Russland

Beten hinter Gittern

Geist trifft Staatsmacht: Rabbiner Aharon Gurjewitsch (l.) mit dem Direktor des Butyrka-Gefängnisses, Sergej Teljatnikow, in der Synagoge Foto: FEOR

Zwischen schmutzig-weißen Plattenbau-Hochhäusern, Kinderspielplätzen und grauen Wellblech-Garagen erheben sich die mächtigen Mauern des Moskauer Butyrskaja-Gefängnisses. Die »Butyrka, wie die Russen sagen, ist eine der bekanntesten Haftanstalten des Landes.

Die Festungsanlage wurde bereits im 18. Jahrhundert unter Katharina der Großen erbaut. Später saßen hinter den Backsteinmauern viele Opfer des Stalin- und Sowjet-Terrors, darunter die Schriftsteller Isaak Babel, Wladimir Majakowski, Osip Mandelstam und Alexander Solschenizyn.

Haftanstalt Die Butyrka hat bis heute keinen guten Ruf. Zuletzt kam sie 2009 in die internationalen Schlagzeilen, als der Anwalt Sergej Magnitzki qualvoll in Untersuchungshaft starb. Nicht nur wegen dieses Vorfalls bemüht sich die neue Leitung darum, die Haftbedingungen zu verbessern. Gemeinsam mit der Föderation der jüdischen Gemeinden Russlands (FEOR) eröffnete sie Ende März eine Synagoge innerhalb der Gefängnismauern. Es ist die erste in der Geschichte der Haftanstalt.

»Man hat uns zwei Räume zur Verfügung gestellt. Einer ist 15 Quadratmeter groß, der andere 22«, sagt Rabbiner Aharon Gurjewitsch, der bei der FEOR für die Zusammenarbeit mit den Strafvollzugsbehörden zuständig ist.

Die Renovierung sei wegen der Dicke der Festungsmauern schwierig gewesen. Doch jetzt habe man die Räume mit Schränken, Tischen und Stühlen annehmbar hergerichtet. »Es gibt genügend Platz, sodass alle 29 jüdischen Häftlinge an den Schabbatgottesdiensten teilnehmen können«, sagt Gurjewitsch.

Bereits seit Februar hält der Rabbiner in der Butyrka und in einem weiteren bekannten Moskauer Gefängnis, der »Matrosskaja tischina« (Matrosenruhe), auch Vorlesungen über die jüdische Tradition. »Das Interesse ist sehr groß. Das Wissen vieler Häftlinge dagegen gering«, sagt der Rabbiner.

Bei den wöchentlichen Treffen hält er deshalb zunächst einen Vortrag, zum Beispiel über einen Abschnitt aus der Tora. Anschließend stellen die Häftlinge Fragen. Das Vorlesungsprojekt soll vorerst nicht auf weitere Moskauer Gefängnisse ausgeweitet werden. »Erst einmal müssen wir Rabbiner finden, die die Vorlesungen halten können«, so Gurjewitsch.

Fußfessel Die Projekte der FEOR sind nur ein kleiner Teil der russischen Strafvollzugsreform, die seit den 90er-Jahren andauert und immer wieder international von Regierungen und Organisationen eingefordert wird. Auch Russlands Regierung hat längst erkannt, dass das System antiquiert ist.

Nach und nach sollen deshalb die Haftbedingungen verbessert und die Zahl der Gefangenen reduziert werden. Denn derzeit gibt es in Russland rund 820.000 Häftlinge. Viele davon sitzen jahrelang in Untersuchungshaft, zum Teil deshalb, weil es keine alternativen Vollzugsmethoden gibt wie etwa Fußfesseln oder Kautionen.

