Ukraine

Jüdisch in Dnipro

Teil des größten jüdischen Kulturzentrums der Welt: die Goldene-Rosen-Synagoge in der Stadt Dnipro Foto: Jutta Sommerbauer

Das gibt es nur hier», sagt Oleg Rostowzew und zeigt auf die Wand. «Das ist ziemlich eigenartig.» In weißem Stein sind die Förderer des Wiederaufbaus der Goldene-Rosen-Synagoge eingraviert. Da steht der Name von Ihor Kolomojskyj, aus Dnipro stammender jüdischer Geschäftsmann, «der Retter der Ukraine vor der russischen Aggression», wie Gemeinde­sprecher Rostowzew sagt. Kolomojskyj war 2014/15 Gouverneur des Dnjepropetrowsker Gebiets, ernannt von dem damaligen Präsidenten Petro Poroschenko, der den Oligarchen einsetzte.

Kolomojskyj finanzierte ukrainische Freiwilligenbataillone und verhinderte damit ein Übergreifen der prorussischen Welle aus dem Donbass auf die zentral­ukrainische Metropole. Dafür wird er noch immer hoch geschätzt – nicht nur in der jüdischen Gemeinde.

präsident Später überwarf sich Kolomojskyj mit Poroschenko, lebte längere Zeit im Ausland und kehrte erst diesen Frühling wieder in die Ukraine zurück. Zeitgleich wurde Wolodymyr Selenskyj zum Präsidenten gewählt. Dessen Partei «Diener des Volkes» sitzt mittlerweile mit absoluter Mehrheit im Parlament.

Innerhalb weniger Monate hat der 41-jährige Schauspieler Selenskyj die politische Landschaft der Ukraine durcheinandergewirbelt. Indirekt geholfen hat ihm dabei die Medienmacht Ihor Kolomojskyj. Auf dessen Fernsehkanal 1+1 war Selenskyj im Wahlkampf der klare Favorit.

Rostowzew ist davon weniger begeistert. Zwar gibt er nicht gern politische Kommentare ab, aber: «Kolomojskyj hatte seinen historischen Moment bereits.» Dann zeigt Rostowzew auf einen anderen Namen: Iossif Kobson. Ein aus dem Donbass stammender jüdischer Schlagersänger, der bis zu seinem Tod in Moskau lebte und die prorussischen Separatisten in Donezk mit Konzerten unterstützte. «Er hasste die Ukraine», sagt Rostowzew. Bei der feierlichen Eröffnung der Synagoge 2001 war er neben vielen Ehrengästen anwesend.

veränderungen Zwischen Kolomojskyj und Kobson: Die schwierigen Veränderungen, die die ukrainische Gesellschaft seit mehreren Jahren durchmacht, sind auch in der jüdischen Gemeinde zu spüren.

In Dnipro, das von 1926 bis 2016 Dnjepropetrowsk hieß, leben Schätzungen zufolge 40.000 bis 80.000 Juden. Die hiesige Gemeinde ist die größte in der Ukraine und eine Einheitsgemeinde. Rostowzew, ein hochgewachsener Mann mit grau meliertem Bart, ist ihr Sprecher und Mitglied des Vorstands. Sein Gesicht kennt man in den Straßen der Ein-Millionen-Metropole, denn er hat eine Sendung in einem der lokalen Fernsehsender und ist bekannt für seine freimütigen Facebook-Kommentare.

Der höchste Turm des Gemeindezentrums misst 77 Meter.

Für Rostowzew ist klar, welchen Weg die Ukraine – und mit ihr die jüdische Gemeinde – nehmen soll. «Die Ukraine ist ein krankes Land, das an einem post­totalitären Trauma leidet, sich aber auf dem Weg der Besserung befindet», sagt er später in seinem Büro im Jüdischen Zentrum Menorah, das sich hinter der Synagoge in die Höhe reckt. Es ist ein eindrucksvoller Büro- und Veranstaltungskomplex mit sieben Türmen – der höchste ist 77 Meter hoch! – auf einer Fläche von 55.000 Quadratmetern.

Hier befinden sich zwei Hotels, Restaurants, ein Medizinisches Zentrum, eine Mikwe, Büros jüdischer Organisationen und verschiedene Firmensitze. Die Gänge sind voller Besucher, im großen Saal wird gerade eine Hochzeit vorbereitet.

Vom 18. Stock hat man einen herrlichen Blick auf die Stadt. Dort oben vermiete die Gemeinde «Zimmer für Frischverheiratete», sagt Rostowzew. «Sie verbringen hier oben gern ihre Flitterwochen.»

