»Verfeindete Frankreichs«
Nazijäger Serge Klarsfeld lobt die Erinnerungspolitik von Staatspräsident Sarkozy
von Lars Weber
Der Rechtsanwalt und Präsident des Vereins »Söhne und Töchter der deportierten Juden Frankreichs«, Serge Klarsfeld, hat in einem Kommentar in der französischen Zeitung Le Monde die Kontinuität der Erinnerungspolitik von Staatspräsident Nicolas Sarkozy in Bezug auf das Vichy-Regime begrüßt. Sarkozy hatte im Juli am 65. Jahrestag der Massenverhaftung von Juden aus Paris und Umgebung die Schoa-Gedenkstätte im Marais besucht. »Wir können und dürfen nicht vergessen«, mahnte Sarkozy. Er betonte die Bedeutung der Rede seines Amtsvorgängers Jacques Chirac von 1995 über die Kollaboration: »An seiner herausragenden Rede gibt es nichts zu kürzen und nichts hinzuzufügen.«
Chirac hatte damals als erster Staatspräsident die Verantwortung Frankreichs für die Kollaboration des Vichy-Regimes mit den deutschen Besatzern übernommen: »Die Kriminalität der Besatzer wurde von Franzosen und dem französischen Staat unterstützt. Frankreich hat die Schutzbedürftigen den Peinigern ausgeliefert. Wir tragen eine unbeschreibbare Schuld«, so Chirac 1995.
Bei den Massenverhaftungen am 16. und 17. Juli 1942 wurden knapp 13.000 Juden aus Paris und Umgebung von der französischen Polizei festgenommen. Sie wurden auf das Gelände einer überdachten Radrennbahn im 15. Arrondissement in Paris gebracht, dem Vélodrome d’Hiver, das der Verhaftungsaktion den Namen gab: Vél d’Hiv. Von dort aus wurden sie in französische Lager und dann weiter in Vernichtungslager deportiert. Vél d’Hiv war die größte Verhaftungsaktion von französischen Juden während des Zweiten Weltkriegs.
Klarsfeld hebt in seinem Beitrag für Le Monde hervor, wie sehr sich Chirac in der Betrachtung der Vergangenheit von seinen Amtsvorgängern unterschied: »Bis 1995 betrachteten alle Staatspräsidenten Vichy als ein von den Besatzern aufgezwungenes Regime. In dieser Sichtweise trifft Frankreich keine Schuld hinsichtlich der Maßnahmen gegenüber den Juden.« François Mitterand wurde am 50. Jahrestag von Rafle du Vélodrome d’Hiver 1992 ausgepfiffen, weil er kurz zuvor erklärt hatte: »1940 gab es einen französischen Staat, Vichy, aber keine Republik. Die Republik hat sich immer gegen Segregation und Rassismus stark gemacht. Daher trägt die Republik auch keine Verantwortung« für die Deportationen.
»Der höchste Vertreter Frankreichs hat anerkannt, dass es während des Zweiten Weltkriegs zwei verfeindete Frankreichs gegeben hat: eins der Kollaboration und eins des Widerstands«, schreibt Klarsfeld. »Beide Lager müssen bei der Betrachtung der Vergangenheit berücksichtigt und die daraus resultierenden Geschehnisse anerkannt werden.«