Haifa

Chinesen im Carmel

Teamwork: An dem Gemeinschaftsprojekt waren israelischen und europäische Planer sowie chinesische Spezialisten beteiligt. Foto: Flash 90

Bald schon ist mit dem Warten Schluss. Keine endlosen Blechlawinen mehr, kein Stop and Go, keine Verwünschungen hinterm Lenkrad. Haifa wird staufrei. Mit der Eröffnung der Carmel-Tunnel in den kommenden Tagen beginnt auf den Straßen eine neue Ära in der Hafenstadt. Statt 60 Minuten brauchen Fahrer demnächst sogar in der Rushhour nur noch sechs Minuten, um mit ihrem Auto von einem Ende der Stadt zum anderen zu gelangen.

Nach mehr als zehn Jahren voller Verzögerungen und Planungen sowie über drei Jahren Bauzeit sind die »Minharot Carmel«, wie sie auf Hebräisch genannt werden, Realität geworden. In zahllosen Arbeitsstunden frästen sich die Maschinen durch den harten Stein des Carmelgebirges, um der chronischen Pkw-Verstopfung in der nördlichen Metropole Herr zu werden. Durch den Berg geht es im längsten Tunnel des Landes zweispurig auf einer Gesamtstrecke von rund 6,5 Kilometern.

Projekt Der Bau ist ein Gemeinschaftsprojekt von israelischen und europäischen Planern sowie der chinesischen Spezialfirma CCECC. Als die 550 Tunnelarbeiter aus dem Reich der Mitte im Mai 2007 im Heiligen Land ankamen, war es zunächst für den israelischen Betreiber, CarmelTun, und den deutschen Hauptarchitekten Walter Wittke ein Schock: »Sie luden völlig veraltetes Material aus, etwas, das in Europa seit fast 40 Jahren nicht mehr verwendet wird«, erinnert sich Projektleiter Chaim Barak. »Nichts war computerisiert, stattdessen kamen immer mehr Handbohrer, und kleine Zementmixer und -sprayer zum Vorschein. Wir waren sicher, das die das niemals schaffen würden.« Doch Barak, Wittke und die anderen hatten Fleiß und Arbeitskraft der Menschen gänzlich unterschätzt. Rund um die Uhr an sieben Tagen in der Woche waren 180 von ihnen auf der Baustelle. Ganze fünf Monate vor Ablauf der Deadline legten die Chinesen die Werkzeuge weg und lächelten breit – die Tunnel waren fertig.

Jetzt wird der Eröffnung entgegengefiebert: »Bisher fahre ich morgens mindestens 45 Minuten zur Arbeit und nachmittags wieder zurück, manchmal stehe ich auf dem Heimweg sogar doppelt so lange im Stau.« Orit Lev lebt in den sogenannten Krajot, den Haifaer Vororten, und arbeitet im Westteil der Stadt. »Vor allem Downtown ist ständig zu, ich habe jeden Tag geflucht, diese Straße nehmen zu müssen, eine Alternative aber gab es nicht.« Bisher. Wie viele ihrer Leidensgenossen in den Staus freut sie sich, dass sich der Arbeitsweg zukünftig mächtig verkürzen wird. »Ich bin begeistert, für mich bedeutet der Tunnel jeden Tag über eine Stunde mehr Zeit für die Familie.« Dass man für die Benutzung bezahlen muss, nimmt Lev gern in Kauf. »Das, was der Tunnel an Gebühren kostet, habe ich sonst für Benzin verbraucht.«

Gebühren Die Fahrt vom südlichen Eingang der Stadt bis zum Ende am Checkposten kostet für einen Pkw 11,40 Schekel (etwa 2,30 Euro), wer schon in der Nähe des größten Einkaufszentrums Grand Canyon in Newe Scha’anan raus will, zahlt die Hälfte.

Die Ruppin-Kreuzung teilt die Durchfahrt in zwei Teile. Jeder Fahrer muss an einer Schranke mit Kassenhäuschen in bar bezahlen, es sei denn er hat ein Abonnement, durch das die fälligen Beträge gleich nach Benutzung von der Kreditkarte abgebucht werden. Die Betreiber hoffen auf regen Verkehr, damit die schätzungsweise 1,2 Milliarden Schekel Baukosten wieder reingeholt werden.

Umwelt In den vergangenen Monaten hatten sich die Riesenlöcher im Berg zur Touristenattraktion entwickelt. Auch Umweltschützer kamen, um zu prüfen, inwieweit die Tunnel die Gegend verändern. Doch entgegen vorheriger Befürchtungen hat der Bau der Natur Gutes gebracht. Obwohl die Ruppin-Kreuzung inmitten des größten Gebirgsbaches und geschützter Flora und Fauna verläuft, sind die Auswirkungen auf die Umwelt minimiert worden. Experten sind sich einig, dass eine überirdische Umgehungsstraße schwerere Schäden in einem weitaus größeren Areal angerichtet hätte. Durch den Bau wurden sogar gestörte Gebiete renaturiert. Unter der Leitung von Landschaftsarchitekten sind drei illegale Müllkippen beseitigt und 15.000 Blumenzwiebeln gerettet worden, die später um die Tunnel herum wieder eingepflanzt werden sollen. Grün und schnell – Haifa darf sich freuen.

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