Israel

Noch ein Krieg?

An der Grenze zwischen Israel und dem Libanon Foto: Flash90

Die Worte von Herzi Halevi verheißen nichts Gutes: Ein Krieg mit der Hisbollah sei momentan wahrscheinlicher als in der Vergangenheit, sagte der Stabschef der israelischen Armee (IDF) in der vergangenen Woche, als Truppen für eine Offensive im Libanon trainierten und die Armee ihre intensivsten Kampfphasen in Gaza beendete. Israel sei bereit, »die Kampfbereitschaft im Libanon zu erhöhen«, so Halevi. Die IDF habe »ein ganz klares Ziel: die Rückkehr der Bewohner in den Norden«.

Bereits am 8. Oktober, unmittelbar nach dem Angriff der Hamas auf den Süden Israels, griff die Hisbollah israelische Militär­einrichtungen im Norden an. Seitdem liefert sich die schiitische Terrororganisation im Libanon fast ohne Unterlass Gefechte mit Israel. Anfangs waren es begrenzte Scharmützel, doch in den vergangenen zwei Wochen eskalierten die Kämpfe.

»Die Gefahr ist real«

»Ein Krieg auf ganzer Linie ist es aber nicht«, weiß Eitan Ishai, Doktorand an der Fakultät für islamische und nahöstliche Studien der Hebräischen Universität in Jerusalem. »Noch nicht«, schränkt er ein. Denn Israel habe ein großes Problem: »Seit einem Jahrzehnt kündigt die Hisbollah an, sich bald nicht mehr auf Raketen und Granaten zu beschränken. Es ist kein Geheimnis: Sie will den Galil erobern. Die Menschen in Israels Norden haben nach dem, was sie am 7. Oktober im Süden gesehen haben, große Sorge, dass es auch in ihren Gemeinden geschehen könnte. Und die Gefahr ist real.«

Die politische Führung Israels wisse genau, dass sie den Krieg in Gaza nicht beenden könne, ohne etwas in Sachen Hisbollah zu unternehmen, ist der Experte sicher. Und obwohl keine der beteiligten Parteien – weder Israel noch die Hisbollah und auch nicht die USA, der Libanon oder Iran – Krieg wolle, sei er »nicht zu vermeiden«. Denn die Lage an der Grenze ginge so nicht für immer weiter.

Die komplexe Situation beim nördlichen Nachbarn Israels befeuere dies noch. Ishai erläutert: »Die Bevölkerung des Libanon besteht aus vielen religiösen Gruppen, von denen die Schiiten die größte darstellt. Allerdings werden die Schiiten nicht als Mehrheit behandelt, was sie sehr wütend macht.« Und da komme die schiitische Hisbollah ins Spiel, die nicht nur eine terroristische Vereinigung mit einer Armee, sondern auch eine Zivilorganisation mit politischem Arm sei. Die Hisbollah-Armee fungiert völlig getrennt vom libanesischen Militär.

»Es ist kein Geheimnis: Hisbollah will den Galil erobern.«

Eitan Ishai

Im Übrigen sei die Hisbollah beeinflusst von allem, was im Iran geschehe, merkt er an, sie sei von den Islamischen Revolutionsgarden in den frühen 80er-Jahren in den Libanon exportiert worden. »Und so steckt die Hisbollah in einem Dilemma. Zum einen hat sie sich mit ihrem Anführer Hassan Nasrallah den Schutz des Libanon auf die Fahnen geschrieben, zum anderen ist sie dem Iran verpflichtet. Doch das eine schließt das andere aus. Laut iranischer Ideologie gibt es keinen Platz für einen modernen libanesischen Staat.« Was Nasrallah momentan wolle, wisse allerdings niemand so genau, »wahrscheinlich nicht einmal er selbst«.

Klar ist nur, dass sich Nasrallah einen Krieg im Libanon nicht leisten kann. Denn es gebe keine schlimmere Zeit als jetzt. Seit vier Jahren steckt der kleine Levantestaat in der erdrückendsten Wirtschaftskrise, hinzu kommen massive politische und soziale Probleme. Das Land hat zudem keinen Präsidenten und lediglich eine Übergangsregierung. »Die Hisbollah könnte also nur schwer Unterstützung für ›die palästinensische Sache‹ einfordern, wenn die Menschen nicht wissen, wie sie ihre Kinder ernähren sollen. Und ein Krieg mit Israel brächte Zerstörung für das Land, wie man sie noch nie zuvor gesehen hat.«

Waffenstillstand mithilfe der Diplomatie

Doch auch für Israel könne eine Auseinandersetzung mit der Terrororganisation verheerend ausgehen. Unterstützt vom Regime in Teheran häufte sie in den vergangenen Jahren Hunderttausende von Präzisionsraketen an, die nach Ishai »jedes Ziel in Israel treffen könnten, sogar in Eilat«. Die Eskalation zwischen Israel und der Hisbollah führt derweil zu verstärkten Bemühungen, einen Waffenstillstand mithilfe der Diplomatie zu erreichen.

Angeführt werden diese von den USA und Frankreich, dem einzigen westlichen Land, das direkte Kontakte zur Hisbollah unterhält. Die Resolution 1701 des UN-Sicherheitsrats ist der wichtigste Anker für Dialog, da sie von der libanesischen Regierung unterstützt wird. Ihre Umsetzung wäre eine Antwort auf die israelische Forderung nach dem Rückzug der Hisbollah über den Fluss Litani hinaus.

Allerdings brachten die jüngsten Gespräche keine Erfolge. »Denn die Hebel des politischen Drucks auf die Hisbollah, die den Kampf fortsetzen will, solange Israel Krieg gegen die Hamas in Gaza führt, sind äußerst begrenzt«, fasst Orna Mizrahi zusammen, eine leitende Forscherin am Institute for National Security Studies (INSS). »Es ist schwer vorstellbar, wie die Hisbollah, die in der schiitischen Bevölkerung dieser Region fest verwurzelt ist, durch eine Vereinbarung aus dem Südlibanon vertrieben werden soll.«

Deshalb könne die israelische Armee nur durch Militäraktionen eine Änderung der Realität erreichen, damit die israelische Bevölkerung schnellstmöglich in ihre evakuierten Gemeinden im Norden zurückkehren kann, so Mizrachi. Auf diese Weise dränge die IDF die Terroristen weiter von der Grenze weg und schwäche die Organisation. »Die Hauptfaktoren, die die Hisbollah beeinflussen, sind das Gefühl einer echten Bedrohung ihres Status und ihrer Armee sowie der Druck ihrer Anhänger, wenn der Schaden für sie im Südlibanon unerträglich wird.«

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