Missbrauch

»Ich habe ein Monster vergöttert«

Trotz des Protestes feministischer Gruppen wurde der gefeierte Sänger 2018 von der Knesset geehrt. Foto: copyright (c) Flash90 2024

Maßgeschneiderte Anzüge, das Hemd offen bis zum Bauchnabel, kahl rasierter Schädel. So steht Eyal Golan oben auf der Bühne und schmettert seine Hits. »Jafa scheli« – Meine Schöne. Die Fans blicken verzückt von unten zu ihrem Idol auf.

Golan hat es geschafft. Er ist ganz oben. Der 54-Jährige ist einer der berühmtesten Sänger Israels und gilt als »König des Mizrachi«. Dieses Genre der nahöstlichen Musik steht in Israel auch noch in Zeiten von #MeToo für plakative Männlichkeit mit Songs, die von schönen Frauen an der Seite von starken Männern erzählen. Golan verkörpert all das perfekt. Auf seinen Bizepsen und der Brust prangen massive Tattoos, er fährt schnelle Schlitten und hat auf Fotos gern ein Topmodel im Arm.

Image des israelischen Saubermanns

Gleichwohl hat er stets versucht, das Image des israelischen Saubermanns zu geben. Doch vor elf Jahren fiel sein Kartenhaus über Nacht zusammen. Nach zwölfmonatigen Polizeiermittlungen wurde der Sänger im November 2013 als Teil einer Gruppe von Männern festgenommen, die verdächtigt wurden, minderjährige Mädchen zu sexuellen Handlungen gezwungen zu haben. Golan bestritt die Vorwürfe, gab jedoch zu, dass sein Vater Danny Biton ihm Mädchen nach Hause gebracht habe, um Sex mit ihnen zu haben. Dass sie unter 18 waren, habe er nicht gewusst.

Golans Vater musste bereits im April 2015 für zwei Jahre ins Gefängnis, nachdem er unter anderem wegen Zuhälterei mit minderjährigen Mädchen verurteilt worden war. Damals wurde gemunkelt, dass er alle Schuld auf sich genommen habe, um die Karriere seines Sohnes nicht zu gefährden. Die Anklage gegen Golan selbst wurde später aus Mangel an Beweisen fallen gelassen. Einige Jahre später gab es neue Hinweise darauf, dass er davon gewusst habe, doch das Verfahren gegen ihn blieb eingestellt.

Als einzige Konsequenz wurden seine Lieder im Radio weniger gespielt und einige Auftritte abgesagt. Doch Golan arbeitete hart daran, seine Weste weiß zu waschen. Allen Verdächtigungen zum Trotz wurde er im Dezember 2018 sogar von der Knesset geehrt. Frauengruppen waren empört, Demonstrantinnen unterbrachen die Veranstaltung. Doch dann wurden sie vom Sicherheitspersonal nach draußen befördert, um Platz zu machen, damit der König des Mizrachi gemeinsam mit der Abgeordneten Nava Boker ein Duett zum Besten geben konnte. Jetzt sang er wieder ganz oben mit.

Bis zum vorletzten Tag des Jahres 2024. Da sprach eine junge Frau im Fernsehen von den Einzelheiten der organisierten sexuellen Ausbeutung Minderjähriger durch den Vater des Sängers, Danny Biton, sowie weiterer Männer. Die ehemalige Hauptanklägerin in dem Fall enthüllte zum ersten Mal ihre Identität in einem Interview auf dem öffentlich-rechtlichen TV-Kanal Kan 11. Sie wolle sich nicht mehr verstecken, erklärte Taisia Zamolowski und schaute direkt in die Kamera. Heute ist die 29-Jährige verheiratet und Mutter von zwei kleinen Kindern.

Nach den ersten Vorwürfen polierte Golan sein Image neu auf.

In dem Beitrag beschuldigt Zamolowski noch einmal Golan, seinen Vater und deren Komplizen der sexuellen Belästigung sehr junger Mädchen. Ihre Strategie sei es gewesen, Minderjährige durch ihre Verbindungen zu dem berühmten Sänger zu sexuellen Handlungen zu zwingen. Eine andere Betroffene bestätigte die Aussagen.

Treffen in einem Nachtklub in Tel Aviv

Die junge Frau erinnerte sich daran, wie sie Biton zum ersten Mal in einem Nachtklub in Tel Aviv getroffen habe, als sie erst 16 Jahre alt gewesen sei. Seit ihrem zehnten Lebensjahr sei sie ein Golan-Fan gewesen, es sei ihre »einzige Sünde« gewesen, sagte sie. Und resümierte dann für sich: »Ich habe ein Monster vergöttert.« Sowohl Golan als auch ein berühmter Bekannter, der im Interview nicht namentlich genannt wird, dementieren gegenüber Kanal 11 diese Version der Ereignisse.

Die Vorwürfe gegen Golan haben im Kontext der israelischen Debatten eine weitere Bedeutungsebene. Denn das Musikgenre Mizrachi kommt von dem Wort »Mizrachim«, womit Juden gemeint sind, die aus der arabischen Welt und anderen muslimischen Ländern stammen. Sie wurden besonders in den Anfangsjahren nach der Staatsgründung diskriminiert.

