Jerusalem

Koalition verabschiedet höchst umstrittenes Gesetz

Justizminister Yariv Levin (links) Foto: Flash90

Eines der umstrittensten Gesetze der sogenannten »Justizreform« der rechtsreligiösen Koalition ist durch. Am Donnerstagmorgen verabschiedete die Knesset einen Entwurf, der die Zusammensetzung des Ausschusses für die Ernennungen von Richtern ändert. Damit wird das Gremium zum ersten Mal in der Geschichte Israels der Kontrolle der Politik unterstellt.

67 der insgesamt 120 Abgeordneten stimmten nach stundenlangem Diskutieren für den Vorstoß. Die Opposition boykottierte die Abstimmung und kündigte an, sie werde das Gesetz wieder aufheben, sollte sie die nächste Regierung bilden.

»Wir haben Geschichte geschrieben«, sagte Justizminister Yariv Levin (Likud) nach der Abstimmung. Er gilt als Architekt des höchst umstrittenen Umbaus der Justiz, den er Anfang 2023 eingeleitet hatte. »Nach Jahrzehnten, in denen das Justizsystem für viele Teile der Öffentlichkeit verschlossen war, wurde die Zusammensetzung des Ernennungsausschusses neu strukturiert.« Das Gesetz soll erst nach den nächsten Parlamentswahlen in Kraft treten. Bis dahin plant der Justizminister, den Ausschuss an der Ernennung neuer Richter zu hindern.

Koalition wirft Justiz schon lange vor, sie habe zu viel Macht

Ministerpräsident Benjamin Netanjahu und seine Koalition werfen der Justiz schon lange vor, sie mische sich viel zu stark in die Entscheidungen der Exekutive ein. Der Umbau der Justiz hatte vor dem 7. Oktober zu Massenprotesten im ganzen Land geführt. Gegner werfen der Regierung die Schwächung der israelischen Demokratie vor. Auch in den vergangenen Tagen waren wieder Tausende von Menschen auf die Straßen im ganzen Land gegangen, um gegen die Regierungsentscheidungen zu protestieren. Die hauptsächlichen Demonstrationen fanden in Jerusalem vor der Knesset statt.  

Unmittelbar nach der Verabschiedung des Gesetzes wurden beim Obersten Gerichtshof mehrere Petitionen gegen die Änderung eingereicht, darunter von Mitgliedern der Mitte-Partei Jesch Atid und der Anwaltskammer, die durch das Gesetz ihre Bedeutung verloren hat. Oppositionsführer Yair Lapid erklärte, »die Verabschiedung des Gesetzes sei keine Änderung, sondern die Abschaffung eines ganzen Systems«.

Oppositionsführer: »Richter sollten nach beruflichen Erwägungen ernannt werden – nicht nach rein politischen.«

Er kritisierte: »Richter sollten nach beruflichen Erwägungen ernannt werden – nicht nach rein politischen. Sie müssen der Öffentlichkeit dienen, nicht dem Regime, und nach rechtsstaatlichen Grundsätzen handeln, nicht nach dem Willen der Regierung.«

Die Opposition fügte hinzu, das Gesetz sei verabschiedet worden, »während 59 Geiseln noch immer in Gaza festgehalten werden. Anstatt alle Anstrengungen auf ihre Freilassung und die Überwindung der inneren Konflikte zu konzentrieren, ist diese Regierung zu genau derselben Phase zurückgekehrt, die das Land vor dem 7. Oktober gespalten hatte.«

Auch der Vorsitzende der israelischen Anwaltskammer, Amit Becher, hatte ein vernichtendes Urteil parat: »Die Knesset hat beschlossen, die Unabhängigkeit der Justiz vollständig zu zerstören. Es ist ein Kampf zwischen den Anhängern der Demokratie und ihren Vernichtern, und wir werden die Stellung halten, damit sie nicht fällt.«

Der Abgeordnete Simcha Rothman der rechtsextremen Koalitionspartei Religiöser Zionismus, ebenfalls einer der Initiatoren der Gesetzesänderungen, indes ist der Überzeugung, »das Gesetz ist ein wichtiger Schritt, um das Gleichgewicht zwischen den verschiedenen Gewalten wiederherzustellen und die Entscheidungsgewalt in die Hände der israelischen Öffentlichkeit zu legen«.

