Es ist der Kern der Mission: jedem die Identität und Erinnerung zurückzugeben, die die Nazis auslöschen wollten. Daran arbeitet die Gedenkstätte Yad Vashem für die Opfer des Holocaust in Jerusalem unermüdlich. Nach sieben Jahrzehnten hat sie einen Meilenstein erreicht: fünf Millionen Namen von in der Schoa ermordeten jüdischen Menschen sind wiederhergestellt.
»Fünf Millionen Namen zu erreichen, ist sowohl ein Meilenstein als auch eine Erinnerung an unsere noch nicht abgeschlossene Verpflichtung«, so Dani Dayan, Vorsitzender von Yad Vashem. »Hinter jedem Namen steht ein Leben, das zählte – ein Kind, das nie erwachsen wurde, ein Elternteil, das nie zurückkehrte, eine Stimme, die für immer verstummte. Es ist unsere moralische Pflicht, sicherzustellen, dass jedes Opfer in Erinnerung bleibt, damit niemand in der Dunkelheit der Anonymität zurückbleibt.«
Online in sechs Sprachen zugänglich
Es sei wichtiger denn je, da die Zahl der Überlebenden schwindet und die Welt bald ohne Zeitzeugen auskommen muss. Die Namen sind in der Datenbank der Namen der Holocaust-Opfer von Yad Vashem erfasst, die online in sechs Sprachen zugänglich ist. Mithilfe von Namens- und Ortsvarianten und speziell entwickelten Algorithmen enthält die Datenbank auch Hunderttausende von persönlichen Akten aus Archivquellen, die über das Leben und das Schicksal der einzelnen Opfer berichten.
Im Laufe der Jahre hat die Datenbank unzähligen Familien geholfen, ihrer Angehörigen zu gedenken und verlorene Verwandte wiederzufinden. Schätzungsweise eine Million Namen von Opfern sind noch immer unbekannt, und viele werden es wohl für immer bleiben. Doch mit neuen Technologien wie Künstlicher Intelligenz und maschinellem Lernen wollen die Teams von Yad Vashem so viele Namen und persönliche Daten wie möglich wiederherstellen.
Dafür analysieren sie Hunderte Millionen Archivdokumente, deren manuelle Recherche zuvor zu umfangreich war. Mit diesen Werkzeugen könnten schätzungsweise noch 250.000 Namen gefunden werden.
Yad-Vashem-Vorsitzender Dani Dayan: »Hinter jedem Namen steht ein Leben, das zählte – ein Kind, das nie erwachsen wurde, ein Elternteil, das nie zurückkehrte, eine Stimme, die für immer verstummte.«
Die Suche nach den Namen ist eine globale Kampagne. Yad Vashem arbeitet mit jüdischen Gemeinden, Archiven, genealogischen Gesellschaften und Forschungseinrichtungen weltweit zusammen. Historische Dokumente sind eine weitere wichtige Quelle. Dies umfasst persönliche Briefe, Tagebücher, Nazi-Dokumente und Deportationslisten, Volkszählungsdaten sowie juristische Dokumente aus Verfahren gegen Nazi-Verbrecher und -Kollaborateure.
Das Erreichen von fünf Millionen Namen wird am 6. November in einem Seminar in Yad Vashem ausführlich vorgestellt und bildet den Höhepunkt einer Veranstaltung der Yad Vashem USA Foundation am 9. November in New York.
Eine wichtige Quelle sind die »Seiten der Zeugnisse«, einseitige Formulare, die von Überlebenden, Angehörigen und Freunden zum Gedenken an einzelne Opfer eingereicht wurden. Etwa 2,8 Millionen Namen wurden in über 20 Sprachen auf diesen Seiten erfasst. Und noch heute treffen neue Namen ein. Die Sammlung der »Seiten der Zeugnisse« wurde 2013 in das UNESCO-Weltdokumentenerbe aufgenommen.
Seiten des Zeugnisses als symbolische Grabsteine
»Die Seiten des Zeugnisses sind symbolische Grabsteine«, erklärt Alexander Avram, Direktor der Halle der Namen und der Zentralen Datenbank der Namen der Holocaust-Opfer, der das Programm seit 37 Jahren leitet. »Die meisten Opfer des Holocaust wurden ohne Gräber, ohne Spuren zurückgelassen – heute werden sie nur noch durch die Seiten des Zeugnisses erinnert, die ihre Namen tragen.«
»Doch jeder hatte ein Leben und eine Geschichte, so real und wertvoll wie jede andere«, macht er klar. »Die Nazis wollten sie nicht nur ermorden, sondern auch ihre Existenz auslöschen. Indem wir fünf Millionen Namen identifizieren, geben wir ihnen ihre menschliche Identität zurück und sichern ihr Andenken.«