Runder Geburtstag

Ruth Weiss wird 100

Ruth Weiss wird am 26. Juli 100 Jahre alt. Foto: picture alliance/dpa

Als die achtjährige Ruth am 1. Februar 1933 wie jeden Tag in die Rückersdorfer Volksschule ging, war mit einem Mal alles anders. »Ich hatte keine Schulbankfreundin mehr, und die Kinder saßen alle zusammengedrückt weit entfernt von mir«, erinnert sich Ruth Weiss im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd).

In dem Dorf bei Nürnberg wurden jüdische Menschen schon unmittelbar nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten ausgegrenzt und verfolgt.

Heute ist eine Realschule im bayerischen Aschaffenburg nach Ruth Weiss benannt, und ihr Roman »Meine Schwester Sara« war mehrfach Pflichtlektüre in den Realschulen Baden-Württembergs. Für ihr Engagement gegen Rassismus und Diskriminierung sowie für ihre journalistische Berichterstattung über die Unabhängigkeitsbewegungen des südlichen Afrikas erhielt sie zahlreiche Auszeichnungen, unter anderem in diesem Frühjahr das Bundesverdienstkreuz 1. Klasse.

Gemischtwarenladen in Johannesburg

2005 gehörte sie zu den 1000 Frauen, die die Schweizer Organisation »FriedensFrauen weltweit« für den Friedensnobelpreis nominierte.

Am 26. Juli wird Ruth Weiss 100 Jahre alt.

Als Ruth Löwenthal kam sie 1924 im fränkischen Fürth zur Welt.

Schon kurz nach der Machtübernahme Adolf Hitlers gelang dem Vater die Emigration nach Südafrika. Die Mutter blieb zunächst mit Ruth und ihrer Schwester Margot in Fürth, wo die Mädchen die Israelitische Realschule besuchten.

»In der Schule waren viele Kinder wie wir, die auf die Ausreise warteten«, erinnert sie sich. »Von Heimatgefühl war da schon keine Spur mehr.« 1936 folgte die Familie dem Vater ins südafrikanische Johannesburg, wo dieser einen Gemischtwarenladen übernahm.

Repressalien und Rassentrennung

Gerade selbst den Repressalien der Nationalsozialisten entflohen, erlebte die junge Ruth in Johannesburg die Rassentrennung als zutiefst ungerecht. »Ich stellte schnell fest, dass es in Südafrika gleiches Recht für alle gab, nur nicht für Schwarze, genau wie es in Fürth nur gleiches Recht für Arier gegeben hatte.«

Auch wenn ihre Familie in bescheidenen Verhältnissen lebte, so hätte Ruth doch als Weiße in Südafrika ihre Privilegien als selbstverständlich hinnehmen können, würdigte die südafrikanische Literaturnobelpreisträgerin Nadine Gordimer (1923-2014) ihre enge Freundin.

Ruth Weiss hingegen habe die Verantwortung für die Verhältnisse in ihrem Einwanderungsland so angenommen, als wäre sie dort hineingeboren: »Noch dazu in einer Weise, wie dies nur sehr wenige Weiße getan haben.«

Lesen Sie auch

»Völlig unüblich«

Ruth Weiss schloss sich in Johannesburg der jüdischen Kulturvereinigung an, in der sich kritische intellektuelle Emigranten trafen. Dort sei sie mit politischem Denken in Kontakt gekommen, sagt sie. Zudem traf sie hier ihren deutlich älteren Mann, den Journalisten Hans Weiss.

Dieser schob ihr immer öfter journalistische Aufträge zu, die er nicht selbst erledigen wollte. Neben ihrem damaligen Job als Versicherungsangestellte schrieb Ruth Weiss unter seinem Namen Artikel für deutsche Medien und übernahm auch seine Dienstreisen.

»Es war damals völlig unüblich für eine Frau, alleine durch Afrika zu reisen«, erzählt sie. Dadurch habe sie aber schon früh Kontakte zu afrikanischen Freiheitsbewegungen knüpfen können. Ab 1960 stieg sie dann offiziell in den Journalisten-Beruf ein.

Nicht mehr erwünscht

Inzwischen getrennt von Hans Weiss, arbeitete sie zunächst für südafrikanische Wirtschaftszeitungen. Wegen ihrer kritischen Berichterstattung über das Apartheid-System wurde ihr 1965 während einer längeren Dienstreise nach Deutschland mitgeteilt, dass sie in Südafrika nicht mehr erwünscht sei. »Ein Ereignis, mit dem ich nicht gerechnet hatte«, sagt sie rückblickend.

