Jom Hasikaron

Ganz Israel trauert

Eine israelische Soldatin steckt für den Gedenktag eine Flagge auf das Grab eines Soldaten. Foto: Flash 90

Wieder herrscht in Israel Stille. Eine Woche nach dem Holocaust-Gedenktag Jom Haschoa erinnert das Land an seine gefallenen Soldatinnen, Soldaten und die Opfer von Terrorismus. Um 20 Uhr am Dienstag tönte der erste Sirenenton durch die Abendluft. Das Leben kam zu einem völligen Stillstand. Die Israelis standen mit gesenkten Köpfen und begannen das Gedenken der für das Land Gefallenen und Opfer von Terrorismus.

Auf die Sirene folgt das Entzünden einer Gedenkflamme an der Klagemauer zu Beginn der offiziellen staatlichen Gedenkzeremonie. Präsident Isaac Herzog appellierte an die Öffentlichkeit, die Spaltung zu überwinden. Er wandte sich auch direkt mit einer Botschaft an die 59 Geiseln, die noch immer in Gaza gefangen sind: »Eine ganze Nation vermisst euch, sorgt sich um euch und schreit euren Schmerz hinaus.«

Israel sei »eine Nation, die über alle Maßen gequält ist«, so der Präsident weiter. »Eine Nation, die tief in ihrer Seele, voller Sehnsucht und Angst, weiß, dass die Wunde nicht heilen kann, bis ihr zurückkehrt.«

Seit dem letzten Gedenktag fielen 319 Soldaten

Seit dem letzten israelischen Gedenktag sind 319 Soldaten während ihres Militärdienstes gefallen, teilte das israelische Verteidigungsministerium mit. Die überwiegende Mehrheit der 319 Opfer wurde während des anhaltenden Krieges getötet, bei Kämpfen im Gazastreifen, im Libanon und im Westjordanland. Weitere 61 Veteranen starben an den Folgen von Verletzungen, die sie sich während ihres Dienstes zugezogen hatten.

Damit beträgt die Gesamtzahl derer, die seit 1860 im Dienst für Israel gestorben sind – dem Jahr, ab dem Israel und zuvor die jüdische Gemeinde in der Region mit der Zählung der gefallenen Soldaten und Verteidiger begann – exakt 25.420.

Es gibt in Israel kaum jemanden, der nicht im Verwandten- und Bekanntenkreis einen Lieben hat, der durch Krieg oder Terror ums Leben gekommen ist. Zu ihren Ehren werden am Jom Hasikaron mehr als eineinhalb Millionen Besucher auf den 54 Militärfriedhöfen von Nord nach Süd erwartet, wo sich oft herzzerreißende Szenen abspielen.

Am Nachmittag brach während einer Rede von Knessetsprecher Amir Ohana bei der Eröffnung der Gedenkveranstaltungen in Jerusalem ein trauernder Vater in Tränen aus.

Ohana begann seine Rede mit der Nennung des Namens von Major Dvir Zion Revah, der im vergangenen Januar im Gazastreifen bei Kämpfen getötet wurde. Sein Vater, Avi Revach, begann zu weinen und rief Ohana zu: »Sprich nicht über meinen Sohn, du bist seines Blutes nicht würdig.«

Seit 1860 wird der Gefallenen und Terroropfer gedacht

Der Knessetsprecher wandte sich ihm zu und bat ihn, ein Gebet zu seinem Gedenken sprechen zu dürfen. Nach minutenlangem Weinen willigte Revah ein, und Ohana sprach das Gebet, während Israels Oberrabbiner David Yosef und Premierminister Benjamin Netanjahu ihn trösteten.

Der Jom Hasikaron zählt zu den bedeutendsten Tagen im israelischen Kalender. Mit Zeremonien und anderen Veranstaltungen wird seit 1860 getöteten Soldaten, Sicherheitskräfte und Terroropfer gedacht. Die Anwesenheit von Regierungsvertretern an Gedenkstätten und Militärfriedhöfen gilt als obligatorisch und führt mitunter zu hitzigen Auseinandersetzungen zwischen Trauernden und Abgeordneten.

Mehrere Minister, darunter Sicherheitsminister Itamar Ben Gvir und Justizminister Yariv Levin, wurden nach heftigen Protesten der Hinterbliebenen von den Gedenkfeiern in bestimmten Gemeinden ausgeschlossen. Dies geht aus einer neuen Liste geplanter Auftritte hervor, die das Verteidigungsministerium am Sonntag veröffentlichte.

Eli Ben-Shem: »Es ist von größter Bedeutung, den vereinenden und heiligen Charakter des Tages zu bewahren.«

Ben Gvir, der Vorsitzende der rechtsextremen Partei Otzma Jehudit, dessen Auftritte bei Gedenkfeiern in den letzten zwei Jahren Proteste auslösten, erschien auf der vom Verteidigungsministerium veröffentlichten Liste nicht. Levin, dessen Pläne zur Reform des Justizwesens 2023 beispiellose Proteste auslösten, sollte ursprünglich an einer Zeremonie in Nahariya teilnehmen, wurde dann aber in den Siedlungsblock Etzion im palästinensischen Westjordanland versetzt. Israelischen Medienberichten zufolge hatten trauernde Familien in der nördlichen Stadt Einwände gegen Levins Anwesenheit erhoben.

