ließ er sich in Moskau zum Rabbiner und Schochet ausbilden. Danach zog es ihn – wie viele andere – für eine Reise nach Lateinamerika.

»Ich fing an, die Kultur, die Hitze und die Menschen richtig zu mögen, deswegen blieb ich länger hier und leistete Freiwilligenarbeit in verschiedenen Chabad-Häusern. Ich habe vor allem mit jungen israelischen Backpackern gearbeitet, die gerade ihre Wehrpflicht beendet hatten. Sich gegenseitig zu inspirieren und zu beeinflussen, faszinierte mich.« Nach einem Jahr, 2013, habe er sich, wie er sagt, seiner »eigenen Mission widmen« und selbst ein Chabad-Haus in Mittelamerika eröffnen wollen, erinnert sich Yariv Klein, und sein Blick schweift über den Ozean.

Panama gilt als das Land mit der größten jüdische Gemeinde Mittelamerikas. Offiziellen Angaben zufolge leben dort rund 14.000 Juden. Trotzdem gab es bis vor zehn Jahren kein »Chabad for Travelers« – weder in Panama noch in den Nachbarländern Kolumbien oder Costa Rica. Das war einer der Gründe, warum sich Rabbi Klein dafür entschied, sich mit seiner Mission in Panama, also direkt in der Mitte, niederzulassen. Das erste Chabad-Haus eröffnete er an der Karibikküste in Bocas del Toro. Vor zwei Jahren kam ein weiteres in Playa Venao hinzu.

traum »Die Menschen hier leben ihren Traum, und diese Energie spürt man, und sie inspiriert einen, das Gleiche zu tun. Jeder hier ist besonders, aber wir alle lieben den Ozean, das Leben und die Mitmenschen. Das sind Werte, die ich schätze – deswegen bin ich gern hier.«

Wie Gigi Amir ist auch Rabbi Klein leidenschaftlicher Surfer. Obwohl er neben seiner Gemeindearbeit Rabbinatsstudenten online unterrichtet und viel Zeit mit seiner Frau und den fünf Kindern verbringt, findet er mehrmals die Woche Zeit für den Sport.

Das Surfen ist für ihn mehr als nur ein Hobby: »Beim Surfen ist es wichtig, die Kraft der Natur zu erkennen und die Wellen lesen zu können. Dabei lernt man auch viel über sich und seine Anpassungsfähigkeit an etwas viel Größeres. Man wird Teil der Natur, Teil dieser Kraft, die der Ozean einem gibt.« Dieses Gefühl möchte Gigi seinen Kunden mitgeben.

TRÄNEN Viele Touristen wollen Surf­unterricht bei ihm nehmen und haben den Sport noch nie in ihrem Leben ausprobiert. Einige haben großen Respekt vor dem Ozean. »Angst ist wie ein Schneeball. Wenn man sich seiner Angst nicht stellt, wird sie größer. Aber wir nehmen diese Leute und lassen sie es versuchen, denn das Erlebnis kann ihr Leben verändern. Wir finden Wege, jedem, der möchte, das Surfen beizubringen«, erklärt der Lehrer. »Kürzlich hatte ich eine Kundin, die blind war. Sie auf dem Surfboard stehen zu sehen, hat mich so gerührt, dass mir die Tränen kamen.«

Auch wenn der Surflehrer häufig an sein Heimatland denkt und das eine oder andere durchaus vermisst, möchte er nicht wieder zurück nach Israel.

Gigi Amir sieht sich und seine Familie auch in Zukunft in Playa Venao. Deswegen plant er mit zwei Partnern ein Projekt, um weiterhin in die Gemeinde zu investieren. Da Venao überwiegend Touristen beherbergt, möchte Gigi sich für bezahlbaren Wohnraum für Familien einsetzen. Außerdem wünscht er sich eine Schule für seinen viereinhalbjährigen Sohn und viele andere Kinder der Gemeinde. Die Schule im benachbarten Dorf ist nach Gigis Empfinden zu weit entfernt und die Warteliste viel zu lang.

Auch wenn der Surflehrer häufig an sein Heimatland denkt und das eine oder andere durchaus vermisst, möchte er nicht wieder zurück nach Israel. Dies liege auch an der politischen Lage, sagt er bedacht: »Nachdem ich so viele Jahre hier in Panama gelebt habe, sehe ich die Dinge aus einer anderen Perspektive.« Neben dem Meer und den Wellen liebt er an Playa Venao vor allem, dass dort jeder gern sein darf, wie er mag: »Ob jüdisch, religiös oder was auch immer – solange du das Leben liebst und ein Lächeln auf den Lippen hast, bist du hier willkommen.«

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