Ab 1966 arbeitete die alleinerziehende Mutter eines Sohnes in der britischen Kolonie Rhodesien, dem späteren Simbabwe, sowie in Sambia - unterbrochen von mehreren Stationen in London. Sie lernte viele spätere Staatschefs wie Nelson Mandela oder den sambischen Präsidenten Kenneth Kaunda persönlich kennen.

Von 1975 bis 1978 versuchte sie es noch einmal in ihrem Geburtsland und arbeitete in Köln bei dem Rundfunksender »Deutsche Welle«. »Das war keine gute Zeit«, sagt sie. »Damals waren die Deutschen bestrebt, mit der Nazi-Zeit nichts mehr zu tun zu haben.«

Bauernhof in Dänemark

Das sei 20 Jahre später ganz anders gewesen: Seit den 1990er Jahren war Ruth Weiss - mittlerweile im Ruhestand - regelmäßig in deutschen Schulen als Zeitzeugin zu Gast und las aus ihrem Roman »Meine Schwester Sara«.

Im Jahr 2002 kehrte sie noch einmal ganz nach Deutschland zurück und lebte 13 Jahre lang im münsterländischen Lüdinghausen, wo sie enge Freunde hat. Inzwischen wohnt sie bei ihrem Sohn, ihrer Schwiegertochter und ihrem Enkel auf einem Bauernhof in Dänemark.

Immer noch ist Ruth Weiss als Zeitzeugin an Schulen gefragt - wenn auch zuletzt per Video-Call. Heute bedrücken sie das Wiedererstarken des Rechtsextremismus und die Zunahme antisemitischer Übergriffe in Deutschland, wie sie sagt: »Ermutigend ist aber, dass Menschen dagegen demonstrieren.«

Schweiz

NGO verklagt Schweiz wegen Kauf israelischer Drohnen

Ein Kollektiv aus Genf will mit einer Klage erreichen, dass die Schweiz keine Drohnen aus Israel beschafft

 17.07.2025

London

Geheimbesuch vom Monarchen

Er kam, um ihr persönlich zum Geburtstag zu gratulieren, und blieb eine halbe Stunde: König Charles III. war bei Anita Lasker-Wallfisch zu Gast

von Michael Thaidigsmann  17.07.2025

Auszeit

Mit Schwimmkleid ins Wasser

Wie orthodoxe Frauen im Sommer am Zürichsee eine Auszeit vom Alltag nehmen

von Nicole Dreyfus  17.07.2025

Geburtstag

Einziger jüdischer NASA-Chef: Dan Goldin wird 85

Als er Administrator der Raumfahrtbehörde wurde, wollte er alles »schneller, besser und billiger« hinkriegen. Denn Geldfresser bremsten die NASA

von Imanuel Marcus  17.07.2025

Iran

Esthers Kinder

Wie die älteste Diaspora-Gemeinschaft 2700 Jahre überlebte – und heute erneut um ihre Existenz kämpft

von Stephen Tree  16.07.2025 Aktualisiert

Interreligiöser Dialog

»Das ist Verrat«

Ein Imam aus den Niederlanden nahm an einer Reise muslimischer Geistlicher nach Israel teil - prompt verlor er seinen Job

von Michael Thaidigsmann  15.07.2025

USA

Düsterer »Nice Jewish Boy«

Seinen ersten Kinofilm sah Ari Aster im Alter von vier Jahren und ist fast daran gestorben. Als junger Hollywood-Regisseur mischt er nun das Horror-Genre auf

von Sarah Thalia Pines  14.07.2025

Die in Genf geborene Schweizer Schriftstellerin und Philosophin Jeanne Hersch aufgenommen im März 1999

Philosophie

Der Moment des Staunens

Am 13. Juli jährt sich der Geburtstag von Jeanne Hersch zum 115. Mal. Lange wurde die Existentialistin ausgerechnet von der akademischen Forschung marginalisiert – und kaum als jüdische Philosophin wahrgenommen

von Richard Blättel  11.07.2025

Spanien

»Haut ab, ihr Hurensöhne« - Wirt vertreibt Israelis

Ein Gastwirt rastet gegenüber einer Gruppe israelischer Touristen aus, beschimpft sie und verweist sie des Lokals

von Michael Thaidigsmann  11.07.2025