Gideon Saar möchte es Joe Biden gleichtun und nach dem Vorbild des neuen Präsidenten der USA auf dem Chefsessel in Israel Platz nehmen. Für das Vorhaben, Ministerpräsident Benjamin Netanjahu bei der Parlamentswahl am 23. März zu entthronen, holt sich der Vorsitzende der Partei »Neue Hoffnung« Medienberichten zufolge Leute, die sich damit auskennen: vier Gründer des amerikanischen konservativen »Lincoln Project«. Die trugen mit ihren scharfzüngigen Videos dazu bei, dass Donald Trump abgewählt wurde.
Dass der als »besonnen und bescheiden« geltende 54-jährige Saar dabei ebenso bitterböse Spots zum Einsatz kommen lassen will, ist nicht unwahrscheinlich. Klar ist, dass Steve Schmidt, Rick Wilson und Co. in ihrer Heimat nichts dem Zufall überlassen haben. Akribisch untersuchten sie jeden Fehltritt des einstigen Reality-Stars und US-Präsidenten und drehten ihn durch den virtuellen Fleischwolf. Heraus kam eine politisch vernichtende Gegenkampagne zum Wahlkampf von Trump.
immunität Das »Lincoln Project« will nach eigenen Angaben »politische Anführer zur Verantwortung ziehen«. An Material dürfte es auch beim israelischen Premier nicht mangeln. Immerhin steht Netanjahu derzeit wegen drei Fällen von Korruption vor Gericht. Etwas, das er durch Versuche, Immunität zu erhalten, gern ungeschehen machen würde.
Und auch Netanjahus Ehefrau Sara sowie sein Sohn Yair waren bereits in verschiedene Skandale und Skandälchen verwickelt – von einbehaltenem Kleingeld für Pfandflaschen in der offiziellen Residenz bis zu rassistischen Äußerungen des Stammhalters.
Saar, der vor wenigen Wochen aus Netanjahus Likud ausgetreten war, um ihn herauszufordern, wirft seinem einstigen Chef vor, Personenkult zu fördern und die Partei zu benutzen, um seine eigene Haut zu retten. Saar hat vor, so viele konservative Wähler wie möglich auf seine Seite zu ziehen.
mandate Derzeit werden ihm 15 bis 18 Mandate vorausgesagt. Für den Fall aber, dass er sich mit der Rechtspartei Yamina von Naftali Bennett zusammentun könnte, prognostizieren ihm Umfragen sogar bis zu 30 Sitze in der nächsten Knesset – ebenso viele wie dem Likud.
Netanjahu versucht, die arabischen Israelis für sich zu gewinnen.
Auch seine ehemalige Partei lädt Saar ein, im Falle eines Wahlsiegs in sein Boot zu steigen. Allerdings ohne Netanjahu. Der würde bei ihm nicht einmal mehr einen Ministerposten erhalten, sagte er. Bedenken, dass auch Saar – entgegen der vehementen Zusicherung – am Ende doch wieder mit Netanjahu koaliert, wehrt der einstige Bildungsminister ab. Stattdessen gibt er sich siegessicher: »Nur ich kann Benjamin Netanjahu ablösen.«
Der arbeitet währenddessen hart daran, einen Erfolg von Saar um jeden Preis zu verhindern. So wendet er sich jetzt an potenzielle Verbündete, die wahrscheinlich selbst niemals gedacht hätten, dass der Regierungschef um ihre Gunst buhlt: die israelischen Araber.
vorwurf Bei den Parlamentswahlen im Jahr 2015 warnte Netanjahu am Wahltag, dass die »Araber in Scharen an die Urnen pilgern«, und forderte seine Anhänger auf, sie zu überstimmen. Damals musste er sich den Vorwurf des Rassismus gefallen lassen. Jetzt hätte er diese Scharen gern auf seiner Seite – mit einem Stimmzettel für seine Partei.
Doch trotz des lächelnden Bibi in den Impfstationen von Nazareth oder Um-Al-Fachem sowie dem Versprechen, gegen die Gewalt in arabischen Kommunen vorgehen zu wollen, darf bezweifelt werden, dass diese Sympathiewerbung funktioniert. Zu tief sitzt das Mistrauen bei vielen arabischen Israelis gegenüber einer Regierung mit Netanjahu an der Spitze.
