Auschwitz-Birkenau

»Ich war kein Kind mehr, ich war kein Mensch mehr, ich war A27633«

Tova Friedman überlebte als kleines Kind das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau. Foto: Screenshot

Tova Friedman ist eine der jüngsten Überlebenden des deutschen Vernichtungslagers Auschwitz-Birkenau. Am Mittwoch richtete die in den USA lebende Frau eindringliche Worte an die Teilnehmer der virtuellen Gedenkveranstaltung des Jüdischen Weltkongresses (WJC) und des Auschwitz-Museums anlässlich des Holocaust-Gedenktags.

»Als kleines Kind, im Alter von fünfeinhalb Jahren, erinnere ich mich an unsere Ankunft in Auschwitz. Wir waren in einen Viehwaggon gesperrt. Zwei Tage lang waren wir ohne Essen und Wasser. Bei der Ankunft wurde ich entkleidet, mein Kopf wurde kahl rasiert und mein Arm tätowiert. Ich war kein Kind mehr, ich war kein Mensch mehr, ich war A27633«, erinnerte sich die 82-Jährige mit gebrochener Stimme.

einsamkeit Das vergangene Jahr sei vor allem für die Überlebenden sehr schwierig gewesen, so Friedman. »Besuche sind nicht möglich, die Alten leben allein in Isolation und Einsamkeit. Wir haben hilflos zusehen müssen, wie Hundertausende Menschen gestorben sind und noch mehr sterben werden. Wir wissen jetzt, wie sehr wir uns gegenseitig brauchen.«

Als besonders belastend empfinde sie, dass sich Rassismus, Hass und Vorurteile immer mehr ausbreiteten. Der Holocaust sei die »Kulmination dieser tödlichen Viren« gewesen. Friedman forderte mehr Engagement dagegen: »Wir Holocaust-Überlebende müssen unsere Mission und unsere Bemühungen, die Menschen aufzuklären, umwidmen: indem wir uns äußern, schreiben, protestieren und demonstrieren«, betonte sie.

Auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier sandte eine Grußbotschaft an die Gedenkveranstaltung.

Auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier sandte eine Grußbotschaft an die Gedenkveranstaltung. In einem Video sagte er: »Wir müssen unsere Sinne wachhalten, Vorurteile und Verschwörungstheorien erkennen und ihnen mit Vernunft, Leidenschaft und Entschiedenheit entgegentreten.«

Antisemitismus und Rassismus dürften nicht geduldet werden, und jedermann sei »aufgerufen, jüdische Mitbürgerinnen und Mitbürger vor Bedrohungen, Beleidigungen und Gewalt zu schützen.

Externer Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen externen Inhalt, der den Artikel anreichert. Wir benötigen Ihre Zustimmung, bevor Sie Inhalte von Sozialen Netzwerken ansehen und mit diesen interagieren können.

Mit dem Betätigen der Schaltfläche erklären Sie sich damit einverstanden, dass Ihnen Inhalte aus Sozialen Netzwerken angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittanbieter übermittelt werden. Dazu ist ggf. die Speicherung von Cookies auf Ihrem Gerät nötig. Mehr Informationen finden Sie hier.

Man gedenke nicht nur der Opfer, sondern tue das auch »für unsere, für eine gemeinsame Zukunft«. Das Gedenken sei »eine Pflicht, aber auch eine Verantwortung. Wir übernehmen sie von jenen, die den Schrecken noch erlebt haben und deren Stimmen weniger werden«, so der Bundespräsident.

Polens Staatspräsident Andrzej Duda und Israels Präsident Reuven Rivlin wandten sich ebenfalls in Videobotschaften an die Zuhörer.

