jemen

»Wir wehren uns nicht«

Noch ein kurzer Wink, Said Annahrdi wendet sein Motorrad und knattert davon. Eine kleine Staubwolke zieht er hinter sich her, seine schwarzen Schläfenlocken schau- keln im Wind. Er muss zurück in seine Schneiderwerkstatt. Mit seiner Frau und zehn Kindern lebt der 42-Jährige in Raydah, einem Provinzstädtchen 50 Kilometer nördlich von Sanaa, der Hauptstadt des Jemen. Said Annahrdi ist Jude. Seine Kunden schätzen ihn, sein Haus steht mitten im Ort, und seine Vorfahren leben seit Jahrhunderten hier. Nie hat er sich träumen lassen, mal von Raydah wegzugehen, sagt er. »Aber ständig Angst zu haben – das ist kein Leben mehr.«

Todesdrohungen Zwanzig jüdische Familien wohnen noch hier, insgesamt 266 Menschen. Ein Teil lebt im Stadtkern, die anderen einige Kilometer östlich in der Siedlung Beth Harash – das sind die beiden letzten angestammten Wohnorte von Juden im Jemen. Die dritte Gemeinde musste vor zwei Jahren aus der Saada-Provinz ganz im Norden in die Hauptstadt evakuiert werden, nachdem sie Todesdrohungen von schiitischen Houthi-Rebellen erhalten hatte. In diesem Gebiet herrscht Bürgerkrieg. Erst kürzlich wurden neun Ausländer entführt – zwei deutsche Frauen und eine Koreanerin kurze Zeit später ermordet aufgefunden. Von den übrigen sechs Gekidnappten – darunter drei Kindern – fehlt jede Spur.
Seit 2007 leben die 65 Juden aus Saada in der sogenannten Tourist City, einem mit hohen Mauern gesicherten Apartmentkomplex für Ausländer direkt neben der amerikanischen Botschaft in Sanaa. Die meisten Männer sind Silberschmiede – sie galten als die besten im Land. So mancher ältere muslimische Handwerker in der historischen Altstadt von Sanaa hat noch bei Juden gelernt. Jetzt will die deutsche Botschaft den hier gestrandeten Meistern helfen, im Silbersouk einen Laden anzumieten.
Mord Entlang der Hauptstraße von Raydah reihen sich die grauen, gesichtslosen Kastenbauten aus Zementziegeln. In den Teehäusern hocken einige verfilzte Halbwüchsige mit Kalaschnikows zwischen den Beinen. Aus einem alten orange-gelben Chevrolet-Schulbus, der sich aus den Vereinigten Staaten hierher verirrt hat, quellen lärmende Kinder. Am Horizont türmen sich mächtige Gebirgsketten. Das Tal ist an dieser Stelle ungewöhnlich breit, grün und fruchtbar. Manche Bauern pflügen noch mit Ochsengespannen, andere tuckern mit betagten Traktoren über die Feldwege zu ihren Kartoffeläckern.
Vergangenes Jahr um diese Zeit war ihre Welt noch in Ordnung. »Erst nach dem Mord haben wir Angst bekommen«, sagen die jüdischen Bewohner. Im Dezember war Mousa Yaish al-Nahari gerade auf dem Gemüsemarkt beim Einkaufen, als sich plötzlich ein Mann vor ihm aufbaute und seine Maschinenpistole anlegte. »Jude, hier die Botschaft des Islam für dich«, rief er aus und jagte ihm mehrere Kugeln in den Leib. Das 39-jährige Opfer, den alle hier Mascha nennen, war sofort tot – Vater von vier Söhnen und fünf Töchtern im Alter von ein bis 14 Jahren. Die Familie besitzt ein zweistöckiges Haus mit auffällig blau getönten Bogenfenstern am Ortseingang. Der kleine Laden im Erdgeschoss ist an einen Lebensmittelhändler verpachtet, die Wände sind mit arabischen Graffiti beschmiert. Im Hof spielen Kinder, die drei ältesten Mädchen leben inzwischen bei Verwandten in Israel. »Es geht uns sehr schlecht«, sagt sein ältester Sohn, der 12-jährige Sassa, während er mit einem Fuß verlegen im Boden herumstochert.

