soziologie

Wählerisch

Seit fast 20 Jahren sind Spätaussiedler und jüdische Kontingentflüchtlinge die markantesten Zuwanderungsgruppen nach Deutschland. Diverse Neuregelungen haben ihren Zuzug zwar auf ein Minimum beschränkt, doch bleibt das Thema interessant für Wissenschaft und Politik. Denn die Integration am Arbeitsmarkt funktioniert alles andere als reibungslos – trotz guter Ausbildung und hoher Motivation in beiden Gruppen. Woran hapert es also, und wie schneiden die russischen Juden in Deutschland im Vergleich mit anderen Aufnahmeländern – wie etwa Israel, Kanada, den USA – ab?
Im Mannheimer Zentrum für Europäische Sozialforschung (MZES), an der Tel Aviv University und an der Universität Leipzig geht man mit empirischer Genauigkeit an diese brisanten Fragen heran. »Arbeitsmarktintegration von Aussiedlern und jüdischen Zuwanderern aus der ehemaligen Sowjetunion in Deutschland und Israel« – so heißt ein gemeinsam initiiertes und von der German Israel Foundation (GIF) gefördertes Projekt, das bekannte Migrationsforscher wie Yinon Cohen, Yitzhak Haberfeld (Tel Aviv), Irena Kogan (Bamberg) und Frank Kalter (Mannheim) zusammengeführt hat. Neben der Auswertung schon bestehender Datenquellen wurden in Israel und Deutschland auch telefonische Umfragen durchgeführt.

qualifiziert und arbeitslos Speziell dem Vergleich der beiden Zuwanderungsgruppen in Deutschland hat sich die junge Leipziger Soziologin Elisabeth Birkner gewidmet – und dabei rund 900 Spätaussiedler und 650 jüdische Kontingentflüchtlinge befragt. Die Primärdaten beschränken sich auf Personen, die von 1994 bis 2005 nach Deutschland eingewandert sind und zum Zeitpunkt der Befragung zwischen 25 und 54 Jahre alt waren – sich somit, so Birkner, »im Haupterwerbsalter befanden«. Außerdem war die Befragung so angelegt, dass Integrationsverläufe vom Zeitpunkt der Einreise bis zur heutigen beruflichen Situation verfolgt werden können.
Und hier zeigen sich schon jetzt erstaunliche Unterschiede: Einerseits fällt auf, dass die Arbeitslosenrate der russischen Juden zum Zeitpunkt der Erhebung (Mai–Juni 2007) mit etwa 35 Prozent noch immer deutlich über jener der Spätaussiedler (etwa 23 Prozent) lag. »Andererseits«, betont Elisabeth Birkner, »sind die russisch-jüdischen Zuwanderer im Vergleich zwar deutlich länger arbeitslos, aber sie positionieren sich am Arbeitsmarkt besser.« Mit anderen Worten: Sie konzentrieren sich nicht auf einen Erstjob »um jeden Preis«, für den sie aufgrund des hohen Ausbildungsprofils – weit mehr als die Hälfte sind Akademiker – deutlich überqualifiziert wären. Vielmehr suchen die russischen Juden länger, geduldiger, gezielter nach einem Job in der sogenannten »PTM«-Kategorie (»Professional-Technical-Managerial«), selbst wenn dies längere Arbeitslosigkeit und möglicherweise auch Einkommensverluste bedeutet. In der Phase der Arbeitslosigkeit wird quasi jede Chance auf Weiter- und Fortbildung genutzt, um am Ende doch wieder in den Ursprungsberuf oder eine vergleichbar hoch qualifizierte Beschäftigung zu gelangen.
Anders die Spätaussiedler, welche weniger Arbeitslose zählen, aber oft niedrig qualifizierte oder mittlere Beschäftigungen angenommen haben. Im hoch qualifizierten Segment des deutschen Arbeitsmarktes (der besagten »PTM«-Kategorie) haben die Spätaussiedler bisher nur 10 Prozent ihrer Beschäftigten untergebracht, die russischen Juden hingegen 46 Prozent. Hier setzt sich – wenn auch auf deutlich niedrigerem Niveau als im Herkunftsland – ein Muster fort, das für beide Gruppen schon in der früheren Sowjetunion bezeichnend war: Juden arbeiteten in der UdSSR zu 75 Prozent in hoch qualifizierten Jobs; ethnische Deutsche brachten es auf rund 40 Prozent.
Soziologen und Arbeitsmarktforscher weisen darauf hin, dass bei den hoch qualifizierten Jobs – sofern man sie am Ende tatsächlich bekommt – das Risiko von späterem Beschäftigungsverlust oder Fluktu- ation deutlich geringer liegt als auf dem restlichen Arbeitsmarkt.

