Feier

Das war die Jewrovision 2022!

In sommerlichen Hosenanzügen tanzen die drei Lead-Sängerinnen von Chasak Hamburg über die Bühne. »Endlich wieder singen, tanzen, alle Freunde wiedersehen«, lautet der Refrain, vorgetragen unter Palmen und einer riesigen Eiswaffel. »Jew-jew-jewro, finally back again.« Die Performance des jüdischen Jugendzentrums (Juze) der Hansestadt spricht den über 1000 anwesenden jungen Jüdinnen und Juden vermutlich aus der Seele: Die Jewrovision ist zurück – endlich!

Vergangenen Donnerstag (27. Mai) waren sie aus ganz Deutschland bus- und zugweise in Berlin angekommen. Viele von ihnen waren schon 2020 kurz davor, sich auf den Weg in die Hauptstadt zu machen, als die Corona-Pandemie allen einen Strich durch die Rechnung machte. »Einen der schwersten Tage meines Lebens« nennt Marat Schlafstein den Moment, als er und sein Team die Jewrovision absagen mussten.

Dem Leiter des Referats Jugend und Gemeinden beim Zentralrat der Juden war bewusst, wie viel das Ereignis den jungen Jüdinnen und Juden bedeutet. »Unser Akku an Jüdischkeit war auf Rot nach zwei Jahren Pause«, fasst Schlafstein die Zeit der Entbehrung zusammen. In den vier ausgelassenen und sehr jüdischen Tagen im Estrel-Hotel in Berlin-Neukölln gab es nun genug Möglichkeit, diesen Akku wiederaufzuladen. Das Motto der diesjährigen Jewrovision: »The Show Must Go On«.

Der erste Tag war noch recht gemächlich: erst einmal ankommen, sich mit alten Freunden austauschen, etwas essen. Auf dem »Markt der Möglichkeiten« präsentierten sich zahlreiche jüdische Organisationen und Projekte wie Makkabi, »Meet a Jew«, »PJ Library«, »Mischpacha«, »Keshet« oder das Rabbinerseminar Berlin. Am Abend gab das Vokal-Ensemble »Mafteach Soul« zusammen mit der Sängerin Maya Saban ein Eröffnungskonzert.

Freitagvormittag nahm die Spannung dann deutlich zu. Es standen die Generalproben für den Musik-Wettbewerb an, der ab 14.30 Uhr stattfinden sollte. »Ich bin nervös«, sagte der 13-jährige Felix vom Juze Chesed aus Gelsenkirchen am Rande der Probe, »aber froh, dass es jetzt endlich losgeht.«

Deutlich zurückgelehnter konnte da Micha Yantian sein. Er war 2014 das letzte Mal als Teilnehmer bei einer Jewrovision dabei. Dieses Jahr kam dem 26-jährigen Berliner eine andere Rolle zu. Als Madrich war er unter anderem für die Sicherung der Bühne verantwortlich. »Ich finde es schön, dass es auf diese Art für mich noch eine Möglichkeit gibt, an der Jewrovision teilzunehmen«, freute sich Yantian.

»Es ist mir eine Riesenehre, die Jewrovision zu moderieren«, sagte Dan (Daniel Schwarz), nachdem die aufgeregten Jugendlichen endlich in der großen Halle Platz genommen hatten und der Wettbewerb starten konnte. Der 21-jährige Musiker und Jewrovision-Veteran weiß, was es für eine gute Performance braucht: »Schweiß, Tränen und harte Arbeit.«

Bevor es losgehen konnte, gab es noch Grußworte der Bundesfamilienministerin und Jewrovison-Schirmherrin Lisa Paus (Grüne), von Gideon Joffe, dem Vorsitzenden der Jüdischen Gemeinde zu Berlin, und dem Zentralratspräsidenten Josef Schuster, der den Jugendlichen zurief: »Lasst es so richtig krachen!«

Die ließen sich nicht lange bitten: Unter dem Jubel Hunderter Zuschauer lieferten die Gruppen der zwölf Jugendzentren ihre Performances ab – eine bunter, lauter und ausgefeilter als die nächste. So unterschiedlich die Auftritte waren, so wurden sie doch durch gemeinsame Themen miteinander verbunden: Einsamkeit und Isolation während der Corona-Pandemie, die Freude über die Rückkehr der Jewrovision, die Erfahrung von Diskriminierung sowie der Stolz auf die eigene jüdische Identität.