»13 Jahre lang hat Bibi nichts für uns getan. Jetzt sind seine Besuche bei uns purer Wahlkampf um unsere Stimmen«, so der Bürgermeister von Schfaram, Orsan Yasen. »Ich mache da nicht mit.«
Und auch der Mitte-Links-Block will trotz des Scheiterns der Koalition aus Likud und der Zentrumspartei Blau-Weiß kein müder Papiertiger sein. Ein halbes Dutzend neue Parteien gibt es derzeit auf dieser Seite des politischen Spektrums – darunter die des altgedienten Tel Aviver Bürgermeisters Ron Huldai.
konterfei Der zieht mit seinem und dem Konterfei des Ministerpräsidenten in den Wahlkampf. Daneben steht: »Es gibt zwei Anführer in Israel – Netanjahu und Huldai«. Ob sich die Absicht dieses Slogans, dass die jetzige Regierung abgewählt wird, jedem erschließt, ist fraglich.
Und auch Benny Gantz, Vorsitzender von Blau-Weiß, will mitmischen. Trotz seines »Verrats«, den ihm ehemalige Verbündete vorwerfen. Nachdem er im vergangenen Jahr als »Alternative zu Netanjahu« gemeinsam mit Yair Lapid (Jesch Atid) und Ex-Verteidigungsminister Mosche Yaalon in den Wahlkampf zog, koalierte er letztlich doch mit Netanjahu und sollte zweiter Premierminister im Rotationsverfahren sein. Theoretisch.
Praktisch jedoch sah es ganz anders aus. Dank der Mandate von Blau-Weiß, immerhin 33 an der Zahl, war es Netanjahu möglich, wieder als Ministerpräsident dort Platz zu nehmen, wo Blau-Weiß ihn eigentlich nicht mehr hatte sehen wollen: auf dem Chefsessel.
umfragen Der gewiefte Politprofi aber umging den ungeliebten Koalitionspartner in nahezu jeder Angelegenheit – ob innen- oder außenpolitisch. Kein Friedensabkommen mit arabischen Staaten, keinen Impferfolg oder sonstige Errungenschaften der Regierung sollte sich Blau-Weiß auf die Fahnen schreiben können. Stattdessen verlor die Mitte-Partei in Umfragen zusehends Stimmen. Derzeit liegt sie bei sechs oder sogar weniger Mandaten.
Diesmal will Benny Gantz Netanjahu wirklich zu Fall bringen.
Doch diesmal will Gantz Netanjahu wirklich zu Fall bringen. Er fordert alle Mitte-Links-Parteien auf, sich für dieses eine Ziel zusammenzutun. Es sei ein Fehler gewesen, »dem Mann die Hand zu reichen, der ständig Versprechen bricht«. Man dürfe es Netanjahu nicht gönnen, die andere Seite der Parteienlandschaft zersplittern zu lassen.
Oppositionsführer Lapid, dessen Jesch Atid momentan auf 13 Mandate kommen könnte, antwortete Gantz lakonisch auf Twitter, man werde alles versuchen, um ein Bündnis auf die Beine zu stellen, das zu einer vernünftigen und liberalen Regierung führe. »Eine, die das Land wirklich verändert.«
rampenlicht Manche wollen sogar ehemalige Polit-Stars zurück ins Rampenlicht bringen, um es mit Netanjahu aufzunehmen. Darunter den ehemaligen Premierminister Ehud Barak. Die Leitung der einstigen Gründerpartei des Staates, Awoda, fragte bei ihm an, ob er sich als Parteivorsitzender betätigen wolle, nachdem Amir Peretz erklärt hatte, er verabschiede sich aus dem Rennen.
Barak sagte, er habe »viel guten Willen und ehrliche Absichten bei potenziellen politischen Bündnispartnern gesehen«. Es brauche einen kompletten Block aus den Mitte-Links-Parteien mit Jesch Atid, Ron Huldais HaYisraelim und der Awoda, um es gegen Netanjahu zu schaffen. Allerdings sehe er nicht, dass diese Pläne ausgereift seien. Deshalb wolle er am 23. März nicht antreten. »Danke für die Anfrage«, schrieb Barak. »Aber: Nein danke!«