In der drusischen Stadt Usfiya wird nun Bildungsminister Yoav Kisch anstelle eines Likud-Abgeordneten an einer Zeremonie teilnehmen. Die Änderung erfolgte, nachdem Rafik Halabi, Bürgermeister der drusischen Stadt Daliyat al-Karmel, auf X seine Empörung darüber zum Ausdruck gebracht hatte, dass angekündigt war, kein Minister würde der Regierung an der nationalen Zeremonie für gefallene drusische Soldaten teilnehmen.

Im Vorfeld der diesjährigen Zeremonien richtete Eli Ben-Shem, Vorsitzender der Organisation Yad Labanim für Hinterbliebene, einen Brief an die Regierung. Darin forderte er sie auf, sich mit den Familien abzustimmen und bei der Entsendung von Regierungsvertretern »diskret und verantwortungsvoll« vorzugehen. »In diesem Jahr herrscht mehr denn je erhöhte Sensibilität und Spannung hinsichtlich der Zeremonien«, schrieb Ben-Shem.

Größte englischsprachige Gedenkfeier in Latrun

»Leider haben wir in den letzten Jahren Störungen erlebt, die die Würde der Gefallenen und ihrer Familien verletzt haben.« Es sei von größter Bedeutung, »den vereinenden und heiligen Charakter des Tages« zu bewahren.

In Jad L’Schiryon in Latrun veranstaltet Masa Israel Journey die weltweit größte englischsprachige Gedenkfeier, die bereits zum 17. Mal stattfindet. Die Veranstaltung unter dem Motto »Gemeinsam erinnern wir uns« findet inmitten tiefer nationaler Trauer nach dem Massaker vom 7. Oktober, anhaltendem Krieg und zunehmendem globalen Antisemitismus statt. Über 4500 Personen werden erwartet.

Bei der Zeremonie werden Menschen vorgestellt, die in anderen Ländern geboren sind und bei der Verteidigung Israels gefallen sind. Dazu gehören Daniel Peretz, der in Südafrika geboren wurde, Ronny Ganizate aus Frankreich, der in Argentinien aufgewachsene Ilan Cohen und der in der Ukraine geborene Polizist Andrei Poshibai. Sie alle wurden am 7. Oktober von Terroristen der Hamas ermordet.

Am Mittwoch wird um 11 Uhr in der Gedenkhalle des Herzlberges in Jerusalem die offizielle Staatszeremonie zu Ehren der gefallenen Soldaten und Opfer von Terroranschlägen abgehalten. Die diesjährige Zeremonie auf dem Nationalfriedhof findet statt, während die Kämpfe in Gaza andauern und 59 Geiseln weiterhin in der Gewalt der Hamas sind.

Nachruf

Trauer um Hollywood-Legende Arthur Cohn

Arthur Cohn war immer auf der Suche nach künstlerischer Perfektion. Der Schweizer Filmproduzent gehörte zu den erfolgreichsten der Welt, wie seine Oscar-Ausbeute zeigt

 12.12.2025

Jerusalem

Netanjahu plant Reise nach Kairo für milliardenschweren Gasdeal

Der Besuch bei Präsident Abdel-Fattah al-Sissi wäre historisch. Aus dem Umfeld des Premierministers kommt aber zunächst ein Dementi

 12.12.2025

Chanukka

Alles leuchtet!

Nach besonders schwierigen Jahren lässt die Stadtverwaltung Tel Aviv in vollem Glanz erstrahlen und beschert ihren Einwohnern Momente des Glücks

von Sabine Brandes  12.12.2025

Vermisst

Letzte Reise

Die am 7. Oktober von der Hamas nach Gaza verschleppte Leiche von Sudthisak Rinthalak wurde an Israel übergeben und nach Thailand überführt

von Sabine Brandes  12.12.2025

Gaza

Neue Aufnahmen: Geiseln feierten vor ihrer Ermordung Chanukka

Carmel Gat, Eden Yerushalmi, Hersh Goldberg-Polin, Ori Danino, Alexander Lobanov und Almog Sarusi begangen sie im Terrortunnel das Lichterfest. Einige Monate später werden sie von palästinensischen Terrroristen ermordet

 12.12.2025

London

Nach 26 Monaten: Amnesty wirft der Hamas Verstöße gegen das Völkerrecht vor

Die Organisation brauchte viel Zeit, um bekannte Tatsachen zu dokumentieren. Bisher hatte sich AI darauf konzentriert, Vorwürfe gegen Israel zu erheben

von Imanuel Marcus  12.12.2025

Nahost

USA verlangen von Israel Räumung der Trümmer in Gaza

Jerusalem wird bereits gedrängt, im Süden der Küstenenklave konkrete Maßnahmen einzuleiten

 12.12.2025

Meinung

Nemo unverbesserlich

Nemo gibt mit Rückgabe der ESC-Siegertrophäe auch Haltung ab. Statt Rückgrat zu zeigen, schwimmt das Schweizer Gesangswunder von 2024 im postkolonialen Strom mit

von Nicole Dreyfus  12.12.2025

Andrea Kiewel

Ein Weltwunder namens Regen

Jedes Jahr im Dezember versetzt der Regen die Menschen in Israel in Panik - dabei ist er so vorhersehbar wie Chanukka

von Andrea Kiewel  11.12.2025 Aktualisiert