AUFKLÄRUNG Der Präsident des Jüdischen Weltkongresses, Ronald S. Lauder, sagte mit Blick auf die abgesagten Veranstaltungen vor Ort: »Heute ist Auschwitz leer, und wir erinnern uns nur noch virtuell. Aber es ist immer noch wichtig, dass wir das tun, in welcher Form auch immer. Es ist wichtig, dass wir uns erinnern.«

»Wie können wir sechs Millionen begreifen? Wir können es nicht.«

WJC-Präsident Ronald S. Lauder

Gerade in Zeiten der Corona-Pandemie denke man an den »Schmerz, nur ein einziges Menschenleben zu verlieren. Wie aber können wir sechs Millionen begreifen? Wir können es nicht«, so Lauder in seiner Ansprache.

Er frage sich, welche wissenschaftlichen Fortschritte, welche Sinfonien oder großen literarischen Werke durch die anderthalb Millionen jüdischen Kinder, die in der Schoa ermordet wurden, verloren gegangen seien. »Hätte vielleicht eines davon sogar ein Heilmittel für diese Pandemie, die den Globus so verwüstet hat, entwickelt?«, fragte sich der WJC-Präsident.

PASSIVITÄT Heute würden wieder »die Juden« für die Pandemie verantwortlich gemacht. »76 Jahre und drei Generationen nach dem Zweiten Weltkrieg sind die gleichen alten Lügen wieder aufgetaucht. Deshalb müssen wir die Menschen über den Holocaust aufklären – vor allem, wenn so viele junge Menschen noch nie davon erfahren haben, was geschehen ist. Wir müssen dieses Ereignisses jedes Jahr gedenken, weil die Welt daran erinnert werden muss«, betonte Lauder.

Der Direktor der Gedenkstätte Auschwitz-Birkenau, Piotr Cywinski, brandmarkte in seinem Redebeitrag Demagogie und Populismus, an der die westlichen Demokratien aktuell krankten. Xenophobie, Rassismus und Antisemitismus seien auf dem Vormarsch. Die Welt leide an der »eigenen Unfähigkeit, darauf zu reagieren« und »an unserer Passivität«. mth

Spanien

Mallorca als Vorbild

Das Stadtparlament von Palma hat eine Antisemitismus-Resolution verabschiedet – anders als der Rest des Landes

von Sabina Wolf  26.07.2024

Sport

Der Überflieger

Artem Dolgopyat ist in Israel ein Star. Bei den Olympischen Spielen 2021 in Tokio gewann der Turner Gold, 2023 wurde er Weltmeister. Nun tritt er in Paris an

von Martin Krauß  26.07.2024

Europäisches Parlament

»Zittert. Das hier ist nur der Anfang«

Die frisch gebackene französische Abgeordnete Rima Hassan hetzt gegen Israel

von Michael Thaidigsmann  25.07.2024

Ausstellung

Olympioniken im KZ Buchenwald

Auf dem Ettersberg bei Weimar treffen unterschiedlichste Biografien aufeinander

von Matthias Thüsing  25.07.2024

Frankreich

»Man ist schließlich französisch«

Ganz Paris feiert die Olympischen Spiele. Ganz Paris? Nicht alle Juden fühlen sich vom erwünschten »Wir-Effekt« angesprochen. Denn das Land bleibt zerrissen

von Sophie Albers Ben Chamo  25.07.2024

USA

Die zweite Wahl?

Mit dem Rückzug von Joe Biden und der Kandidatur von Kamala Harris könnte das Rennen um die Präsidentschaft noch einmal richtig spannend werden

von Michael Thaidigsmann  24.07.2024

Jüdische Emigration

Die Niederlande - Ein Ort der Zuflucht für Juden?

Die Historikerin Christine Kausch nimmt das Leben jüdischer Flüchtlinge in den Blick

von Christiane Laudage  24.07.2024

Vor 80 Jahren

Von Rhodos nach Auschwitz

1944 wurden 2000 Jüdinnen und Juden von Rhodos nach Auschwitz deportiert. Nur wenige überlebten

von Irene Dänzer-Vanotti  23.07.2024

Jerusalem

Nach Gaza entführter Holocaust-Experte für tot erklärt 

Der Historiker Alex Dancyg ist in der Geiselhaft umgekommen

 22.07.2024