»Die Haftbedingungen sind in den vergangenen Jahren besser geworden«, sagt Ljudmila Alpern vom unabhängigen Zentrum zur Förderung der Strafrechtsreform. Nahrung, medizinische Versorgung und hygienische Bedingungen seien nicht mehr so schlimm wie noch vor wenigen Jahren. Nach und nach würden Sammel- durch Einzelzellen ersetzt. Auch die Gesetzgebung sei verbessert worden, so Alpern.

Problematisch seien dagegen weiterhin die Strukturen in den Gefängnissen. Machtmissbrauch und Willkür von Staatsanwaltschaft und sogenannten Operativen Diensteinheiten seien wegen mangelnder Kontrolle an der Tagesordnung. Wie die Strukturen zu ändern seien, hat Alpern als Mitglied der Öffentlichen Gutachter-Kommission der Stadt Moskau in einem 20-seitigen Bericht zum Fall Magnitszki festgehalten.

»Die Modernisierung Russlands, von der Präsident Medwedew jetzt ununterbrochen spricht, wird es ohne eine Modernisierung der Gefängnisse nicht geben«, sagt Alpern. Die vergangenen hundert Jahre des Strafvollzugs in Russland seien geprägt von Gewalt gegen die inhaftierten Menschen. Das schlage sich auch im Denken der Bevölkerung nieder, die entlassenen Häftlingen ungern eine zweite Chance gebe. »In den Köpfen muss sich etwas ändern«, ist Alpern überzeugt. »Sonst werden wir trotz aller technischen Modernisierung im Mittelalter stecken bleiben.«

Schweiz

NGO verklagt Schweiz wegen Kauf israelischer Drohnen

Ein Kollektiv aus Genf will mit einer Klage erreichen, dass die Schweiz keine Drohnen aus Israel beschafft

 17.07.2025

London

Geheimbesuch vom Monarchen

Er kam, um ihr persönlich zum Geburtstag zu gratulieren, und blieb eine halbe Stunde: König Charles III. war bei Anita Lasker-Wallfisch zu Gast

von Michael Thaidigsmann  17.07.2025

Auszeit

Mit Schwimmkleid ins Wasser

Wie orthodoxe Frauen im Sommer am Zürichsee eine Auszeit vom Alltag nehmen

von Nicole Dreyfus  17.07.2025

Geburtstag

Einziger jüdischer NASA-Chef: Dan Goldin wird 85

Als er Administrator der Raumfahrtbehörde wurde, wollte er alles »schneller, besser und billiger« hinkriegen. Denn Geldfresser bremsten die NASA

von Imanuel Marcus  17.07.2025

Iran

Esthers Kinder

Wie die älteste Diaspora-Gemeinschaft 2700 Jahre überlebte – und heute erneut um ihre Existenz kämpft

von Stephen Tree  16.07.2025 Aktualisiert

Interreligiöser Dialog

»Das ist Verrat«

Ein Imam aus den Niederlanden nahm an einer Reise muslimischer Geistlicher nach Israel teil - prompt verlor er seinen Job

von Michael Thaidigsmann  15.07.2025

USA

Düsterer »Nice Jewish Boy«

Seinen ersten Kinofilm sah Ari Aster im Alter von vier Jahren und ist fast daran gestorben. Als junger Hollywood-Regisseur mischt er nun das Horror-Genre auf

von Sarah Thalia Pines  14.07.2025

Die in Genf geborene Schweizer Schriftstellerin und Philosophin Jeanne Hersch aufgenommen im März 1999

Philosophie

Der Moment des Staunens

Am 13. Juli jährt sich der Geburtstag von Jeanne Hersch zum 115. Mal. Lange wurde die Existentialistin ausgerechnet von der akademischen Forschung marginalisiert – und kaum als jüdische Philosophin wahrgenommen

von Richard Blättel  11.07.2025

Spanien

»Haut ab, ihr Hurensöhne« - Wirt vertreibt Israelis

Ein Gastwirt rastet gegenüber einer Gruppe israelischer Touristen aus, beschimpft sie und verweist sie des Lokals

von Michael Thaidigsmann  11.07.2025