Rothman: »Gesetz stärkt die Demokratie.«

Dieser Schritt stärke die israelische Demokratie, fügte er hinzu, denn »das neue Gesetz stärkt das Vertrauen der Öffentlichkeit in das Justizsystem und verspricht ein ausgewogenes und transparenteres Ernennungsverfahren von Richtern«.

Die Regierung hatte in der vergangenen Woche zunächst Ronen Bar, Chef des Inlandsgeheimdienstes Schin Bet, entlassen und anschließend die Absetzung von Generalstaatsanwältin Gali Baharav-Miara eingeleitet. Beides aufgrund eines »völligen Vertrauensverlustes«, begründete es der Ministerpräsident.

Rechtsexperte Guy Lurie vom Israel Democracy Institute argumentiert, dass die Regierungsentscheidungen der vergangenen Tage die Grundlagen der Rechtsstaatlichkeit in Israel untergraben würden. »In jedem dieser Fälle versucht die Regierung, die Vorstellung zu verbreiten, die Rolle von Geheimdienstchef, Generalstaatsanwältin und Richtern bestehe lediglich darin, die Position der Politik getreu zu vertreten. Und die Politik allein entscheidet über die Anforderungen der Justiz.« Doch diese Sichtweise untergrabe das Wesen der Demokratie.

»In einer Demokratie ist es in der Tat unerlässlich, dass die Regierung ihre Politik umsetzen kann«, hebt der Experte hervor, »allerdings muss dies unbedingt Kontrollen unterliegen, die die Einhaltung der Gesetze gewährleisten«.

Untersuchungskommission

7. Oktober: Netanjahu-Regierung will sich selbst untersuchen

Die Regierung Netanjahu hat auf Druck des Obersten Gerichts nach mehr als zwei Jahren einer Untersuchung der Versäumnisse, die zum 7. Oktober geführt haben, zugestimmt. Allerdings will man das Gremium und den Untersuchungsumfang selbst bestimmen

 16.11.2025 Aktualisiert

Tierschutz

Hilfe für die Straßentiger

In Israel leben schätzungsweise eine Million streunende Katzen. Eine Studie der Hebräischen Universität zeigt, warum das Füttern der Vierbeiner auch Nachteile haben kann

von Sabine Brandes  16.11.2025

Geiseln

»Ich bin immer noch seine Verlobte«

Wenige Monate bevor Hadar Goldin 2014 von der Hamas ermordet und sein Leichnam in Gaza festgehalten wurde, hatte er sich verlobt. Wie geht es seiner damaligen Braut heute, da Goldin endlich nach Hause gekommen ist?

 16.11.2025

Jerusalem

Nach Streit: Zionistischer Weltkongress einigt sich

Zwei Wochen lang zogen sich die Verhandlungen in dem globalen jüdischen Gremium hin. Nun gibt es ein Abkommen, das der Mitte-links-Block als Sieg für sich wertet

von Joshua Schultheis  16.11.2025

Gaza

Hamas kontrolliert zunehmend wieder den Lebensmittelmarkt

Zu dem Versuch der Hamas, ihre Macht in Gaza wieder zu stärken, gehören auch Überwachung und Sondergebühren, so ein Agenturbericht

 16.11.2025

Israel

Haie vor Hadera

Warmes Abwasser aus einem Kraftwerk lockt im Winter die Fische an die Küste. Wissenschaftler fordern nun einen saisonalen Schutz, um gefährliche Begegnungen zwischen Mensch und Tier zu vermeiden

von Sabine Brandes  15.11.2025

Meinung

Israel: Keine Demokratie ohne Pressefreiheit

Den Armeesender abschalten? Warum auch jüdische Journalisten in der Diaspora gegen den Plan von Verteidigungsminister Katz protestieren sollten

von Ayala Goldmann  14.11.2025

Nahostkonflikt

Indonesien will 20.000 Soldaten für Gaza-Truppe bereitstellen

Der US-Plan für die Stabilisierung des Küstenstreifens sieht eine internationale Eingreiftruppe vor. Einige Staaten haben bereits Interesse bekundet

 14.11.2025

Geiseldeal

Hamas übergibt Leichnam von Meny Godard

Der 73-jährige Großvater wurde am 7. Oktober im Kibbuz Be’eri von Terroristen der Hamas ermordet und in den Gazastreifen entführt

 14.11.2025