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Konversion 2.0

Dass sie unter solchen Umständen wieder hierher zurückkommen würde, hatte Noa nicht im Traum gedacht, als sie vor fünf Jahren das erste Mal in Israel war. Die Frau mit den weißen Haaren, dem Leinenshirt und der Kette aus bunten Perlen sitzt auf einer kleinen Steinbank in der Jerusalemer Altstadt, im Frauenbereich vor der Klagemauer, und schmunzelt, wenn sie an ihren ersten Besuch denkt. »Ich fand die Mauer klein im Vergleich zu den Bildern, die ich gesehen hatte.« Welche Größe dieser Ort in ihrem Leben noch einnehmen würde, ahnte sie damals nicht.

Ich stand dort, lehnte meine Stirn an die alten Steine und das Einzige, was mir klar war, war die Tatsache, dass diese Mauer der Ursprung für Christen UND Juden ist. (Blogeintrag vom 25.02.2009)

Ein halbes Jahr hatte sie sich vorbereitet auf die Reise, die sie anstelle ihres Vaters machte, der die lang ersehnte Unternehmung bis zu seinem Tod nicht geschafft hatte. »Ich wusste: Das wird eine besondere Reise«, sagt sie und schmunzelt wieder, »aber nicht, welche Dimension das Besondere einnehmen würde.« Bis heute denkt sie oft an diese Zeit zurück – und hat mit einer Beschreibung ihrer Erfahrungen unterwegs auch ihren Blog begonnen, obwohl jene Reise damals fünf Jahre zurücklag.

hilfestellung Es schien ihr wichtig für die eigentliche Idee des Blogs: anderen Konvertiten das leichter zu machen, womit sie zu kämpfen hatte. Eine Hilfestellung will sie geben für Orientierungslosigkeit, Einreisebestimmungen, den formalen Prozess des Giur, eine Anregung, wie sie es sich damals gewünscht hätte.

Ich möchte also niemanden dazu herausfordern, mit mir über das, was »richtig« ist, zu diskutieren, sondern lediglich beschreiben, was in mir vorging und wie ich zu dem gekommen bin, was ich heute bin, wie ich Jüdin wurde. Man kann es interessant finden und lesen oder aber denken: Wenn sie wüsste, dass sie total falsch liegt. Nur sollte man immer im Auge behalten, dass es MEIN Weg ist. (Eintrag 23.02.2009)

Zweifel am Christentum waren gekommen, als sie während ihrer Reise einen säkularen Juden kennengelernt hatte, der ihr zeigte, dass die Christen die Reihenfolge der Bibelbücher verändert hatten. »Da wurde ich misstrauisch«, erzählt Noa. Auch die christlichen Stätten in Israel hatten sie weniger beeindruckt, als sie erwartet hatte. »Was haben sie mir noch falsch beigebracht?«, fragte sie sich.

Wenn er wirklich ernsthaft Jude war, kann er doch nicht den Wunsch gehabt haben, dass man aus ihm heraus eine neue Religion macht ..., dass man dann letztendlich IHN anbetet. Das waren meine ersten Gedankengänge, noch als Christin. (Eintrag vom 25.02.2009)

Die Zweifel folgten ihr nach Hause – und eine nie gekannte Neugier. Regelmäßig ging sie nun in eine Synagoge. Sie schloss sich einer Gruppe Studenten an, die sich zum Torastudium traf. Und begann, Hebräisch zu lernen. »Da ich mich vom Christentum betrogen fühlte, war es mir wichtig, die Tora im Original zu lesen, die Sprache zu sprechen.« Einmal im Jahr ging sie nun nach Israel, um Freiwilligenarbeit zu leisten und »Teil des Alltags zu sein«.

In Israel fühlt man sich dagegen als Teil einer großen Gemeinde, man ist nichts Besonderes, kann in (fast) jedem Geschäft koscher einkaufen, und an jeder Ecke gibt es eine Synagoge. (Erster Eintrag 22.02.2009)

Der mit einer Konversion verbundenen Probleme war sie sich von Anfang an bewusst. »Der Rabbi, bei dem ich lernte, sagte: Überleg’ dir genau, ob du dir das antust.« Ihr erster Schritt, den »Berg der Konversion«, wie sie ihn nennt, zu überwinden, war, die Religionsgesetze der Halacha und die Kaschrutregeln zu befolgen. Ihr Handy blieb am Schabbat aus, zum Essen mit Freunden brachte sie ihren eigenen Teller mit.

