WM-Übertragungen

»Was kann schöner sein?«

von Sabine Brandes
und Detlef David Kauschke

Bis zum vergangenen Wochenende regierte König Fußball auch das Heilige Land. Drei Wochen lang war nichts so wichtig wie die Sportnachrichten aus Deutschland. Jetzt stehen die Meldungen über die Entführung des Soldaten Gilad Schalit und die Zuspitzung der Situation an der Grenze zum Gasastreifen an erster Stelle. Der WM-Virus grassiert aber weiter, die Israelis jubeln, fluchen und feiern, was das Zeug hält. Büroarbeiten werden in Konferenzräume verlegt, um gemeinsam die Nachmittagsspiele zu sehen. Nachbarn quetschen sich in das Wohnzimmer desjenigen, der alle Spiele abonniert hat. Termine werden verschoben, damit sie der »Mondial« – wie die WM in Israel genannt wird – bloß nicht in die Quere kommen. »Geht nicht, da spielt doch Argentinien«, ist ein gängiger Satz dieser Tage.
Im Kibbuz Gvat liefen die Mitglieder nach drei verpaßten Spielen solange Sturm, bis der Vorstand nachgab und rasch das Übertragungspaket kaufte. »Heute sind wir doch alle Fußballfans«, sagt ein Genosse. Geschäftsmann Eyal Danan tauscht jetzt regelmäßig mit seiner geschiedenen Frau. Nicht mehr montags und mittwochs holt er seine Söhne ab, sondern dann, wenn es gute Spiele gibt. Alle drei sind Brasilien-Anhänger und fiebern in gelb-grünen Shirts mit ihren Helden mit. Danan genießt jede Minute der Übertragungen: »Für mich gibt’s Maccabi vom Faß, für die Jungs ein dickes Eis. Was kann schöner sein?«
Doch nicht nur die Spiele selbst machen den Israelis Freude. Sie haben auch den Gastgeber ins Herz geschlossen. Wenn es so ruhig bleibt, bringt die Weltmeisterschaft Deutschland einen großen Imagegewinn. Jeden Abend berichtet Kanal 2 aus dem WM-Land, zeigt Zusammenfassungen der Spiele, befragt illustre Gäste und sendet Reportagen aus Berlin, Köln oder Stuttgart. Tenor: »Tolle Atmosphäre in einem tollen Gastgeberland.« Die Leute auf der Straße stimmen ein. »Die einmalige Stimmung in Deutschland kommt rüber, ich wünschte, ich wäre dort«, sagt Jorge Goldschein, Einwanderer aus Argentinien. Hochstimmung statt Hooligans – das kommt gut an. Goldschein sitzt auf einem Plastikstuhl am Strand von Tel Aviv und zieht an einer Wasserpfeife mit Apfelaroma. Doch statt auf die wogenden Wellen starrt er gebannt auf eine überdimensionale Leinwand, wo Argentinien gerade den Ausgleich gegen Mexiko geschafft hat. Er springt auf. »Argentina, si!« Seine Freunde johlen mit.
Einige Spiele werden kostenlos im zweiten Kanal gezeigt, doch für das Gesamtpaket muß man zahlen. Mehr als 350 Schekel (umgerechnet 63 Euro) müssen hingeblättert werden, um in den Dauergenuß zu kommen. Die ausländischen Sender wie RTL sind bei Liveübertragungen blockiert. Doch kaum ein Restaurant oder Café, in dem kein Großbildschirm aufgestellt ist. Sogar die zahllosen Kioske im Land haben alle den Fernseher laufen. Damit auch beim Bierholen nicht eine der kostbaren 90 Minuten verpaßt wird.
Im Café ohne Namen an der Shivtei-Israel-Straße in Jaffo trifft sich jeden Abend ein ganz besonders ballverrücktes Völkchen: arabische Männer und Kinder aus der Nachbarschaft, junge Juden aus dem hippen Stadtteil Florentin und Fremdarbeiter aus China, den Philippinen oder Ghana. Die Verständigung ist kein Problem. Man spricht die Sprache des Fußball: grölen, stöhnen, jubilieren und im Notfall sogar herzerweichend weinen. Ali Rashidi beherrscht alles perfekt. Bei der WM setzt er auf Brasilien. Ansonsten ist der Kellner Werder-Bremen-Fan.
Einige Israelis haben sich eigens zur WM auf den Weg nach Deutschland gemacht. Etwa 7.000, sagte Ronen Karso vom Reiseveranstalter »Issta Lines« der Tageszeitung Jerusalem Post, würden die Spiele ihrer Lieblings-Mannschaften in den WM-Stadien verfolgen. Den Buchungszahlen zufolge hätten sich die meisten Fans für Spiele der Brasilianer, Engländer und Holländer entschieden. Wäre Israel in die Endrunde der FIFA-WM eingezogen, hätten es durchaus mehr als 20.000 Schlachtenbummler sein können, die dann ihrer Mannschaft nach Deutschland gefolgt wären, schätzt der Tourismusexperte.
Für die Fans, die unter anderem nach München, Dortmund oder Leipzig gereist sind, hat die israelische Botschaft in Berlin eigens Handzettel zur »Mondial« drucken lassen: »Bruchim Habaim«, herzlich willkommen, wünscht die Konsularabteilung den Besuchern. Sie weist die Gäste gleich darauf hin, daß sie unbedingt auf ihre Pässe und Wertsachen achten, sich besser von größeren Fanansammlungen fernhalten und im Fall der Fälle der Polizei und anderen Vertretern der deutschen Staatsgewalt »mit Geduld und Respekt« begegnen sollen.
Übrigens weiß man in Israel schon jetzt, welche Mannschaft am 9. Juli die WM-Trophäe jubelnd in die Höhe halten wird: die Argentinier. Darauf gebe es deutliche Hinweise in der Tora, sagte David Skolni in der Jerusalem Post. Er verweist zwar darauf, daß der unmittelbar vor dem Finale bei den Schabbat-Gottesdiensten gelesene Wochenabschnitt »Balak« heißt, und damit einen namentlichen Verweis auf den Kapitän der deutschen Nationalmannschaft, Michael Ballack, sein könnte. Aber bekanntlich war Balak in der biblischen Geschichte ein König der Moabiter, der den Propheten Balam anhielt, die Israeliten zu verfluchen. Doch dieses feindliche Ansinnen scheiterte, der Fluch wurde dreimal zum Segen. David Skolni meint, die Argentinier können auf göttlichen Beistand zählen, denn sie haben als einzige einen jüdischen Trainer: José Pekerman. Auch der Kapitän der argentinischen Mannschaft, Juan Pablo Sorin, soll eine jüdische Mutter haben. Zudem könnte das hebräische Wort Balam als »Verteidiger« übersetzt werden. Genau auf dieser Position spielt der Mann mit der biblischen Nummer 3 auf dem Rücken: Juan Pablo Sorin. Und wenn das nicht ausreicht, möge man bitte auf die Trikots achten. Die Südamerikaner spielen traditionell in blauweiß, nur der Davidstern würde noch fehlen. Keine Frage, schreibt David Skolni, wird Argentinien das Endspiel mit »drei gesegneten Toren« gewinnen.

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