Türkei

Türkei lässt historisch wertvolle Synagoge verfallen

Einsturzgefährdet: Synagoge von Çermik aus dem Jahr 1416 Foto: Pelfilm

»Es ist ein tiefer Schmerz«, sagt Memduh Demir. Das empfinde er, wenn er sich den Zustand des Gebäudes vergegenwärtige, in dessen Garten er seine Kindheit verbrachte. Fast jeden Tag habe er dort mit den Kindern des Viertels gespielt; es seien dort auch Hochzeiten gefeiert worden, erzählt der 58-Jährige.

Das Gebäude, an das sich Demir gut erinnert, weil er im Haus gegenüber geboren und aufgewachsen ist, befindet sich im Osten der Türkei. Lange Zeit interessierte sich kaum jemand dafür. Aufmerksamkeit hat dieses Gebäude erst vor Kurzem auf sich gezogen, denn es handelt sich um eine mehr als 600 Jahre alte Synagoge. Seit einigen Wochen berichten nicht nur türkische Medien über das verfallene Bauwerk, sondern es finden sich dazu auch Posts und Kommentare in sozialen Medien.

Erhalt Anlass der medialen Aufmerksamkeit ist eine Anfrage, die Semra Güzel, eine Abgeordnete der Demokratischen Volkspartei (HDP), im Januar an das türkische Parlament richtete. Die Politikerin aus der Provinz Diyarbakir fordert, dass sich das zuständige Ministerium dringend um den Erhalt des historischen Bauwerks in Ostanatolien kümmert.

Die Synagoge befindet sich in Çermik, einem Städtchen rund 90 Kilometer westlich der alten Festungsstadt Diyarbakir. »Wir wussten früher nicht, dass es eine Synagoge ist«, erzählt Memduh Demir am Telefon. Es sei immer nur von »Kirche« die Rede gewesen. Dass er in einer Straße wohnte, die Ende der 70er-Jahre von »Judengasse« zu »Kurtulus Sokak« (Straße des Sieges) umbenannt wurde, daraus habe er sich als Heranwachsender keinen Reim machen können.

Bis zu seinem Umzug nach Istanbul 1984 habe er in Çermik gelebt, erzählt Demir. Ein- bis zweimal im Jahr besuche er dort seine Familie und suche gelegentlich auch den Spielplatz seiner Kindheit auf. Er kenne die Leute, denen das Gebäude gehört. »Das ist eine Familie, die es von Generation zu Generation weitervererbt.« Doch anders als manche Medien berichteten, sei die Synagoge nie als Stall benutzt worden, sagt er. Die Familie wohne in den Häusern direkt an der Mauer des Innenhofs und nutze die Synagoge als Abstell- und Rumpelkammer.

Mit dem historischen Bauwerk hat sich die Universität Diyarbakir im Rahmen eines Forschungsprojekts beschäftigt.

Mit dem historischen Bauwerk hat sich die Universität Diyarbakir im Rahmen eines Forschungsprojekts beschäftigt. Aus einem Bericht, den die Architektin Gülin Payazli Oguz 2020 veröffentlichte, geht hervor, dass das rechteckige Hauptgebäude auf einem Eckgrundstück steht und siebeneinhalb mal 13 Meter groß ist. Es könne nur vom Innenhof betreten werden und sei von der Straße aus nicht einsehbar.

Denkmalschutz Laut der Inschrift oberhalb des Haupteingangs wurde die Synagoge 1416 errichtet. Im Jahr 2002 ist sie ins regionale Verzeichnis kultureller Schätze aufgenommen worden, sie steht also unter Denkmalschutz. Doch seit der Registrierung ist nichts passiert. Die Synagoge befindet sich weiterhin in Privatbesitz und ist dem Verfall ausgesetzt.

Weder das kommunale Denkmalamt noch das Kulturministerium in Ankara scheinen sich dessen bewusst zu sein, um welche »Perle« es sich bei dem Bauwerk handelt. Es ist nicht nur Zeuge jüdischen Lebens im Südosten Kleinasiens, sondern auch aus kunsthistorischer Sicht eine Besonderheit.

Außer der Abgeordneten Semra Güzel kritisieren noch weitere Beobachter in der Türkei den respektlosen Umgang von Politik und Gesellschaft mit dem jüdischen Erbe. Doch es gibt auch völlig andere Reaktionen wie: Eine Synagoge sei das Letzte, was es zu erhalten gelte.

Kürzlich erhielt Güzel ein Schreiben vom regionalen Amt für Kultur und Tourismus. Darin teilt man ihr mit, dass der Eigentümer für den Erhalt des Synagogengebäudes zuständig sei und für die Kosten aufkommen müsse. Das Amt habe ihm vorgeschlagen, das Bauwerk in kommunalen Besitz zu übernehmen.

Polen

Türen für die Ewigkeit

Deutschland finanziert den neuen Eingang der Nozyk-Synagoge, die als einzige in Warschau den Krieg überstanden hat

von Gabriele Lesser  16.09.2024

Porträt

Eleganz und Lässigkeit

Vor 100 Jahren wurde die jüdische Hollywood-Legende Lauren Bacall geboren

von Sabine Horst  16.09.2024

Ungarn

»Wer hat mir so viel Unsinn erzählt?«

Die Kommunikationsberaterin Virág Gulyás lernte bereits als Kind, Juden abzulehnen. Bis sie jüdische Menschen und Israel kennenlernte. Hier schildert sie ihre Geschichte

von Antisemitismus, Judenhass, Ungarn, Virág Gulyás  15.09.2024

USA

Als Tony Soprano eine jiddische Mamme war

Der erste Mafia-Pate von New York war eine Frau, hieß Fredericka Mandelbaum und ging regelmäßig in die Synagoge

von Sophie Albers Ben Chamo  15.09.2024

SpaceX

Polaris-Crew sicher gelandet

Die Gruppe um den jüdischen Unternehmer Jared Isaacman unternahm den ersten kommerziellen Weltraumspaziergang in der Menschheitsgeschichte

 15.09.2024

Europäische Rabbinerkonferenz

Bayern »topsicherer Platz« für Juden

Vor einem Jahr verlegte die Europäische Rabbinerkonferenz ihren Hauptsitz nach München. Ein guter Schritt, sagt der Generalsekretär. Und schaut im Rückblick auch auf den 7. Oktober: »eine der größten Herausforderungen«

 15.09.2024

Metoo-Skandal

Berichte: Neue Anklage gegen Harvey Weinstein

Er dominierte einst Hollywood - und nutzte seine Macht für sexuelle Übergriffe aus

 13.09.2024

Frankreich

Israel im Visier: Mehrere Anschläge bei Olympia und Paralympics vereitelt

Die Terroristen hatten auch israelische Ziele im Visier

 12.09.2024

SpaceX

»Polaris«-Weltraumspaziergang erfolgreich

Der jüdische Unternehmer und Abenteurer Jared Isaacman führt die Mission an

 12.09.2024