Viele sehen sich bis heute in der israelischen Gesellschaft als benachteiligt. Im Unterschied zu Jeffrey Epstein »ist Golan ein Mizrachi-Jude und damit per Definition vor dem Vorwurf geschützt, er nutze seine Privilegien, um verletzliche Frauen auszubeuten«, schrieb Orit Kamir in der linksliberalen Tageszeitung »Haaretz« dazu. »Wer will schon das Risiko eingehen, einen vergötterten Mizrachi-Sänger hässlicher Taten zu bezichtigen? Wer würde es wagen, als Mitglied der privilegierten Elite angeprangert zu werden, die Mizrachim verfolgt?«

»Wir haben Glück, dass die Identitätspolitik vor 13 Jahren, als der ehemalige Präsident Moshe Katsav wegen Vergewaltigung vor Gericht stand, noch nicht voll entwickelt war«, so Kamir weiter. »Sonst hätte auch er, wie Golan heute, eine schützende, alle zum Schweigen bringende Umarmung erhalten.«

Moshe Katsav zu sieben Jahren Haft verurteilt

Zur Erinnerung: Im Dezember 2010 wurde der ehemalige Staatspräsident Moshe Katsav wegen schwerwiegender sexueller Übergriffe gegen ihm unterstellte Frauen schuldig gesprochen und zu sieben Jahren Haft verurteilt. Ihm war vorgeworfen worden, eine Mitarbeiterin vergewaltigt sowie sexuell belästigt und eine weitere sexuell misshandelt und genötigt zu haben.

Eyal Golan dagegen sitzt nicht hinter Gittern. Stattdessen wurde er zum jährlichen Frauenfestival eingeladen, das im Februar in Eilat stattfinden wird. Zwar hagelte es sofort nach der Bekanntgabe, dass der Star auf der Veranstaltung erscheinen werde, heftige Kritik, doch Golan lächelte weiter von den Werbeplakaten – bis zum Interview mit Taisia Zamolowski.

Kurz darauf erklärte auch das Directors’ Forum, das das Festival veranstaltet: Das Verfahren gegen Golan sei damals zwar wegen unzureichender Beweise eingestellt worden, »es hat aber eine erhebliche öffentliche Narbe hinterlassen und ernsthafte Fragen zu seinem Verhalten aufgeworfen«. Die Veranstalter resümierten, Golans Auftritt »wäre ein direkter Affront gegen die Werte des Festivals – und auch gegen die Frauen selbst«. Er soll hier keine Bühne mehr bekommen.

Fernsehen

»Mord auf dem Inka-Pfad«: War der israelische Ehemann der Täter?

Es ist einer der ungewöhnlichsten Fälle der deutschen Kriminalgeschichte. Die ARD packt das Geschehen nun in einen sehenswerten True-Crime-Vierteiler

von Ute Wessels  06.05.2025

Eurovision Song Contest

Israelische Sängerin Yuval Raphael wird von der Schweiz nicht extra geschützt

Die Basler Sicherheitsbehörden wissen um die angespannte Lage, das Sicherheitsrisiko in der Schweiz ist hoch

von Nicole Dreyfus  06.05.2025

Jemen

Israels Armee fordert Evakuierung des Flughafens in Sanaa

Nach einem Angriff nahe dem Tel Aviver Flughafen griff Israel Ziele der Huthi an. Nun gibt es eine Evakuierungsaufforderung für den International Airport der jemenitischen Hauptstadt

 06.05.2025

Presseschau

»Drama beGermania«: Wie israelische Medien auf die Kanzlerwahl blicken

Auch in Israel wird der Krimi um die im ersten Gang gescheiterte Wahl von Friedrich Merz mit Interesse verfolgt. Ein Überblick

 06.05.2025

Gaza

Hamas-Terroristen: Verhandlungen haben keinen Sinn

Die Terrororganisation wirft Israel vor, einen »Hungerkrieg« zu führen, stiehlt aber selbst der eigenen Bevölkerung Lebensmittel

 06.05.2025

Meinung

Völlig untragbar!

Die übermäßige Bevorzugung der Charedim ist eine Gefahr für Wohlstand und Wohlbefinden im jüdischen Staat

von Sabine Brandes  06.05.2025

Desinformation

Wie Russland Hass auf die Ukraine schürt - auch in Israel

»t-online« und die »Jüdische Allgemeine« konnten aufdecken, wie ein brasilianischer Influencer Interviews für gefälschte Nachrichtenseiten führt - darunter auch eine in Israel

von Carsten Janz, John Hufnagel, Lars Wienand  06.05.2025

Nahost

Schläge gegen Huthi und Hisbollah

Die israelische Luftwaffe flog Angriffe im Jemen und im Libanon

 06.05.2025

Berlin

Auswärtiges Amt gegen dauerhafte Besatzung des Gazastreifens

Das Auswärtige Amt in Berlin reagiert besorgt und kritisiert abermals Israel. Gaza gehöre den Palästinensern. Die weiterhin von der Hamas gehaltenen Geiseln kommen in der Erklärung offenbar nicht vor

 06.05.2025 Aktualisiert