Glossar

Chasan

Chasan Isaac Sheffer in Berlin Foto: Reuters

Wie das jüdische Denken war auch jüdische Musik niemals von äußeren Einflüssen abgeschlossen. Durch die Jahrhunderte erklingt in den Gesängen der Synagoge der Widerhall lokaler Musiktraditionen. In jüdischer Vorstellung sind Musik und Gesang keine menschliche Erfindung, sondern ein Teil der göttlichen Schöpfung, der die Aufgabe zufällt, den Schöpfer zu preisen.

Im Midrasch wird hierbei kein Unterschied zwischen dem Gesang der Engel, den Klängen der Natur, zum Beispiel dem Rauschen des Meeres, oder dem Gesang der Menschen gemacht. Diese sind gleichermaßen Ausdrücke der Verherrlichung des Schöpfers durch seine Geschöpfe.

Jungfrauen Im Sefer Tehillim werden gänzlich andersartige Formen religiöser Musik beschrieben, als sie uns aus dem heutigen Gottesdienst bekannt sind. In Psalm 68 heißt es: Voran gingen Sänger, danach Saitenspieler, inmitten tamburinschlagender Jungfrauen.

Im Tempel war der Opferkult nicht nur stimmlich, sondern auch musikalisch reich ausgestaltet. Die Wandlung des musikalisch untermalten Opferkultes des Tempels hin zur A-capella-Rezitation der Gebete, die in rabbinischer Zeit ihren Anfang nahm, brachte den Chasan oder Kantor hervor.

Das Wort Chasan lässt sich auf den assyrischen Begriff »Chasanu« (Aufseher) zurückführen. Im Talmud umfasst die Bezeichnung Chasan verschiedene Typen von Aufsehern, darunter der Synagogenaufseher, der neben dem Vorbeten zahlreiche andere Funktionen in der Gemeinde innehatte und der als Vorläufer des heutigen Chasans zu betrachten ist.

Der Chasan nimmt eine exponierte Stellung innerhalb seiner Gemeinde ein, da die Intonation seines Gesangs Stimmung und Ästhetik des Gottesdienstes entscheidend beeinflusst. Die Anforderungen an dieses Amt sind seit jeher hoch. Neben der obligatorischen schönen Stimme wurden von einem Kandidaten ein einwandfreier Lebenswandel sowie fundierte Torakenntnisse gefordert. Auch ein angenehmes Äußeres sowie ein prächtiger Vollbart waren erwünscht.

Schaliach Tzibbur
Im Mittelalter musste die Wahl des Chasans häufig einstimmig erfolgen, da er als Schaliach Tzibbur (Gesandter der Gemeinde) galt, dessen Gebet die fehlerhaften Gebete der einfachen ungebildeten Gemeindemitglieder mit repräsentierte. Ihre auffällige Rolle in der Gemeinde machte die Chasanim zur Zielscheibe der Kritik.

Seit dem Mittelalter wurde der Vorwurf laut, Chasanim seien eitel und vor allem an der effektvollen Darstellung ihrer Kunstfertigkeit interessiert. Rabbiner Abraham ben Shabbethai Horowitz empfahl Synagogenbesuchern im 18. Jahrhundert sogar, sollten die Soli des Chasans allzu ausufernd ausfallen, währenddessen lieber die Mischna zu studieren.

Doch als der berühmte Operntenor Joseph Schmidt, dessen Gesangskarierre als Kantor begonnen hatte, in den 20er- und frühen 30er-Jahren in Berliner Synagogen auftrat, fanden sich unter den Betenden auch Menschen ein, die sich keine Opernkarten leisten konnten. Sie waren wohl wegen des musikalischen Genusses gekommen – und nicht unbedingt, um sich während Schmidts Gesang in die Mischna zu vertiefen.