Babij Jar

Wo die Menschheit ihr Gesicht verlor

von Miryam Gümbel

»Wozu die Wörter, wozu die Feder, wenn auf dem Herz ist dieser Stein ...« Diese Zeilen stammen aus einem Gedicht von Ilja Ehrenburg zum Gedenken an das Massaker von Babij Jar vom September und Oktober 1941. Vorgetragen wurden sie im Gemeindesaal der Israelitischen Kultusge- meinde (IKG) München anläßlich der Gedenkstunde zum 65. Jahrestag des Massakers.
»Babij Jar ist eine Chiffre für den Abgrund der menschlichen Natur. Es läßt uns an Auschwitz denken, an Treblinka, an Dachau. An diesen Orten verloren die Menschen ihr menschliches Gesicht. Sie offenbarten all das Böse und Brutale, zu dem die Menschheit fähig ist«, sagte Gemeindepräsidentin Charlotte Knobloch am 26. September in ihrer Ansprache. »Habgier, Heimtücke und Machtgelüste können stärker sein als Erbarmen und Mitgefühl.«
Im Gedenken an dieses Massaker, so die Präsidentin weiter, sind »wir erschüttert und verzweifelt. Nicht nur mit Blick auf die Vergangenheit, sondern auch mit Blick auf die Gegenwart«, in der Neonazis die demokratische Grundordnung in Frage stellten. Und sie mahnte: »Wir alle wissen, wie das endet. Zum Beispiel mit Babij Jar.« Knobloch erinnerte daran, daß dieses Verbrechen in der Sowjetunion unter Stalin lange verschwiegen wurde, alle Versuche, daran zu erinnern, wurden im Keim erstickt. Erst 1967 gelang es dem Verband der Ukrainischen Architekten, eine Ausstellung durchzusetzen, die an die Greuel erinnerte. »Babij Jar ist eine Aufforderung, wachsam zu bleiben und antisemitischen Tendenzen die Stirn zu bieten«, mahnte Charlotte Knobloch. »Lassen Sie uns gemeinsam daran arbeiten, daß es nie wieder ein Babij Jar gibt.«
Semen Moshkovych, der Gründer und Vorsitzende des Vereins »Phoenix aus der Asche«, der in München von Ghetto- und KZ-Überlebenden aus der ehemaligen So-wjetunion gegründet worden war und der die Gedenkfeier gemeinsam mit der IKG veranstaltet hatte, bezeichnete Babij Jar als »Tragödie des gesamten sowjetischen Volkes. Es waren hauptsächlich Kinder, Frauen und alte Menschen, die hier ermordet wurden.« Er selbst ist, wie Vizepräsident Yehoshua Chmiel bei seiner Einführung sagte, 1936 in der Ukraine geboren, lebte von 1941 bis 1944 im Ghetto und kam im Dezember 1996 nach München.
Rabbiner Steven Langnas betonte, daß es bei einer Stunde wie dieser um viel mehr gehe als nur darum, der Vergangenheit zu gedenken. Mit der Erinnerung lerne man für die Zukunft. Mit Blick auf die Opfer von Babij Jar sagte der Gemeinderabbiner: »Es wird leichter für die Seelen sein, ihre ewige Ruhe zu finden, wenn sie wissen, daß sie nicht vergessen sind.« Mit einer Schweigeminute unterstrichen dies die Anwesenden im Gemeindesaal. Nach einem von Kantor Avishai Levi gesungenen Gebet faßte Yehoshua Chmiel die Ereignisse von Babij Jar kurz aber eindringlich zusammen. Babij Jar ist ein Schlucht bei Kiew. Hier wurden 1941 am 29. und 30. September 33.771 jüdische Menschen erschossen. Ein Sonderkommando der SS führte gemeinsam mit ukrainischen Hilfsschergen diesen Massenmord aus.
Diese historischen Geschehnisse vertieften Mitglieder des Jugendtheaters der IKG unter Leitung von Anastasia Komerloh durch vorgetragene Lieder, Gedichte und Dokumente. Abwechselnd auf Deutsch und Russisch trugen sie die Texte vor, die gleichzeitig auf einer Projektionswand in der jeweils anderen Sprache nachzulesen waren. Die Jugendlichen beeindruckten mit sehr unterschiedlichen Erinnerungsfragmenten von Überlebenden des Massakers. Bilder der inzwischen errichteten Erinnerungsstätte an der 55 Meter langen Todesschlucht sowie zeitgenössische Aufnahmen des Massakers ließen die Anwesenden für kurze Zeit die 65 Jahre vergessen, die zwischen dem Grauen von damals und dem Heute liegen.
Dokumente zu den Nürnberger Prozessen, die sich ebenfalls mit Babij Jar befaßten, unterstrichen die Tragödie ein weiteres Mal.
Abwechselnd mit dem Vortrag der Dokumente setzten der Chor Druschba unter Leitung von Tamara Oumanskaia mit den Solisten Aizik Chvartsman und Boris Gertsvolf sowie die Gruppe Larysa und Alexander Nesterenko mit Lyubov Khaytona musikalische Akzente. Vladimir Gaba und Igor Brouskine spielten die Filmmelodie aus »Schindlers Liste«.
Noch lange hallte der Abend, den die Integrationsabteilung unter Leitung von Olga Albrandt sowie das Jugend- und Kulturzentrum unter Leitung von Stanislaw Skibinski und Ellen Presser organisiert hatten, nach. Beendet wurde er mit dem »El mole Rachamoim«.
Die Verse des Gedichts von Jewgeni Jewtuschenko Babij Jar und die Bilder des Abends blieben den Gästen noch lange in Erinnerung.

Jena

Fördergelder für Haus Auerbach

Villa des jüdischen Ehepaars Auerbach gilt als besonderes Zeugnis des Weimarer Bauhauses

 28.03.2024

Diplomatie

Bundesaußenministerin verlangt mehr Hilfe für Gaza

Annalena Baerbock besucht den Grenzübergang Kerem Schalom

von Sabine Brandes  26.03.2024

Berlin

Unveränderte Sicherheitseinschätzung nach Moskauer Anschlag

Die Bedrohung sei bereits zuvor hoch gewesen, heißt es im Innenministerium

 25.03.2024

Berlin

Deutlich mehr Fälle von Hasskriminalität

Hetze nimmt zu - vor allem im Netz. Dies sagt die Staatsanwaltschaft

 25.03.2024

Fernsehen

»Igor Levit - No Fear«: Mehr als ein Musikfilm

Das dokumentarische Porträt des charismatischen Pianisten läuft am Sonntag auf ARTE

 22.03.2024

Neuerscheinung

Die postkoloniale Endlösung

JA-Chefredakteur Philipp Peyman Engel schreibt in »Deutsche Lebenslügen« über die gefährliche Allianz von linken und muslimischen Judenhassern. Ein exklusiver Buchauszug

 21.03.2024

Soziale Medien

Plattform X entsperrt Konto von Identitärer Bewegung

Seit der Übernahme durch Elon Musk dürfen Extremisten wieder posten

 21.03.2024

Fussball

Schafft Israel noch die EM-Qualifikation?

Das Team aus Israel trifft am Abend auf Island

 21.03.2024

Hamburg

Millionen-Förderung für KZ-Gedenkstätte

KZ Neuengamme wurde von 1938 bis 1945 betrieben und hatte mindestens 86 Außenlager

 20.03.2024