Luxemburg

Gekommen, um zu bleiben

Magali Cahen (M.) mit den Flüchtlingen Mustafa (l.) und Nurr (r.) Foto: Emma Appel

Rund 2018 Flüchtlinge haben in Luxemburg seit Beginn des Jahres Antrag auf Asyl gestellt. Bis Jahresende könnte die Zahl der Anträge in dem kleinen EU-Staat auf 2050 ansteigen. »Ich will auf keinen Fall, dass diese Menschen im Winter in Zelten übernachten müssen«, sagte Luxemburgs Familien- und Integrationsministerin Corinne Cahen bereits vor zwei Monaten. Nun ist der Winter da, und die 70 Notunterkünfte sind über das ganze Land verteilt

In der jüdischen Gemeinschaft ist die Hilfsbereitschaft groß. Dennoch hat sich spätestens nach den Terroranschlägen in Paris auch eine diffuse Angst verbreitet. Die meisten haben jedoch Verständnis dafür, dass Luxemburg verhältnismäßig viele Flüchtlinge aufnimmt, meint der Journalist Laurent Moyse. »In vielen jüdischen Familien hat man Erfahrungen aus dem Zweiten Weltkrieg.

Ich glaube, das Flüchtlingsproblem ist bei den Juden ein Thema, das noch sehr präsent ist, und in diesem Sinne gibt es ein großes Verständnis für die Flüchtlingspolitik der luxemburgischen Regierung.« Natürlich gebe es aber auch die Sorge, dass Flüchtlinge von verschiedenen Gruppen instrumentalisiert werden könnten und der Antisemitismus weiter zunimmt. »Dieses Gefühl gibt es bei einigen Mitgliedern auch – auf jeden Fall«, ist sich Moyse sicher.

Engagement
Magali Cahen ist in ihrem Engagement aber nicht zu stoppen. In ihrer Freizeit setzt sich die Psychologin für Flüchtlinge ein. Sie sammelt über Tauschgruppen im Internet Gitarren oder gebrauchte Fahrräder und hat auch schon lokale Institutionen dazu gebracht, mit der Ausländerbehörde OLAI zusammenzuarbeiten. »Wir sind alle Menschen, und ich versuche immer, mich in die Situation anderer hineinzuversetzen.« Außerdem sei es für Cahen bereichernd, interessante Menschen kennenzulernen. Die Leute, die in Luxemburg ankommen, hätten vielleicht materiell nichts mehr, aber sie bringen ihre Fähigkeiten und Ideen mit. »Das ist ein sehr reicher Austausch«, meint Cahen.

In ihrem Viertel treffen sich die Engagierten der »Welcome«-Gruppe jeden zweiten Freitag in den Rotunden, einem städtischen Kulturzentrum. »Das ist toll, weil da wirklich Begegnung stattfindet und Freundschaften entstehen«, erzählt Cahen.

Skeptischer ist der 83-jährige Holocaust-Überlebende Gerd Klestadt, der mit elf Jahren nach Bergen-Belsen deportiert wurde. Auf einen Aufruf des neuen Escher Rabbiners an die Gemeindemitglieder, für syrische Flüchtlinge in der Türkei zu spenden, entgegnet er: »Wenn sie schon im Rahmen der Menschenrechte helfen wollen, dann sollten Juden doch eher ein paar Tausend Euro an das Altersheim in Beer Sheva spenden.« Das seien Menschen, die die Schoa überlebt haben und die von 200 bis 300 Euro im Monat leben müssten.

»Das sind auch Flüchtlinge, nur haben sie nicht das Glück gehabt, dass ihnen jemand eine anständige Arbeit gibt.« Klestadt findet die Frage, welche Religion die Flüchtlinge haben, wichtig. Im belgischen Arlon, direkt hinter der Grenze von Luxemburg, gerieten Syrer und Afghanen immer wieder in Streit. Außerdem gibt Klestadt zu bedenken, ob die Flüchtlinge durch das Luxemburger Schulsystem gut aufgefangen werden könnten.

Integration Für eine langfristige Betrachtung der Zuwanderung plädiert Laurent Moyse: »Kurzfristig geht es jetzt darum, die Leute zu empfangen, sie unterzubringen, damit sie hier eine würdige Existenz führen können.«

Dann stelle sich das Ziel, diese Leute zu integrieren, damit sie mit der einheimischen Bevölkerung friedlich zusammenleben könnten. Luxemburg befindet sich aus Sicht Moyses in einem Transformationsprozess: »Luxemburg wird in 30 Jahren wahrscheinlich ganz anders aussehen als heute. So wie viele andere europäische Länder auch.« Migration sei nicht neu, »die gab es immer. Nur die Anzahl hat zugenommen«. Es gehe alles schneller, und darauf müsse man jetzt auch reagieren. »Ich glaube, damit haben viele Leute ein Problem«, meint Moyse. »Diese schnelllebige Transformation ist ein Prozess, der vielen Angst macht.«

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