von Christine Schmitt
Schweigen. Dann ein langer Seufzer. »Das weiß ich nicht«, antwortet Oleg K. (Name geändert) auf die Frage: »An was wird in Deutschland am 27. Januar gedacht?« Der Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus war ihm bis zu diesem Moment unbekannt. Doch bei der nächsten Frage muss er nicht lange nachdenken. »Die Nationalsozialisten mit Adolf Hitler waren von 1933 bis ‹45 an der Macht«, sagt der 77-Jährige. Bei der dritten Antwort fehlen ihm die Worte. »Einen Moment bitte«, sagt der gebürtige Ukrainer und tippt in seinen Computer ein paar Buchstaben ein, denn ihm fällt das deutsche Wort nicht ein. Dann hat er es: »Reue«. Reue wollte Willy Brandt mit seinem Kniefall im ehemaligen Warschauer Ghetto 1970 zeigen, da ist sich Oleg K. sicher. Und er hätte an der richtigen Stelle sein Kreuz gemacht, nämlich, dass Willy Brandt Polen und die jüdischen Polen um Vergebung bittet.
Das sind drei von 310 Fragen. So umfangreich ist der Fragenkatalog zum Einbürgerungstest. Von den 33 zufällig daraus ausgewählten Fragen müssen nur 17 richtig beantwortet werden, erklärt Eleonora Shakhnikova vom Integrationsbüro der Jüdischen Gemeinde zu Berlin. Außerdem ist der Test für jeden zugänglich und kann trainiert werden. Zusätzlich muss derjenige, der Deustcher werden möchte, einen Antrag auf deutsche Staatsangehörigkeit stellen und einen Sprachtest erfolgreich absolviert haben. Von dem Einbürgerungstest befreit sind allerdings alle, die einen deutschen Schulabschluss – es reicht bereits der Hauptschulabschluss – haben.
Er habe seit drei Jahren den deutschen Pass in der Tasche, sagt Oleg K. aus Potsdam. Lediglich einen Sprachtest musste er damals machen. »Das war schwierig genug.« Als er den deutschen Pass vom Amt abholte, war er glücklich. »Es war ein sehr angenehmes Gefühl.« Mit dem Einbürgerungstest habe er sich nicht weiter auseinandergesetzt, meint er. Der spiele in seinem Leben nun keine Rolle mehr. »Für mich ist es wichtiger, Arbeitsaufträge zu bekommen«, sagt der promovierte Wissenschaftler. Und dem Judentum werde eher eine zu große als zu kleine Rolle eingeräumt. »Das gefällt mir nicht.« Er bezeichnet sich als ungläubig und besuche nicht die jüdische Gemeinde in Potsdam.
Sprachlos. Nach einer Denkpause gesteht Dimitri G., dass er weder etwas über den 27. Januar, über den Kniefall Willy Brandts in Warschau weiß, noch wann genau die Nazis an der Macht waren. »Keine Ahnung.« Mit der deutschen Geschichte kenne er sich nicht so gut aus, meint der 36-Jährige, der aus Odessa stammt und ebenfalls schon einige Jahre den deutschen Ausweis besitzt. In seinem Freundeskreis hätten sie Witze über den Test gemacht. »Muss jemand aus Kenia über das Judentum Bescheid wissen?«, will er wissen. Er sei nicht der Meinung, dass Fragen zum Judentum in dem Test vorkommen müssen. Und überhaupt: Auch Deutsche werden ins Schleudern kommen und nicht alles wissen, ist er sich sicher.
Auch Michael L. verschlägt es erst einmal die Sprache. »Mit der deutschen Geschichte kenne ich mich nicht so aus«, sagt der 47-Jährige. Die deutsche und europäische Historie findet er für einen Einbürgerungstest nicht wichtig. Der Schwerpunkt solle bei der Gegenwart liegen. »Aber generell denke ich, dass das komplett falsche Fragen sind«, sagt der Techniker. Das alles Entscheidend sollte doch sein, ob derjenige, der Deutscher werden will, sich hier wohl fühlt und Freunde hat. »Ich finde den Einbürgerungstest makaber, ob mit jüdischem Inhalt oder nicht«, meint Michael L., der in Moskau geboren ist und als Kontingentflüchtling in Berlin lebt. Eine Einbürgerung habe er bisher nicht ernsthaft angestrebt. Er habe auch keinen Job, der ja nun einmal eine wichtige Voraussetzung sei. Sein Visum gilt noch bis 2014. Spontan antwortet Boris O. auf alle Fragen. »Ich finde sie nicht so schwer«, meint der 18-jährige Gymnasiast aus Chemnitz. Er fühle sich sehr gut integriert in Deutschland, seine Eltern hätten hier Arbeit gefunden, ebenso wie seine Verwandten. Dass dem Judentum im Katalog eine zu große oder zu geringe Rolle eingeräumt wird, glaubt er nicht. »Der Test ist für Menschen aus allen möglichen Ländern gemacht worden. Da kann es nicht speziell um jüdische Themen gehen«, sagt der gebürtige Moldawier. Er sei schon seit Jahren Deutscher. Der Schüler musste damals neben einem Sprachtest eine Biografie über sich selber schreiben. »Aber ich fühle mich weder als Deutscher noch als Moldawier, sondern hauptsächlich als Jude.«