Um die Frage der Zugehörigkeit und die Liebe zu sich selbst ging es auch beim Act der Jüdischen Jugend Baden, kurz JuJuBa, einem Zusammenschluss mehrerer Gemeinden. Unter dem Motto »Know Your Name« besang die Gruppe in Kostümen mit urbanem Look die Treue zur eigenen Herkunft und die Wichtigkeit des Namens im Judentum. Zu der Musik des 80er-Jahre-Klassikers »Fame« von Irene Cara sangen sie: »True to myself forever.« Dafür gab es von der Jury den dritten Platz.
Auf Platz zwei kam die Gruppe vom Juze Olam Berlin, die beim letzten Mal gewonnen und damit die Jewrovision in die Hauptstadt geholt hatte.

Deren Auftritt begann düster: Auf einer Leinwand im Hintergrund sah man Bilder von Schlagzeilen antisemitischer Übergriffe. Ganz in Schwarz waren Tänzer und Sängerinnen gekleidet. »Bespuckt, beleidigt und ausgegrenzt«, hieß es in ihrem Song. Dann gab es einen fröhlichen Szenenwechsel, und auch die Kostüme wurden auf einmal knallbunt. Die Message: »Doch das lass ich nicht an mich ran.«

Neben den Stars in spe waren an diesem Tag auch bereits etablierte Acts zu sehen. In der Halbzeit-Show gab Diana Goldberg mit ihrer Band einige ihrer Songs zum Besten. Goldberg kommt aus München und hat als Jugendliche selbst an der Jew­rovision teilgenommen. Nach den zwölf Auftritten der Juzes betrat außerdem das israelische Duo »Static & Ben El« die Bühne und löste bei seinen jungen Fans euphorischen Jubel aus.

Bei der anschließenden Punktevergabe der Jurymitglieder bekam nur eine Gruppe noch mehr Punkte als die Berliner: Amichai aus Frankfurt.
Die hatten an diesem Tag die wohl anspruchsvollste Show hingelegt: Zwei bewegliche Räume mit unterschiedlichen Kulissen glitten über die Bühne und wurden in einer komplizierten Choreografie von den beiden Lead-Sängern fließend betreten und wieder verlassen.

So spielerisch die Inszenierung, so ernsthaft das Thema: Es ging in dem Lied um die Unsicherheit, in der sich die jüdische Gemeinde in diesem Land täglich bewegt. Doch auch hier stand am Ende ein starkes Statement: »Lass uns gemeinsam etwas ändern – Deutschland, es reicht!«

Die 19-jährige Karina Markhbein war für Berlin angetreten, gönnt den Frankfurtern den Sieg aber »von ganzem Herzen«. Seit Februar haben sie und ihre Mitstreiter zweimal die Woche geprobt. Dass es nicht zum zweiten Sieg in Folge reichte, macht ihr nicht viel aus: »Ich bin zu einem Prozent enttäuscht und zu 99 Prozent glücklich.« Die Jewrovision in Berlin war »lang ersehnt«, sagt sie. Ihr Fazit: »Einfach episch!«

Viele Gemeinden sind zu klein, um den dafür nötigen Aufwand erbringen zu können. Michael B. kommt aus Chemnitz, wo im Juze etwa 15 junge Juden aktiv sind. »Uns kam nach der Jewrovision der Gedanke, für das nächste Mal einen eigenen Act auf die Beine zu stellen«, sagte der 15-Jährige, den die vier Tage sichtlich begeistert haben.

Bevor es für ihn und die anderen Jewrovision-Teilnehmer mit neuen Ideen nach Hause ging, verbrachten sie aber alle noch den Schabbat zusammen. Am Samstag wartete auf sie ein Programm aus Gottesdiensten und Workshops, und am Abend wurde gemeinsam die Hawdala gefeiert. Für Rabbiner Avichai Apel, der die Zeremonie anleitete, war es ein »unglaubliches, herrliches Gefühl«, einen Gottesdienst mit Hunderten Jugendlichen abzuhalten. Er nennt sie die »Wegweiser für die jüdischen Gemeinden«.

Wer noch Kraft hatte – und das waren die meisten der jungen Jewrovision-Teilnehmer –, konnte sich im Anschluss auf dem Dancefloor der Aftershow-Party austoben. Am nächsten Morgen gab es noch einen gemeinsamen Fototermin vor dem Brandenburger Tor, bevor es dann für die 1200 Kinder und Jugendlichen zurück in ihre Heimatstädte ging. Rabbiner Apel wünscht sich, dass sie »die Energie der Jew­rovision mit nach Hause nehmen«.