Glossar

Leviathan

Der Leviathan kommt als Fabeltier im Tanach vor, unter anderem bei Hiob und im Buch der Psalmen. Laut Beschreibung trägt er die Züge eines Wals, Krokodils oder einer Schlange

von Noemi Berger  26.10.2016 13:41 Uhr

Einmal in 70 Jahren bewege er seine Flossen, wodurch er die ganze Welt erschüttere. Foto: dpa

Der Leviathan kommt als Fabeltier im Tanach vor, unter anderem bei Hiob und im Buch der Psalmen. Laut Beschreibung trägt er die Züge eines Wals, Krokodils oder einer Schlange

von Noemi Berger  26.10.2016 13:41 Uhr

Der Leviathan kommt als Fabeltier im Tanach vor, unter anderem bei Hiob und im Buch der Psalmen. Laut Beschreibung trägt er die Züge eines Wals, Krokodils oder einer Schlange. Mitunter wird er lediglich als Allegorie auf die vernichtende Kraft des Meeres aufgefasst.

Um die Herkunft des Wortes haben sich Sprachforscher, Exegeten und Literaturwissenschaftler bisher vergebens bemüht. Abraham ibn Ezra (1089–1164) bezieht den Namen auf jeden großen Fisch im Meer. Maimonides (1135–1204) leitet das Wort von »lawa« (verbinden) ab, weil seiner Meinung nach in diesem Ungeheuer drei Eigenschaften miteinander verbunden sind: Es geht, schwimmt und fliegt.

In biblischer Zeit war die Gestalt des mythischen Tiers noch nicht ausgebildet. Bei Hiob (40–41) ist es ein Seetier. Aber Jesaja (27,1) kennt schon zweierlei Leviathans: eine fliegende und eine gewundene Schlange. Darüber hinaus gibt es noch das Tannin: ein Krokodil, das im Meer wohnt.

Ägypten Laut Raschi (1040–1105) symbolisiert der Leviathan gewisse Völker. So können unter den beiden Schlangen jene Völker gemeint sein, deren Macht sich auf dem Land offenbart, wie Assyrien und Babylonien, während der Tannin eine Seemacht, zum Beispiel Ägypten, darstellt.

Im Buch Hiob ist der Leviathan ein Fisch mit Schuppen und Flossen (41,7). Doch er unterscheidet sich von anderen Fischen nicht nur durch seine Größe, seine Stärke und Weisheit, sondern auch durch seine Sprachkenntnisse und Gelehrsamkeit. Blutgier oder Grausamkeit kennt er nicht. Im Gegenteil, er neigt zu Tugend und Gerechtigkeit.

Der Verfasser des Sohar sagt über den Tannin, worunter er den Leviathan versteht, die ganze Welt stehe auf seinen Flossen. Einmal in 70 Jahren bewege er seine Flossen, wodurch er die ganze Welt erschüttere. Auch von einer Schlange, die wieder nur der Leviathan sein kann, erzählt der Sohar: Sie habe Flügel, einen Kopf rot wie eine Rose, Schuppen stark wie Eisen und lebe im Wasser. Sie speit Feuer, und die Fische fliehen vor ihr nach verschiedenen Richtungen. 70 Jahre liegt sie auf einer Seite. Wenn sie sich in Bewegung setzt, wird ihr ein Spitzhaken angelegt (Jeheskel 29,4). So wird sie in die Tiefe gezogen, um ihre Kraft zu brechen, da sie sonst die Pfeiler des Himmels erschüttern würde.

Tanach Die Apokryphen, die nicht kanonisierten Schriften des Tanach, stimmen darin überein, dass der Leviathan am fünften Tag erschaffen wurde, ungepaart zur Welt kam und den Frommen im Jenseits aufgetischt wird.

G’tt selbst deckt die Tafel, Er bereitet den Frommen eine »Große Mahlzeit« (Se’uda), bei der Fische, Rindfleisch und Geflügel aufgetragen werden. Die Gäste werden zu Tisch geleitet – denn Leviathan bedeutet »Begleitung« –, und jeder erhält einen ihm gebührenden Platz angewiesen.

Die Dauer der Mahlzeit ist auf 2000 Jahre anberaumt. Dies ist die Zeit von der Ankunft des Messias bis zum großen Gerichtshof des Herrn. An der Mahlzeit werden selbstverständlich auch Nichtjuden teilnehmen.

An rationalen Auslegungen der Sage mangelt es nicht. Wortgetreu kann die Erzählung aber schon deshalb nicht verstanden werden, weil es ausdrücklich heißt, dass es im Jenseits kein Essen, kein Trinken und überhaupt kein sinnliches Vergnügen gibt. Rabbi Maimun (12. Jahrhundert), der Vater des Maimonides, tadelt die Unvernünftigen, die derartige Erklärungen wortgetreu nehmen und meint, das richtige Vorgehen wäre, solche Erzählungen als Rätsel zu betrachten, dessen tieferer Sinn erst noch herausgefunden werden muss.

Olam Haba
Wenn es heißt, dass die Frommen dort sitzen mit Kronen auf ihren Häuptern, so ist damit die Erkenntnis G’ttes durch die Seele gemeint. Diese Glückseligkeit des Jenseits, die für die Frommen bereitet ist, nennen die Weisen »Se’uda«, Mahlzeit, und meinen damit Olam Haba, die kommende Welt.

Die synagogale Poesie (Pijutim) hat den Stoff der Sage aufgegriffen und weitläufig bearbeitet. So wurde in unsere Liturgie ein Gedicht von Meir ben Jitzchak ben Samuel (11./12. Jahrhundert) aufgenommen, das wir an Schawuot vor der Toralesung rezitieren (Akdamut). Darin werden der Kampf mit dem Leviathan und die Mahlzeit besungen.