Warschau

»Mir zaynen do«

Leise und eindringlich ist Marian Turskis Stimme. Als der Schoa-Überlebende aus Lodz nach dem Staatspräsidenten Israels, Reuven Rivlin, ans Mikrofon eilt, um ein paar Worte zur Eröffnung des jüdischen Museums in Warschau zu sagen, halten die Gäste auf dem großen Platz den Atem an. »Mir zaynen do«, sagt der 88-jährige auf Jiddisch.

Er deutet auf das Denkmal für die Helden des Warschauer Ghettoaufstandes 1943 und das direkt gegenüber erbaute jüdische Museum, nickt den Präsidenten Israels und Polens zu und wiederholt den Refrain aus der jüdischen Widerstandshymne: »Sag nicht keinmal, dass du gehst den letzten Weg – Wir sind da!«

POLIN Fast alle Präsidenten und viele Regierungschefs in Israel seien entweder in Polen geboren oder hätten über ihre Eltern und Großeltern Wurzeln im Land an der Weichsel, so auch er selbst, erklärt Rivlin am Dienstag bei der Eröffnung des Museums POLIN in Warschau. Zwar sei er in Jerusalem geboren, doch seine Familie stamme aus Polen: »Israel und Polen sind untrennbar miteinander verbunden.«

Das neue jüdische Museum in Polens Hauptstadt Warschau verändere vieles in der gegenseitigen Wahrnehmung. »Das Museum wird an alles erinnern, was einmal war und niemals zurückkehren wird«, so Rivlin. »Aber es weckt auch Hoffnung auf eine andere Zukunft.«

Schon das Terrain sei symbolträchtig: Das Museum stehe mitten im früheren jüdischen Stadtviertel Warschaus, dem später größten Ghetto im nazibesetzten Europa und Schauplatz des jüdischen Kampfes 1943 um Leben und Freiheit. POLIN – auf Hebräisch Polen – sei mehr als nur ein Land des Todes und der Friedhöfe. POLIN stehe auch für jüdisches Leben.

Kommunismus Polens Präsident Bronislaw Komorowski erinnert an die in der Vergangenheit durchaus schwierigen polnisch-jüdischen Beziehungen. »In der Zeit des Kommunismus wurde unsere gemeinsame Geschichte deformiert und verfälscht. Erst das Jahr 1989 gab uns mit der Wiedergewinnung der Souveränität eine neue Chance.« Im nun wieder freien und demokratischen Polen sei es möglich geworden, ein Museum wie POLIN zu realisieren. Es sei eine »Investition in die Zukunft«.

Ähnlich sieht dies auch Zygmunt Rolat, ein Schoa-Überlebender aus Tschenstochau, der nach dem Krieg in die USA emigrierte und nun einer der Hauptmäzene der Dauerausstellung »1000 Jahre jüdisches Leben in Polen« ist. Am Vortag der Eröffnung sagte er in einem Fernsehinterview: »Ich hoffe sehr, dass die amerikanischen und israelischen Jugendlichen, die nach Polen reisen, dieses Land in Zukunft nicht mehr nur als ein Land der nazi-deutschen Vernichtungslager und jüdischen Friedhöfe wahrnehmen.« Auch die polnische Jugend könne viel Neues im Museum lernen, so etwa, dass es jüdische Soldaten gegeben hat, die als Patrioten für Polens Freiheit gekämpft haben, dass die Filmindustrie in Hollywood von polnischen Juden mitaufgebaut wurde und dass der Staat Israel seinen Ursprung in Polen hat.

Dariusz Stola, der seit einem halben Jahr amtierende Direktor des Museums, hofft auf einen baldigen Besuch des amerikanischen Präsidenten Barack Obama und seiner Familie. Angekündigt hatte Obama diese Visite bereits im vergangenen Jahr, als er am 70. Jahrestag des Warschauer Ghettoaufstandes 1943 das architektonisch beeindruckende Gebäude miteinweihte.

Konzerte Seither ist das Museum zu einem Zentrum für jüdische Kultur und Bildung geworden: Konzerte, Vorträge, Theater- und Filmvorführungen, Stadtspaziergänge und bislang fünf Wechselausstellungen lockten bereits rund 200.000 Besucher ins damals noch leere Museum.

Unterwegs Seit einiger Zeit gibt es auch ein »Museum auf Rädern«, da nicht alle an jüdischer Geschichte interessierten Polen die Möglichkeit haben, nach Warschau zu fahren und dort ins Museum zu gehen. So kommt eben das Museum zu ihnen.

Rivlin nutzte den zweitägigen Besuch in Polen auch, um Verträge zur bilateralen Zusammenarbeit in Forschung und Wirtschaft zu unterschreiben. Schon heute sind zahlreiche Unternehmen aus Israel in Polen aktiv.

Für die Bundesregierung, die mit einem Betrag in Höhe von fünf Millionen Euro ebenfalls zu den großen Mäzenen des jüdischen Museums in Warschau zählt, kam Staatsministerin Maria Böhmer zur Eröffnungsfeier. »Wir haben dieses Jahr des 75. Jahrestags des deutschen Angriffs auf Polen gedacht, der die fast komplette Vernichtung jüdischen Lebens in Polen und in Europa zur Folge hatte«, so Böhmer. »Ich wünsche mir, dass auch viele Deutsche, die nach Warschau reisen, das Museum besuchen.«

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