Daliah Lavi

Willst du mit mir geh’n?

von Christian Schröder

Das Erste, was auffällt, wenn man sich mit Daliah Lavi unterhält, ist ihr Lachen. Sie ist in aufgekratzter Stimmung, jeden dritten oder vierten Satz beendet sie mit einem übermütigen Kichern. »Seitdem ich älter werde, sehe ich viele Sachen mit etwas mehr Humor«, sagt sie. Daliah Lavi ist jetzt 68, und es geht ihr offenbar prächtig.
In den 70er-Jahren, der Zeit ihrer großen Erfolge, war die Sängerin stets von einem Hauch Melancholie umweht. Mit ihren knöchellangen Folklorekleidern, rotbraun wallenden, streng mittelgescheitelten Haaren und den großen schwarzen Augen verkörperte sie das Gegenmodell zum Ein-bisschen-Spaß-muss-sein-Frohsinn des deutschen Schlagers. Ihre Hits hießen Oh, wann kommst du?, Willst du mit mir geh’n? oder Es ist spät, zu spät für uns. Mit rauchigem Timbre beschwor Lavi da die Euphorie, aber auch die Kompliziertheit der Liebe. Auf keinem ihrer Schallplattencover sah man sie lächeln. »Ich war sehr erfolgreich, mein Leben klang wie ein Märchen«, sagt sie. »Aber ich war damals nicht besonders glücklich. Meine Ehen scheiterten, mir ging es nicht gut. Das sehe ich jetzt, wenn ich auf diese Zeit zurückblicke. Damals dachte ich: Das ist eben das Leben. So naiv war ich.«
Vor 15 Jahren hat sich Daliah Lavi aus der Showbranche ins Privatleben zurückgezogen. Mit ihrem vierten Ehemann, dem Industriellen Charles Gans, lebte die vierfache Mutter seither in der 70.000-Einwohner-Stadt Asheville in North Carolina. »Zurückgezogen«, wie es in solchen Fällen gern heißt und offenbar glücklich. Doch jetzt ist die Sängerin wieder da. Im November erschien ihr neues Album C’est la vie – so ist das Leben, am 28. Februar beginnt eine Tournee, die sie durch zwölf deutsche Städte führen wird. Die Platte sprang sofort an die Spitze der Schlager-Charts, und Lavis Auftritte in einigen Fernsehshows verfolgten bis zu sechs Millionen Zuschauer. »Das ist ein Kompliment für mich«, sagt sie strahlend und wechselt ins Englische: »It’s unbelievable, it’s wonderful.« Und dann lacht sie wieder. Von einem Comeback will sie aber nichts wissen. »Das ist keine Comebacktour, ich kehre nicht zurück. Es soll eine Abschiedstournee werden, mit der ich mich bei meinem Publikum bedanken möchte.«
Daliah Lavis Karriere verlief alles andere als geradlinig, eigentlich hatte sie auch gar nicht vor, Sängerin zu werden. Immer wieder waren es Zufälle, die ihren Weg bestimmten. Sie selbst sieht ihr Leben als »eine Art Baum mit vielen ineinanderverschränkten Ästen und Zweigen«. Erst im Nachhinein ergibt alles einen Sinn. »Ich habe angefangen in einem kleinen Dorf in Israel, und nun ende ich in einer kleinen Stadt in Amerika«, sagt sie. C’est la vie.
Geboren wurde sie 1942 als Daliah Lewinburg im Moschaw Shavei Zion bei Haifa, einer genossenschaftlich organisierten Siedlung, die von schwäbischen Juden auf der Flucht vor dem Holocaust gegründet worden war. Ihre Mutter stammte aus Breslau, ihr Vater war Russe. Als Kind träumt sie davon, Balletttänzerin zu werden. Zum zehnten Geburtstag bekommt sie ein Tutu und ein paar Ballettschuhe geschenkt, kurz darauf erhält sie ein Stipendium für die Königliche Ballettschule in Stockholm. Sie bleibt anderthalb Jahre in Schweden, muss aber ihre Ausbildung abbrechen, weil sie zu schnell gewachsen ist. »Im klassischen Ballett durften Frauen damals nicht so groß sein, der Mann musste immer größer sein. Ich sah mich schon in ›Schwanensee‹ tanzen. Ballerina zu werden, war das Einzige, was ich wirklich wollte. Es nicht geschafft zu haben, war die größte Enttäuschung meines Lebens.«
Zurück in Israel, beginnt Lavi, als Fotomodel für Bade- und Strickmoden zu arbeiten. Als sie 17 ist, sieht ein Filmproduzent ein Foto von ihr in einem Schau- fenster in Tel Aviv. »So habe ich meine erste Hauptrolle bekommen.« Brennender Sand, eine deutsch-israelische Koproduktion, handelt von der Bergung biblischer Schriftrollen in der Wüste. Der Abenteuerfilm macht die Schauspielerin über Nacht bekannt, allein 1960 dreht sie noch drei weitere Filme. Sie lernt ihren ersten Mann, einen Franzosen, kennen, zieht mit ihm nach Paris, ist bald mit Alain Delon befreundet und steigt in den Jetset der internationalen Filmszene auf.
