Analyse

Der Schattenmann

Das Ableben von Yahya Sinwar (im Hintergrund) beförderte dessen Bruder Mohammed Sinwar in die erste Reihe der Hamas. Foto: Screenshot

Mit Geiselnahmen kennt er sich bestens aus. Die Rede ist von Mohammed Sinwar, derzeit Anführer des militärischen Arms der Hamas. Auf sein Konto geht unter anderem die Entführung von Gilad Shalit am 25. Juni 2006. Fünf Jahre befand sich der israelische Soldat in der Gewalt der Terrororganisation.

Dann wurde er gegen 1027 Palästinenser, darunter zahlreiche verurteilte Mörder, die in israelischen Gefängnissen einsaßen, ausgetauscht. Einer von denen, die so freigepresst wurden, war Yahya Sinwar, später Hamas-Chef im Gazastreifen, Drahtzieher des Massakers vom 7. Oktober und nach der Tötung von Ismail Haniyeh am 31. Juli 2024 auch Anführer der gesamten Terrororganisation. Und die Namensgleichheit ist kein Zufall. Denn Yahya ist der ältere Bruder von Mohammed.

Beide standen sich stets sehr nahe. Der notorisch misstrauische Yahya, der im Auftrag der Hamas als »Schlächter von Khan Yunis« echte und vermeintliche Kollaborateure mit Israel folterte oder auch eigenhändig ermordete, vertraute nach seiner Freilassung in militärischen Angelegenheiten am ehesten der eigenen Familie, sprich seinem Bruder. Und der spielte bei den Vorbereitungen zum 7. Oktober ebenfalls eine wichtige Rolle. Mehrmals in der Vergangenheit hatte Israel versucht, ihn zu töten – das letzte Mal im Mai 2021.

»Von Beginn seiner Karriere in der Hamas an arbeitete Mohammad Sinwar an der Seite hochrangiger Befehlshaber, er atmete und lebte den reinen Terrorismus«, so ein hochrangiger israelischer Sicherheitsbeamter, der den Hamas-Mann seit Jahren auf dem Radar hat, gegenüber der Jerusalem Post. »Anfänglich gewann er aufgrund seiner familiären Beziehungen an Einfluss, aber es dauerte nicht lange, bis seine operativen Fähigkeiten, seine Grausamkeit, seine sozialen Kompetenzen und sein Verständnis für militärische Strategien erkannt wurden.«

Stiller, aber stetiger Aufstieg in der Hamas-Hierarchie

Trotzdem hatte Mohammed Sinwar nicht den gleichen Bekanntheitsgrad wie sein älterer Bruder, obwohl auch er ein enger Vertrauter von Mohammed Deif war, dem obersten Befehlshaber der Qassem-Brigaden. Damit gehörte er zum inneren Kreis der Führungsriege der Hamas. Der jüngere Sinwar agierte aber lieber im Hintergrund, weshalb man ihn auch als den »Schatten« bezeichnete. Und nachdem Yahya Sinwar am 16. Oktober von Israel getötet wurde, ist er nun – ohne je offiziell dazu ernannt worden zu sein – die neue Nummer Eins in der Terrororganisation.

»Die Hamas hat einen neuen Sinwar«, so der Titel des Wall Street Journals (WSJ), das vor wenigen Tagen mit einem großen Mohammed Sinwar-Porträt aufwartete. Unter seiner Führung würden derzeit erfolgreich Tausende junger Palästinenser rekrutiert, um die Lücken in den Hamas-Reihen wieder zu füllen, heißt es darin. Geködert werden sie mit Nahrungsmitteln sowie medizinischer Versorgung für ihre Familien.

So versuche man, Israel in einen Zermürbungskrieg zu verwickeln. Die neuen Kämpfer seien zwar weit davon entfernt, militärische Expertise mitzubringen. Doch mit einfachen Waffen gelingen ihnen immer wieder sogenannte »Hit and Run«-Überfälle, mit denen sie der israelischen Armee gerade in jüngster Zeit Verluste bereiten.

Nachfolger seines Bruders

 »Wir befinden uns in einer Situation, in der das Tempo, in dem die Hamas sich regeneriert, höher ist als das Tempo, in dem die [israelischen Verteidigungskräfte] sie auslöschen«, wird Amir Avivi, ein pensionierter israelischer Brigadegeneral, vom WSJ zitiert. »Das alles geht auf das Management von Mohammed Sinwar zurück.«

Er und Izz al-Din Haddad, Militärchef der Hamas im nördlichen Gazastreifen, sind es, die laut israelischen Angaben auch das letzte Wort bei den laufenden Waffenstillstandsverhandlungen und dem Geiseldeal haben.

»Die Hamas ist in einer sehr starken Position, um ihre Bedingungen [in den Verhandlungen] zu diktieren«, soll Mohammed Sinwar den Vermittlern in einer schriftlichen Botschaft, die dem WSJ vorliegt, mitgeteilt haben. In einer weiteren schrieb er: »Wenn es kein umfassendes Abkommen gibt, das das Leiden aller Menschen in Gaza beendet und ihr Blut und ihre Opfer rechtfertigt, wird die Hamas ihren Kampf fortsetzen.«

Anders als Yahya Sinwar, der 22 Jahre in israelischen Gefängnissen einsaß, verbrachte Mohammed nur eine kurze Zeit in Israel, weshalb die israelischen Sicherheitsdienste über ihn weniger wissen als über seinen toten Bruder. Aber, wie ein hochrangiger Mitarbeiter des Südkommandos der Armee zitiert wird: »Wir arbeiten hart daran, auch ihn zu kriegen.«

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