Gasakrieg Nach dem Mord kam dann im Januar der Gasakrieg. Alle im Städtchen saßen vor dem Fernseher und schauten Al Dschasira – und begannen, die jüdischen Nachbarn zu beschimpfen. »Schaut nur, was eure Brüder in Israel machen«, riefen sie. Steine flogen, Fensterscheiben gingen zu Bruch, auf einem Hof explodierte nachts eine Handgranate. »Wir tun, was wir können, um die Täter zu finden«, sagt Bürgermeister Abdullah Shleif. Ihm merkt man an, dass er die jüdischen Bürger nicht verlieren möchte. Er ist zum Gespräch in das Haus von Rabbi Suleiman Jacob gekommen. Mal hält er die Hand des 41-jährigen bärtigen Rabbiners, der neben ihm auf dem Boden sitzt, mal tauscht er freundliche Blicke mit den Kindern, die mit spitzen Ohren dem Gespräch der Erwachsenen lauschen. Der Boden ist mit PVC ausgelegt, entlang der Wände wechseln Sitzdecken mit Stützkissen für die Arme. »Natürlich mache ich mir Sorgen«, sagt der Bürgermeister. Die Mehrheit der Bevölkerung akzeptiere die jüdische Gemeinde. Doch wie überall auf der Welt, gebe es auch unter seinen Leuten »solche und solche«. Nur Verrückte unterschieden zwischen einem Muslim und einem Juden – »eine kleine Minderheit, und um die kümmern wir uns«, versichert er.
Menschenrechte Die Organisation Yemen Human Rights Observatory sieht das nicht ganz so optimistisch. Viel zu spät habe die Polizei gegen die Untaten durchgegriffen, zwar einige der meist jugendlichen Täter festgenommen – aber dann habe man nie wieder etwas gehört, kritisieren die Menschenrechtler. Inzwischen habe sich die Situation entspannt, sagt Schneider Said Annahrdi. »Heute kann ich mich wieder normal in der Stadt bewegen.« Die jüdische Gemeinde tut nach seinen Worten alles, damit sich die Probleme nicht wieder hochschaukeln: »Wir nehmen die Angriffe hin und wehren uns nicht, damit es ruhig bleibt«, sagt er. Doch das mulmige Gefühl will nicht weichen. »Ist nicht mehr so toll hier«, murmelt der Tischler Suleiman Yahia Daoud Hamdi, während er auf dem Boden hockend versonnen in einer Tüte mit Kathblättern herumfistelt, der Volksdroge Nummer eins im Jemen. Jeden Zweig schlägt er zwei-, dreimal auf die linke Hand, dann beginnt er die Blättchen einzeln abzuzupfen und in die Backe zu stopfen. So machen es hier viele nach der Mittagszeit. »Katten« ist überwiegend Männersache. Vier, fünf Stunden sitzt man beieinander, kaut vor sich hin und löst die Probleme der Welt und der Nachbarschaft. Sein einfaches Haus steht direkt unterhalb der alten, verfallenen Bergfestung. »Die Salafiten werden immer stärker«, nuschelt er mit voller Kath-Backe. Islamische Fanatiker hetzten die Bevölkerung auf, und »wir baden das aus. Wer die Hintermänner sind, wir wissen es nicht. Und wenn wir zur Polizei gehen und uns beschweren, zucken die nur mit den Schultern. Sie sagen, sie werden sich kümmern – aber alles nur Gerede.«

Zwergschule »Willkommen« steht auf Hebräisch auf dem blauen Eisentor zum Schulhof in der Siedlung Beth Harash. Alle jüdischen Kinder gehen – Jungen und Mädchen getrennt – auf die eigene Zwergschule. Der Klassenraum für die Jungen hat acht Bänke, an der Wand sind mit Heftzwecken leere Verpackungen von Süßigkeiten geheftet, die nicht koscheren rechts, die koscheren links und in der Mitte die unklaren. Zwei in braunes Leder gebundene Bücher, der Tanach, liegt auf den Bänken. Der Unterricht ist in Hebräisch, untereinander sprechen die Kinder Arabisch. Eine Gaslampe hängt von der Decke. Das grüne Eisentor nebenan mit der hebräischen Aufschrift »Das Tor zum Segen« führt zur Synagoge, gleichfalls ein bescheidener Flachbau aus groben Steinen, den es erst seit fünf Jahren gibt. Das Innere ist mit einfachen Teppichen ausgelegt. Die Torarollen werden in einem kleinen, mit bunten Tüchern zugehangenem Regal aufbewahrt. Den Wein für den Schabbat keltern die Mitglieder der Gemeinde bis heute selbst.

Toleranzraum Jüdisches Leben existiert im Jemen seit mehr als 2.500 Jahren. Der erste große Exodus kam 1949. Damals wurden unter dem Decknamen »Operation fliegender Teppich« etwa 50.000 Menschen nach Israel ausgeflogen. »Wenn jetzt noch die letzten Juden weggehen, dann wird das der Welt sagen, dass es im Jemen keinen Raum für Toleranz gibt, und wir nicht mehr mit Menschen anderen Glaubens zusammenleben können«, fürchtet Mahmoud Taha, ein Menschenrechtsaktivist, dem das Los der jüdischen Mitbewohner sehr am Herzen liegt.
Wenn Yaish Al-Nahari von dem Mord an seinem Sohn erzählt, laufen immer wieder Tränen über sein vom Wetter gegerbtes Gesicht. Fünf Jahre Haft für den Täter und 27.500 Dollar Blutgeld für die Familie des Getöteten, urteilte der Richter – für Vater und Ehefrau, ihren muslimischen Anwalt und die jüdische Gemeinde ein Skandal, gegen den sie Berufung einlegten. Der Angeklagte, ein offenbar geistesgestörter ehemaliger jemenitischer Kampfpilot, hatte bereits vor fünf Jahren seine eigene Frau umgebracht. Er blieb jedoch auf freiem Fuß – bis er sich jetzt sein nächstes Opfer suchte. »Wenn das Urteil nicht nach der Scharia erfolgt, werde ich das Land verlassen«, sagt Yaish Al-Nahari. Am vergangenen Sonntag hat das Berufungsgericht in der Provinzhauptstadt Amran den Mörder zum Tode verurteilt.

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