Glossar

Haskala

Die Bewegung der Haskala (hebräisch: Bildung, Aufklärung) versuchte, die Ideen der Aufklärung mit den Werten des Judentums zu versöhnen

von Konstantin Schuchardt  11.07.2016 18:41 Uhr

Wegbereiter der Haskala (Aufklärung): Moses Mendelssohn (1729–1786) Foto: imago

Die Bewegung der Haskala (hebräisch: Bildung, Aufklärung) versuchte, die Ideen der Aufklärung mit den Werten des Judentums zu versöhnen

von Konstantin Schuchardt  11.07.2016 18:41 Uhr

Die Bewegung der Haskala (hebräisch: Bildung, Aufklärung) versuchte, die Ideen der Aufklärung mit den Werten des Judentums zu versöhnen. In der Mischna heißt es, man solle sich »keinen Spaten aus der Tora« machen, sondern die Erkenntnis nur um ihrer selbst willen erlangen.

Für die Lehren der Aufklärung gilt dies nicht. Die Anhänger der Haskala, die Maskilim, wollten aus ihr ein Werkzeug machen, mit dem sie sich einen Weg aus dem jüdischen Ghetto in die bürgerliche Gemeinschaft Mittel- und Westeuropas bahnen konnten.

Die Tatsache, dass der spätere Wegbereiter der Haskala, der junge Moses Mendelssohn, 1743 durch das einzige Tor in Berlin Einlass fand, das »für Vieh und Juden vorgesehen« war, veranschaulicht die Bedingungen, unter denen Juden in Preußen leben mussten. Mendelssohns Karriere vom Bettelstudenten zum ersten Juden, der Eingang in die deutsche Kulturlandschaft fand, galt lange als leuchtendes Beispiel für die Aufstiegsmöglichkeiten von Juden in Deutschland.

Gleichberechtigung Durch innere wie äußere Faktoren wurden im 18. Jahrhundert die einstmals unerschütterlich scheinenden Strukturen der jüdischen Gemeinden zusehends aufgeweicht, und eine steigende Anzahl ihrer wohlhabenden Mitglieder wandte sich, auf Kosten des Talmudlernens, dem Studium weltlicher Disziplinen zu. Die Schriften der Aufklärung ließen ihre jüdischen Leser von der Gleichheit aller Menschen und gleichberechtigter Teilhabe an der Gesellschaft träumen.

Mendelssohn hatte sich den Gedanken der Aufklärung geöffnet, doch in der Sphäre der Religion blieb er ein orthodoxer Jude, der jede Reform der Halacha ablehnte. Die weltliche Bildung der Juden betrachtete er allerdings als unabdingbare Notwendigkeit, um geachtete Mitglieder der Gesellschaft zu werden. Dazu gehörte natürlich die Kenntnis der deutschen Sprache.

1783 erschien Mendelssohns Tora-Übersetzung ins Deutsche, gedruckt in hebräischen Lettern. Die von ihren erbosten Gegnern »deutsche Bibel« genannte Übersetzung entwickelte sich zum Standardwerk der Haskala, mit deren Hilfe jiddischsprachige Juden in ganz Mittel- und Osteuropa Deutsch lernten und sich so einen Zugang zu wissenschaftlicher Literatur schufen.

Anpassung Auch christliche Gelehrte formulierten Ideen zur Verbesserung der Lage der Juden. Sie waren jedoch meist mit der Forderung an die Juden verknüpft, sich ihr Anrecht auf Partizipation an der Gesellschaft erst durch Anpassung an ebendiese zu verdienen. Toleranz zollten diese Aufklärer nur denjenigen, die sich von den Regeln ihrer »veralteten« Religion lossagen wollten.

Ausgehend von Frankreich traten in Europa Gesetze in Kraft, die die Lebensbedingungen von Juden allmählich verbesserten. Durch eine freiere Berufswahl und die Möglichkeit eines Universitätsstudiums kamen Juden in engeren Kontakt mit Christen und nahmen die Ideale der bürgerlichen Gesellschaft begeistert an.

Tradition Während auf dem Land noch lange die alte Lebensweise vorherrschend blieb, lösten sich die Juden in den großen Städten zunehmend von der Tradition, die manchem nur noch als hinderlich erschien. In dieser Phase der Neuorientierung verließen viele das Judentum, andere suchten innerhalb ihrer Religion nach Antworten auf die Herausforderungen der Moderne. So entstanden in dieser Zeit das Reformjudentum, die konservative Bewegung und die Neo-Orthodoxie.

Die jüdische Aufklärung hatte zwei Gesichter: Während das eine, den Aufbau bejahend, in die Zukunft blickte, schaute das andere verächtlich auf das Judentum zurück, allzu bereit, es zu verlassen.

Es ist kein Zufall, dass sich die meisten Nachkommen Mendelssohns taufen ließen. Und ebenfalls kein Zufall ist es, dass die ersten Zionisten aus den Reihen der Maskilim kamen. Die Haskala vertrieb das Mittelalter aus den Judengassen, um ihre Bewohner in die Moderne zu führen. Ihr Traum von der Emanzipation in Europa endete in den Gaskammern, doch der Traum vom eigenen Staat sollte Wirklichkeit werden.