Knesset

Déjà-vu in Jerusalem

Netanjahu-Anhänger demonstrieren vor dem Bezirksgericht Jerusalem. Foto: Flash 90

Die Israelis erleben dieser Tage ein Déjà-vu. Wieder einmal gibt es kein klares Ergebnis bei den Parlamentswahlen – und wieder einmal hat Präsident Reuven Rivlin den amtierenden Regierungschef Benjamin Netanjahu beauftragt, die nächste Regierung zu bilden. Eine, die wohl niemals zustande kommen wird.

Denn keine der Fraktionen kann aller Voraussicht nach die mindestens benötigten 61 Mandate in der 120 Sitze zählenden Knesset auf sich vereinen. Das wahrscheinlichere Szenario ist, dass die Bürger bereits im Sommer erneut ihre Stimme abgeben müssen. Dann zum fünften Mal innerhalb von zwei Jahren.

Rivlin hatte Netanjahu das Mandat übertragen, nachdem der Vorsitzende des rechtskonservativen Likud von 52 Abgeordneten als Ministerpräsident vorgeschlagen worden war. Der Präsident gab sich jedoch wenig zuversichtlich und fügte hinzu, dass »keiner der Kandidaten eine echte Chance hat, eine neue Regierung zu bilden«. Er habe Netanjahu nur deshalb beauftragt, weil dieser die meisten Empfehlungen erhalten hat.

Der amtierende Premier hat nun 28 Tage Zeit, um eine funktionsfähige Regierungskoalition auf die Beine zu stellen. Anschließend kann er um 14 Tage Verlängerung bitten, die ihm der Präsident gestatten oder verweigern kann.

ANKLAGE Zeitgleich findet in Jerusalem der Korruptionsprozess gegen Netanjahu statt. Der 71-Jährige ist in drei Fällen wegen Betrug, Veruntreuung und Bestechlichkeit angeklagt. Nach den ersten Anhörungen tönte er gegen die Staatsanwaltschaft: »So sieht ein Putsch aus.« Am Montag waren nach Monaten pandemiebedingter Verzögerungen die ersten Zeugen vernommen worden.

Die Anklägerin Liat Ben Ari beschuldigt Netanjahu des »massiven Machtmissbrauchs«. Er habe seine Autorität für seinen persönlichen Vorteil missbraucht und zentralen Medien im Land Vergünstigungen für positive Berichterstattung gewährt, vor allem, um wiedergewählt zu werden.

Am Montag begann der Korruptionsprozess gegen Netanjahu.

52 Parlamentarier meinen dennoch, Netanjahu sei der geeignete Kandidat für einen Regierungschef. Sie gehören zum Likud, den ultraorthodoxen Parteien Schas und Vereinigtes Tora-Judentum sowie der Rechtsaußenfraktion Religiöser Zionismus.

45 Stimmen gingen bei der Knessetwahl an den Vorsitzenden der Zentrumspartei Jesch Atid, Yair Lapid. Der hatte am 23. März 17 Mandate geholt und wollte die amtierende Regierung mithilfe eines sogenannten Anti-Netanjahu-Blocks absetzen. Für Lapid stimmten die Mitglieder seiner eigenen Fraktion, die Linksparteien Meretz und Awoda, Blau-Weiß von Benny Gantz sowie die rechte Israel Beiteinu von Avigdor Lieberman.

Die sieben Knessetabgeordneten der nationalreligiösen Partei Jamina gaben ihre Empfehlung für ihren eigenen Vorsitzenden Naftali Bennett ab. Dabei hatte er bei den Wahlen mit sieben Mandaten weniger als sechs Prozent der abgegebenen Stimmen geholt. Bennett hatte nach Berichten in israelischen Medien in den vergangenen zwei Tagen intensive Gespräche über Koalitionsmöglichkeiten mit Lapid geführt. Offensichtlich ohne Erfolg. Denn kurz nachdem Rivlin seine Entscheidung bekannt gab, trat Bennett vor die Kameras. Er wolle sich dafür einsetzen, »eine stabile Rechtsregierung zu formen«, machte er klar. Eine mit Netanjahu, versteht sich.

ZEUGE Dabei hatte sich ein Zeuge nur einen Tag zuvor ausführlich darüber ausgelassen, wie sehr Netanjahu sich bemüht haben soll, dem Ansehen von Bennett durch massive negative Berichterstattung zu schaden. Es ist kein Geheimnis, dass der Vorsitzende der Jamina-Partei seit Jahren der persönliche Lieblingsfeind von Netanjahu und seiner Ehefrau Sara ist.

Der einstige Chef der Nachrichten-Website Walla, Ilan Yeshua, hatte am Montag vor Gericht ausgesagt, dass Eigentümer Shaul Elovitch ab Ende 2012 angefangen habe, darauf zu drängen, »dass die Redaktion über Netanjahu und seine Frau positive Berichte und über seine Kritiker negative bevorzugen soll«. Yeshua gab an, er und ein Kollege hätten den israelischen Regierungschef als »Kim« bezeichnet – in Anlehnung an den nordkoreanischen Diktator Kim Jong-un.

Dass eine funktionierende Koalition zustande kommt, ist unwahrscheinlich.

Nur rund einen Kilometer vom Gerichtssaal entfernt, traf sich Rivlin zur selben Zeit mit Vertretern der verschiedenen Parteien, die in der 24. Knesset vertreten sein werden: zwölf an der Zahl. Die arabische Vereinte Liste sprach währenddessen zwar Lapid ihren Respekt aus, könne ihn jedoch »nicht mit gutem Gewissen vorschlagen«, da er in einer Koalition mit den rechten Parteien Jamina und Neue Hoffnung von Gideon Saar sitzen würde.

MANDAT Saar selbst, der erst vor rund drei Monaten aus dem Likud ausgetreten war und seine eigene Partei gegründet hatte, um Netanjahu zu entthronen, meinte jetzt, dass er sich zum Thema Mandat für die Regierungsbildung nicht äußern könne. Er hätte es gern selbst erhalten, munkelt man in Jerusalem. Seine sechs Sitze, die er bei den Wahlen geholt hatte, reichten dafür allerdings nicht im Entferntesten.

Auch der Vorsitzende der arabischen Partei Raam, die nach eigenen Aussagen ihres Vorsitzenden Mansour Abbas vor den Wahlen in Erwägung gezogen hatte, sich an einer Likud-Koalition zu beteiligen, ließ im Gespräch mit Rivlin offen, wem er den Vorzug gibt.

Der Staatspräsident hatte vor und nach den vierten Wahlen innerhalb von zwei Jahren den Unwillen oder die Unfähigkeit der Politiker beklagt, eine regierungsfähige Koalition auf die Beine zu stellen. »Die Demokratie hat sich damit erschöpft«, resümierte er am Montag pessimistisch. Rivlin hatte jedes Mal gegen Neuwahlen plädiert und die Politiker aufgerufen, persönliche Belange beiseitezuschieben und sich um das Wohl des Staates zu kümmern.

Doch seine Botschaften verhallten im Nichts. Und demzufolge sieht es danach aus, als ob Israel auf die nächsten Wahlen zusteuert. Doch dass die eine wesentliche Änderung in der politischen Landschaft bringen werden, erwartet derzeit niemand.

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