Erdstöße

Wackelnde Wände

von Sabine Brandes

Ganz plötzlich wackelten die Wände. Viermal innerhalb von nur zwei Wochen erzitterte Israels Erde, ließ Kronleuchter klirren, Möbel rutschen und ganze Gebäude schwanken. Verletzte oder sonstige Schäden gab es nicht, doch einige der Beben waren von Haifa bis nach Eilat zu spüren. Die Stärken reichten von 3,0 bis 4,2 auf der Richterskala, Experten sprechen von mittelschweren Beben. Das Epizentrum befand sich dreimal in der Nähe des Toten Meeres, dem tiefsten Punkt der Erde, einmal in der Schfela-Ebene. In dieser Ge-
gend der Welt, an der aktiven afrikanisch-syrischen Spalte, sind Erdbeben nichts Be-
sonderes. Dass es viermal hintereinander in einem derart kurzen Zeitraum bebt, ist allerdings außergewöhnlich.
»Es war fast wie im Film«, erinnert sich Eli Golan, Geschäftsmann aus Tel Aviv. Während eines Termins in Jerusalem wa-
ckelte auf einmal alles. »Ich saß im fünften Stock eines Bürogebäudes in der Neustadt, als sich die Erde unter meinen Füßen be-
wegte. Einfach so, ohne Vorwarnung. Zu-
erst dachte ich, mir sei schlecht geworden, doch dann merkte ich, dass Möbel und Lampen zittern. Mein Gesprächspartner rief: ›Das ist ein Erdbeben!‹ Doch kaum hatte er die Worte ausgesprochen, war es vorbei.« Angst habe er keine gehabt, ein ko-
misches Gefühl in der Magengegend aber schon. »Bei dieser Häufigkeit denkt man darüber nach, ob das vielleicht die Vorboten zum großen Beben waren.«
Eine Frage, die sich Experten gleichermaßen stellen. Sind die Geschehnisse der vergangenen Wochen tatsächlich Indizien für das eine, das große, das die Amerikaner »The Big One« nennen? Yefim Gitterman, leitender Seismologe am Geophysikalischen Institut Israels (GII), antwortet mit einem »Vielleicht«. Ständige Bewegungen entlang des Toten Meeres seien völlig normal, drei- bis fünfmal im Jahr würde die Erde in dieser Stärke erzittern, erläutert der Experte. »Diese Häufigkeit in der kurzen Zeit ist aber eindeutig eine Ausnahme.« Ungewöhnlich sei zudem das Beben in der Schfela-Ebene zwischen Jerusalem und Tel Aviv. Die Seismologen such-
ten in sämtlichen Aufzeichnungen und Katalogen, konnten jedoch in den vergangenen 30 bis 40 Jahren dort keine Bewegungen feststellen.
Die Zahlen müssten noch genauer ausgewertet werden, doch selbst dann seien Vorhersagen immer nur vage, so Gittermann. »Eine genaue Prognose, wann und mit welcher Stärke ein großes Beben kommen wird, ist schlicht unmöglich. Kein Institut der Welt hat Methoden oder Messgeräte, mit denen Zeit oder Stärke vorherbestimmt werden können. Unstrittig ist einzig, dass ein größeres Beben kommen wird. Doch ob in 2, 20 oder 50 Jahren, und mit welcher Intensität es treffen wird, das weiß niemand.« Die mittleren Beben könnten sowohl Boten für ein größeres sein als auch ein gutes Zeichen, dass die Erde Energie abbaut und die Gefahr somit sinkt, macht er deutlich.
Israel ist kein unbekanntes Erdbebengebiet, in der Vergangenheit gab es Schäden an Gebäuden, vor vielen Jahren sogar Verletzte und Tote. Das letzte starke Beben traf die Gegend zwischen Jericho und Jerusalem vor fast genau 80 Jahren mit einer Stärke von 6,2. Etwa 500 Menschen starben. Andere zerstörten oder beschädigten heilige Stätten in Safed, Nablus und Jerusalem, darunter die berühmte Grabeskirche Jesu sowie die Al-Aksa-Moschee. Eine der Aufgaben des GII ist es, Erdbeben-Szenarien zu simulieren. Dabei fanden die Fachleute heraus, dass ein Beben dieser Stärke heute viel größere Schäden anrichten würden. Vor allem wegen der Bevölkerungsdichte und ausgeprägteren Infrastruktur. Gittermann: »Es ist ja nicht nur das Zittern der Erde, das Gefahren birgt, sondern auch das, was danach kommt, wie explodierende Gasleitungen, Feuer und Ähnliches.«
Ausreichend vorbereitet auf ein derartiges Szenario sei Israel nicht, sagt ein leitender Angestellter der Rettungsdienste, der seinen Namen nicht nennen will. »Die Feuerwehren sind für derartige Katastrophen weder ausgebildet, noch haben sie genug Leute. Dasselbe gilt für die anderen Rettungsdienste des Landes.« Größtenteils seien die Helfer Reservisten, deren Aktivierung auch im Extremfall sehr zeitaufwendig ist. Zwar hat die Regierung ein Komitee zur »Vorbereitung für den Erdbebenfall« eingerichtet, doch auch der Seismologe bestätigt, dass in Sachen Vorbeugung mehr geredet, als tatsächlich getan werde.
Die immer höher kletternden Wolkenkratzer Tel Avivs werden wohl nicht um-
kippen, da sie antiseismisch gebaut sind, weiß der Fachmann vom GII. Dasselbe gelte für alle neuen und viele bedeutende öffentliche Gebäude, vor allem im Zentrum des Landes.
Antike Städte jedoch, darunter Safed, Tiberias und Jerusalem sind alles andere als erdbebensicher. Vor allem die Bauweise auf alten Siedlungen macht sie im Falle eines Falles anfälliger als andere Orte. Diese Tatsache nutzen auch religiöse Eiferer, um ihre Hetzen zu verbreiten. Einer, der sich David Ben-Ariel nennt, verkündet über diverse Sites im Internet, dass ein großes Beben kommen werde, um die muslimischen Stätten auf dem Tempelberg zu zerstören. »Dann«, so der selbst ernannte »christliche Zionist« weiter, »ist es Zeit, den Dritten Tempel zu errichten«.
Joav Cohen sieht Erdbeben nicht als Gott gegeben, sondern als schlichtes Na-
turphänomen. Zwei von ihnen spürte er in seinem Tel Aviver Apartment. Bei Nummer eins wusste er nicht, was dieses merkwürdige Gefühl in seinen Beinen sei. »Es fühlte sich an, als wäre der Boden aus Gummi. Das war aber alles.« Möbel oder gar das Gebäude hätten sich nicht bewegt. Erst am nächsten Morgen erfuhr Cohen aus der Zeitung, dass es ein Erdbeben gegeben hatte. Beim zweiten Mal hätte aus heiterem Himmel das Geschirr in der Spüle geklirrt. »Gruselig«, findet der Student. »Ich will nichts an die Wand malen, aber es schaudert mich, wenn ich daran denke, was sich da unter der Erdoberfläche so alles zusammenbraut.«

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