Ihre Filme heißen Im Stahlnetz des Dr. Mabuse, Der Dämon und die Jungfrau, Schüsse im Dreivierteltakt oder Leise flüstern die Pistolen, sie arbeitet mit Dean Martin, Orson Welles, James Mason und Yul Brynner zusammen. »Ich habe Filme gedreht, die haben sehr viel Geld gemacht und waren schrecklich«, sagt sie heute. Die James-Bond-Parodie Casino Royale aus dem Jahr 1967 ist einer dieser Filme, trotz der Mitwirkung von Peter Sellers und David Niven kommt der Streifen nicht über öden Klamauk hinaus. Für rund 40 Filme steht Lavi bis 1971 vor der Kamera. Ihre Lieblingsfilme sind der Klassiker Lord Jim und – das überrascht – die Klamotte Das schwarz-weiß-rote Himmelbett. »Der Regisseur Rolf Thiele sagte: Du bist eine Komikerin. Man gab mir immer diese dunklen Rollen, aber Thiele hatte recht – eigentlich habe ich ein komisches Talent. Das wusste ich bloß selbst bis dahin nicht.«
Auch ihre Musikkarriere beginnt mit einem Zufall. 1969 – Daliah Lavi lebt inzwischen in London – wird sie von einem befreundeten Musical-Schauspieler in seine BBC-Fernsehshow eingeladen. Sie singt ein paar israelische Folksongs. Der Musikproduzent Mike Sloman sieht die Show und bietet ihr einen Plattenvertrag an. Bereits ihre erste Single wird ein Hit: Love Song. Weil Lavi sich fließend in mehreren Sprachen ausdrücken kann, wird das Stück auch in Italienisch, Spanisch, Französisch und Deutsch aufgenommen. Am größten ist ihr Erfolg in Deutschland, wo aus dem Love Song das Liebeslied jener Sommernacht wird. Mit Oh, wann kommst du? und Wer hat mein Lied so zerstört? gelingen der Sängerin zwei Anschlusshits. Im Dezember 1970 wird sie von den Juroren einer Fachzeitschrift zur beliebtesten deutschsprachigen Sängerin gewählt, vor Manuela und Katja Ebstein. Ein Triumph.
»Daliah Lavi ist eine sehr, sehr intelligente Sängerin, die auch Inhalte interpretieren kann, die das übliche Schema des Schlagers hinter sich lassen«, sagt der Texter Michael Kunze, der seit den späten 70er-Jahren mit ihr arbeitet. »Als ehemalige Schauspielerin weiß sie sehr genau, wie sie ihre Worte artikulieren muss. Man kann sich bei ihr trauen, auch Worte zu benutzen, die erst einmal nicht so toll klingen.« Lavi singt in den Willy-Brandt- und Helmut-Schmidt-Jahren nicht nur über die Liebe, sie hat auch politische Chansons im Repertoire, die vom Krieg im Nahen Osten (Jerusalem) oder vom Schicksal der zum Tode verurteilten Anarchisten Sacco und Vanzetti (Nicola und Bart, die Coverversion eines Songs von Joan Baez) handeln.
Dass die Israelin Daliah Lavi ein Vierteljahrhundert nach der Schoa von den Deutschen gefeiert wurde, hat sie nicht weiter irritiert. »Bevor ich das erste Mal in Deutschland aufgetreten bin, habe ich meine Mutter gefragt, was sie davon hält. Sie sagte: Ich vertraue dir. Für mich waren die Konzerte in Deutschland immer fantastisch. Ich konnte dadurch in Kontakt kommen zu den jungen Leuten. Und diese jungen Leute trugen keine Schuld am Holocaust, sie waren nicht verantwortlich für das, was ihre Eltern und Großeltern gemacht hatten.« Antisemitismus, das versichert Lavi, sei ihr in Deutschland niemals begegnet.
»C’est ça la vie – genau so ist das Leben / Es kommt fast nie so, wie man sich das denkt / Die Fantasie liegt immer knapp daneben«, singt Daliah Lavi nun auf dem neuen Album, das ihr letztes sein soll. Dazu quietscht ein Akkordeon, ihre Stimme klingt etwas rauer als früher. Jahrelang hatte sie alle Angebote abgelehnt, eine Platte aufzunehmen, weil sie glaubte, alles gesagt zu haben. »Meine Philosophie, meine Gedanken, meine Ängste, darüber hatte ich gesungen.« Bis sie irgendwann anfing, ihre Notizen durchzusehen, die sie in einer Kiste abgelegt hatte. »Da habe ich geguckt, was in den letzten Jahren passiert ist. Und ich fand ein paar Sachen, die etwas anders waren als das, was ich schon gesagt hatte: gelassener, vielleicht auch abgeklärter, ein bisschen witziger.« Fünf neue Lieder und zehn überarbeitete alte Stücke hat sie dann in Tonstudios in Düsseldorf und Holland aufgenommen. Statt Willst du mit mir geh’n? fragt sie jetzt Wollt ihr mit mir geh’n? Eine Hommage an ihre Fans.
Israel, sagt Daliah Lavi, sei ihre Heimat und die Welt ihr Zuhause. Welcher Traum ist ihr geblieben? Der Traum vom Frieden. »Jerusalem trägt den Frieden im Namen«, sagt sie. »,Jerusalem‹ heißt übersetzt ›Du wirst den Frieden sehen‹. Diesen Frieden zu erleben, bevor ich gehe, das wäre mein größter Traum. Frieden mit unseren Nachbarn, weil sie unsere Brüder sind.«

Konzerttermine und weitere Informationen:
www.daliah-lavi.com

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