gute aussichten Daher kann angenommen werden, dass sich die Arbeitsmarktpositionierung der russischen Juden in Deutschland langfristig noch verbessern wird. Woran aber die divergierende Arbeitsmarkt-Integration bei Spätaussiedlern und russischen Juden im Detail liegen mag, das hat Elisabeth Birkner zu einem Schwerpunkt ihrer Doktorarbeit gemacht. »Die jüdischen Kontingentflüchtlinge streben aufgrund ihres hohen Humankapitals und der entsprechenden Berufserfahrung auch hoch qualifizierte Stellen in Deutschland an«, erklärt die junge Wissenschaftlerin. »Dies setzt aber voraus, dass sie die deutsche Sprache gut erlernen, ihre Berufsabschlüsse formell anerkannt bekommen und zum Teil auch deutsche Bildungsabschlüsse nachholen. Das kann dauern, ermöglicht letztendlich aber auch eine gute Platzierung am Arbeitsmarkt.«
Noch ist die Auswertung der deutschlandweit ersten Studie, die Spätaussiedler und jüdische Kontingentflüchtlinge direkt vergleicht, in vollem Gange. Der unterschiedliche berufliche Werdegang in beiden Gruppen eröffnet Raum für Anschlussstudien, an denen sich auch Ethnologen und Kulturwissenschaftler beteiligen sollten. Auf die geplante Publikation von Elisabeth Birkner – Integrationsmuster in den deutschen Arbeitsmarkt von Zuwanderern aus der ehemaligen Sowjetunion – kann man jetzt schon gespannt sein. Ebenso auf die weiteren Analysen der Forscher aus Leipzig, Mannheim und Tel Aviv, die auch die Situation in Israel berücksichtigen.

Israel

Eli Sharabis Bestseller bald auch auf Englisch

Zum zweiten Jahrestag des Hamas-Massakers vom 7. Oktober 2023 soll das Buch der ehemaligen Geisel veröffentlicht werden

von Sabine Brandes  10.07.2025

Genf

Türk verurteilt US-Sanktionen gegen Albanese

Der Hochkommissar der Vereinten Nationen für Menschenrechte, Volker Türk, sprach von »Angriffen« und »Drohungen« gegen die umstrittene Italienerin

 10.07.2025

Der unter liberianischer Flagge fahrende Massengutfrachter "Eternity C" beim Untergang im Roten Meer am Mittwoch, den 9. Juli 2025.

Terror auf See

Tote nach Huthi-Angriff auf Handelsschiff

Die Huthi-Miliz im Jemen versenkt innerhalb von 24 Stunden zwei Schiffe auf dem Roten Meer

von Nicole Dreyfus  10.07.2025

Wien

Vor Treffen mit Sa’ar: Wadephul ermahnt Israel

Der Bundesaußenminister will sich weiter für einen Waffenstillstand und die Freilassung der Geiseln einsetzen, verlangt aber bessere humanitäre Hilfe in Gaza

 10.07.2025

Gaza

Das Dilemma des Deals

Premier Benjamin Netanjahu hat das Weiße Haus ohne ein Freilassungsabkommen für die israelischen Geiseln verlassen. Die Verhandlungen gehen weiter

von Sabine Brandes  09.07.2025

Berlin

Bundestagspräsidentin will Angehörige israelischer Geiseln treffen

In dieser Woche sind Angehörige der von der Hamas verschleppten Geiseln in Berlin. Am Dienstag kommt Bundestagspräsidentin Klöckner mit ihnen zusammen. Sie formuliert im Vorfeld klare Erwartungen

 07.07.2025

Magdeburg

Batiashvili und Levit mit Kaiser-Otto-Preis ausgezeichnet

Der Kaiser-Otto-Preis ist die höchste Auszeichnung der Stadt Magdeburg. Er wurde im Jahr 2005 anlässlich des 1.200-jährigen Stadtjubiläums zum ersten Mal verliehen. In diesem Jahr ging er an zwei Künstler, die sich gesellschaftlich engagieren

von Oliver Gierens  03.07.2025

Israel

Gideon Saar: Mehrheit der Regierung will Gaza-Deal

Israels rechtsextreme Minister Itamar Ben-Gvir und Bezalel Smotrich möchten einen neuen Gaza-Deal verhindern. Laut Außenminister Saar sind die meisten Regierungsmitglieder aber anderer Ansicht

 02.07.2025

Politik

Dobrindt in Israel - Treffen mit Netanjahu geplant

Innenminister: »Ich will zeigen, dass wir Israel als engsten Partner im Kampf gegen den Terror unterstützen.«

 28.06.2025