Die spinnt doch!, werden viele denken, und aus ihrer Sicht ist es ohne Sinn, was man tut. Womöglich sieht man es sogar als Provokation, aber wie kann man einen Weg finden, ohne sich selbst zu verleugnen, zu verstecken, aus falscher Angst davor, dass man Anstoß nehmen könnte? (Eintrag vom 22.04.2010)

Marathon »Einige meiner Freunde dachten, ich werde verrückt«, sagt sie. Und fügt lächelnd hinzu: »Aber die guten Freunde waren neugierig. Und sind noch immer Freunde.« Vor allem ihre beiden Töchter, 19 und 24 Jahre alt, sehen Noas Konversion bis heute kritisch. »Die dachten, das sei nur ein weiterer Spleen von mir, wie einst das Marathonlaufen.« Zwar bemerkten sie mit der Zeit, dass es ihrer Mutter ernst war mit dem »Weg zu ihren Wurzeln«. Skeptisch aber sind sie bis heute geblieben. Dass ihre jüngere Tochter einen ägyptischen Freund hat, macht die Sache nicht einfacher.

Liebe Töchter! Mit ganz tiefer Dankbarkeit denke ich heute abend auch an die Weihnachtsabende mit Euch zurück, die wir alle immer sehr genossen haben. Ich denke an den Spaß, den wir hatten, das Lachen und so manche Pannen, wie noch klebende Preisschildchen auf Geschenken, und das stundenlange Essen mit Euch! … Immer werde ich diese Abende im Herzen behalten. Dafür möchte ich Euch danken. Feiert eine schöne Weihnacht! (Eintrag vom 24.12.2009)

Ein Wendepunkt im Umgang mit ihrem gesellschaftlichen Umfeld war für Noa der formale Prozess des Giur. Nach dem Bad in der Mikwe war sie endlich offiziell das, was sie schon 2005 ansatzweise empfunden hatte: jüdisch. Einsam hatte sie sich oft gefühlt, nicht nur vor, sondern auch während der Konversion. Manch anderer Konvertit, der wie sie in Internetforen nach Ratschlägen suchte, war ihr zeitweise näher als ihre Familie.

Die Teilnahme an der Group hat mir sehr geholfen, und das nicht nur bei allen Verständnisfragen. (...) Wir alle teilten eine schwierige Phase unseres Lebens, und jeder ging anders mit seiner Umgebung um, hinsichtlich der Gestaltung seines jüdischen Lebensalltags. (Eintrag vom 26.02.2009)

Gruppen, Blogs, Infoseiten – das Internet scheint für Konvertiten eine wichtige Anregung. Etwa 39.200 Besucher zählt Noas Blog bis heute, fremde und vertraute Menschen haben gelesen, was sie über den jeweiligen Wochenabschnitt denkt, dass sie eine kaputte Wasserleitung hat, haben Fotos von Blumenbeeten in Jerusalem gesehen und wissen, welchen Radiosender Noa vor Schabbatbeginn hört.

Gefühlswelten Anfangs war sie skeptisch, ob es richtig ist, die eigenen Gefühle so offen zu beschreiben. Und bis heute achtet sie sehr auf ihre Privatsphäre – ihr früherer Name oder ihre Heimatstadt tauchen in keinem einzigen Post auf. Über den Austausch freut sie sich dennoch regelmäßig – gelegentlich kommen auch ermunternde Kommentare von anderen Konvertiten oder deutschen Bekannten.

Vielen Dank für deinen Segenswunsch und die lieben Worte. Ich habe das Gefühl, das bestärkt mich, weiter zu schreiben. Anfangs war ich mir unsicher, ob ich das alles überhaupt veröffentlichen soll. (Antwort auf einen Kommentar am 26.02.2009)

Momentaufnahmen Ihre Verbindung zu Deutschland besteht noch, sie hat über die Jahre jedoch nachgelassen. »Da war etwas, das war anders an mir. Ich wollte nicht gegen den Strom schwimmen, sondern mit dem Strom sein.« Doch auch in Israel wird sie manchmal als Fremde behandelt. Das sind die Momente, in denen ihr die Frage »Warum tue ich mir das an?« in den Sinn kommt.

Lange dauern sie nicht. Besonders nicht, wenn sie hier, an der Klagemauer, steht, Gott und sich selbst nahe ist. »Das ist zu Hause, endlich«, bekennt sie mit einem zuversichtlichen Lächeln im Gesicht.

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