In Großbritannien sollen Ehemänner, die ihren Frauen die Scheidung nach religiösem Recht verweigern, bald auch strafrechtlich belangt werden können. Die Regierung von Premierminister Boris Johnson hat einer entsprechenden Änderung ihres Gesetzentwurfs zugestimmt. Das Gesetz soll die häusliche Gewalt besser bekämpfen und liegt momentan zur Beratung im Oberhaus.
NÖTIGUNG Demnach könnten künftig auch jüdische Männer, die ihrer bereits getrennt von ihnen lebenden Frau den Scheidebrief, den sogenannten »Get«, verwehren, wegen Nötigung vor Gericht gestellt werden. Ihnen würden dann bis zu fünf Jahre Haft drohen.
Joanne Greenaway, die früher am Londoner Bet Din für jüdische Ehescheidungen zuständig war, sagte der Nachrichtenseite »Jewish News«, sie hoffe, dass die Gesetzesnovelle zusätzlichen Schutz bringen werde für Frauen, die von ihren Ex-Männern keinen Get erhalten.
Im House of Lords hatte sich parteiübergreifend eine Gruppe jüdischer Mitglieder zusammengefunden, die sich für die Gesetzesänderung stark gemacht hatte. Baronin Ros Altmann sagte der »Jewish News«: »Wir setzen uns schon seit Längerem dafür ein, dass dieses Problem für die betroffenen Frauen angegangen wird. Wir wollen helfen, sie zu befreien, damit sie ihr Leben weiterleben können.«
SANKTIONEN Bislang kann ein Ehemann argumentieren, sein Verhalten könne deswegen nicht als Nötigung oder häusliche Gewalt angesehen werden, weil er nicht mehr mit seiner Frau zusammenlebe. »Die Verschärfung der Definition wird Klarheit bringen, damit mehr Menschen diesen Weg nutzen und schneller mit ihrem Leben weitermachen können«, so Joanne Greenaway gegenüber der »Jewish News«.
Zivil- und gar strafrechtliche Sanktionen sind in den meisten europäischen Ländern bei religiösen Ehen die Ausnahme. In den Niederlanden verhängen Richter seit Anfang der 1980er-Jahre bereits Geldstrafen für Männer, die sich weigern, in die religiöse Ehescheidung einzuwilligen. Es handele sich um ein »unangemessenes soziales Verhalten« gegenüber den geschiedenen Frauen, entschied damals das Oberste Gericht der Niederlande. Seit zwei Jahren ist dies auch gesetzlich geregelt.
HALACHA Gemäß der Halacha muss ein jüdischer Mann im Falle der endgültigen Trennung von seiner bisherigen Frau einen Get einen gewähren, bevor die Ehescheidung auch für die Frau wirksam wird. Verweigert er diesen Get, wird die Betroffene zu einer »Aguna«.
Die Europäische Rabbinerkonferenz (CER) und ihr Präsident, Moskaus Oberrabbiner Pinchas Goldschmidt, setzen sich seit Jahren für die Belange der betroffenen Frauen ein. Das Problem habe sich in den vergangenen Jahrzehnten zwar deutlich entschärft, betont Goldschmidt, sei aber nach wie vor aktuell.
Seien vor 100 Jahren allein in Polen rund 20.000 jüdische Frauen von ihren Männern daran gehindert worden, erneut zu heiraten, gebe es heute, so schätzt der Oberrabbiner, jährlich noch rund 130 bis 200 Agunot in Europa. 30 bis 40 Prozent könne man jedoch helfen.
Während in Israel rabbinische Gerichte befugt sind, orthodoxe Männer, die ihre Frauen nicht aus der Ehe entlassen wollen, zu sanktionieren – einschließlich des Aussprechen von Gefängnisstrafen –, gilt dies grundsätzlich nur für israelische Staatsbürger und jene, die in Israel ihren dauerhaften Wohnsitz hatten.
DRUCK In der Diaspora hingegen haben rabbinische Gerichte keine Handhabe, auf widerspenstige Männern Druck auszuüben – selbst dann nicht, wenn die Rabbiner die Auflösung einer Ehe für zwingend erforderlich erachten.
In Großbritannien gab es bislang nur den Weg, die rechtliche Wirksamkeit einer zivilen Ehescheidung so lange zu verzögern, bis die betroffene Frau von ihrem Mann auch aus dem religiösen Bund entlassen ist. mth