Konflikt Für Rostowzew sind die Juden Teil der ukrainischen Gesellschaft mit all ihren offenen Fragen. «Wir versuchen, wie der Rest der Gesellschaft, uns selbst zu finden – unsere ukrainische jüdische Identität.» Es gebe nur einen bestimmenden Konflikt: «Zwischen denen, die vorwärts wollen, und jenen, die zurück wollen in die Vergangenheit – sei es in die Sowjetunion, ins Zarenreich oder in eine ideale Vergangenheit, die nie existiert hat.»

Der nationale Entwicklungsschub, den die Ukraine seit der Maidan-Revolution erlebt, macht auch vor der jüdischen Gemeinde nicht halt. Obwohl traditionell russischsprachig, hätten viele inzwischen ins Ukrainische gewechselt, erzählt Rostowzew. Immer mehr Juden blicken mit Stolz auf die vergangenen Jahre: Sie nahmen an den landesweiten Kundgebungen teil, und unter den Toten am Kiewer Maidan waren auch Juden.

Hier am Fluss Dnipro sind die Spannungen des Konflikts spürbar, denn die Stadt liegt nicht weit entfernt von der Front in der Ostukraine. Man kennt die Namen der jüdischen Kämpfer, die die Ukraine verteidigten: Ascher Tscherkasskij etwa, der seine Uniform dem Museum im Erdgeschoss des Menorah-Zentrums spendete.

ausstellung Denis Schatalow führt durch die Ausstellung. Der 29-Jährige ist wissenschaftlicher Mitarbeiter des Ukrainischen Holocaust-Forschungszentrums Tkuma, das sich neben dem Museum befindet. Dort erforscht man die jüdische Geschichte der Region und versucht, eine inklusive Erinnerungskultur zu etablieren – eine Arbeit, die in der Ukraine erst am Anfang steht.

Dass sich die Ausstellungsmacher nicht vor unangenehmen Themen drücken, wird in der Schau rasch deutlich.

Dass sich die Ausstellungsmacher nicht vor unangenehmen Themen drücken, wird in der Schau rasch deutlich. «Wir sind provokant», sagt Schatalow. Da wird die Nazi-Kollaboration von Ukrainern thematisiert, und es werden Juden porträtiert, die mit der ukrainischen Aufstandsarmee kooperierten. Auch die Schoa in Dnjepropetrowsk ist wichtiges Thema, bei dem es um Helfer der Juden und ihre Verräter geht.

Das heutige Dnipro blickt auf eine reiche jüdische Geschichte zurück. Die Gründerin der Stadt, Katharina die Große, siedelte Minderheiten wie Armenier, Deutsche und Juden an, um den Handel zu beleben. Mit dem Bau einer Eisenbahnlinie und der Entwicklung der Industrie florierte auch die jüdische Gemeinde. 1913 zählte man mehr als 80 Synagogen und Betstuben. Auf die antijüdischen Pogrome Anfang des 20. Jahrhunderts folgte die Nazi-Besatzung. 20.000 Juden wurden in der Stadt erschossen.

Neugründung Die Neugründung der Gemeinde geschah erst in der unabhängigen Ukraine. Die Bevölkerung wisse wenig über das Judentum, klagt Schatalow. Oft frage er Schülergruppen, welche Religion Juden hätten. «Dann sagen sie: Sie sind Muslime und Katholiken.» Ein populäres antisemitisches Vorurteil lautet: Wer Macht hat, der müsse wohl Jude sein. Schatalow erinnert daran, dass einflussreiche Politiker wie Petro Poroschenko und Julia Timoschenko als Juden dargestellt wurden. Auch beim neuen jüdischen Präsidenten Selenskyj sind einige Gemeindemitglieder besorgt, dass man seine Herkunft negativ aufgreifen könnte, sollte seine Politik erfolglos sein.

Andererseits: Nur fünf Prozent der Ukrainer akzeptieren Juden nicht als gleichberechtigte Bürger – das sind so wenige wie nirgendwo sonst in Osteuropa.

In den Straßen rund um das Menorah-Zentrum kann man viele Orthodoxe sehen. Die Sicherheitsmaßnahmen sind unaufdringlich. Jeder Stadtbewohner kann das Zentrum betreten. Viele tun es. Auf das positive Image ist die Gemeinde sehr stolz. «Jüdisch zu sein, ist in Dnipro wieder modern und prestigeträchtig», sagt Schatalow.

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