Firmen

Unternehmenskultur

von Andreas Wildhagen

Hans Wall hat es geschafft. Vor über 30 Jahren gründete er ein Unternehmen, das heute 150 Millionen Euro Umsatz macht und 650 Mitarbeiter beschäftigt. Auf allen Straßen Deutschlands sieht man seine Produkte – beleuchtete Wartehäuschen, Werbeschilder und Litfaßsäulen. Anfang Mai wurde eine andere Leuchte enthüllt – ganz walltypisch mitten in der Stadt, in Berlin-Charlottenburg/Wilmersdorf. Aber der »Informationsstele« genannte Mast hat gar nichts mit den Werbeflächen zu tun, die Unternehmer Wall sonst lukrativ an Langnese, Marlboro oder »Du darfst« vermietet. Dort, wo die zwei Meter hohe Stele steht, ragte während der Nazijahre das »Reichskommissariat für die Festigung des deutschen Volkstums« in den Himmel. »Es gehörte zu den zwölf SS-Hauptämtern und entwickelte den ›Generalplan Ost‹«, schreibt die Wall AG über den Ort, an dem Vertreibungs- und Tötungsaktionen in der Sowjetunion und in Polen geplant wurden.
Warum Wall das finanziert? »Ganz einfach«, sagt der Wahlberliner und gebürtige Schwabe, »ich will, dass sich das Entsetzliche, was passiert ist, nicht wiederholt. Deswegen muss immer wieder erinnert und darf nichts vergessen werden.«
Wall ist nicht der einzige deutsche Unternehmer, der sichtbar bemüht ist, ein gutes Verhältnis nicht nur zu den jüdischen Gemeinden, sondern auch zu Israel herzustellen. Der Axel-Springer-Verlag, Burda und das Schuhunternehmen Deichmann aus Essen sind Unternehmen, die als Geld- und Ideengeber für Israel und die deutsch-israelischen Beziehungen auftreten. Dabei ist es sogar etwas schwierig, diesen Firmen Details über ihre Aktionen zu entlocken. Denn ihr sicherlich PR-trächtiges Tun wollen sie gar nicht einmal an die große Glocke hängen. Nein, ein Marketinginstrument scheint das, was sie machen, nicht zu sein – eher hat es etwas mit Firmenkultur zu tun, die nach innen gepflegt wird. Bei Springer wird heute noch jeder Redakteur in seinem Arbeitsvertrag auf die »Aussöhnung mit dem jüdischen Volk« verpflichtet. Bei Deichmann entspringt es aus christlichem Ethos, das den Gründer Heinz-Horst Deichmann zu seinem Engagement in Israel motiviert. So jedenfalls hat er es seinen Biografen in dem Buch Warum sind Sie reich, Herr Deichmann? in die Feder diktiert. Es geht ihm bei der »Deichmann-Story« um den »Umgang mit Geld – und Verantwortung«.
Wie definiert sich diese Verantwortung, wie wird sie umgesetzt? Dazu muss man sich noch einmal das Beispiel von Hans Wall ansehen. Sein Satz »Wir brauchen die aktive Auseinandersetzung mit der Geschichte« klingt natürlich immer auch nach Schablone, aber wie kein anderer kann er sein Erinnerungskonzept realisieren. Seine Werbeflächen stehen mitten in der Öffentlichkeit, flankieren das Gewühl der Menschenmengen, die es gar nicht vermeiden können, irgendwann an einem Wartehäuschen aus der Wall-Dynastie vorbeizukommen. Bei Wall muss sich niemand für Erinnerungsorte interessieren, er wird einfach konfrontiert – und diese Art der Konfrontation ist nicht pathetisch, sondern alltagstauglich. An Walls Wänden muss jeder vorbei. Das macht auch die sechs anderen Mahn- und Gedenkorte, die Wall auf eigene Kosten in Berlin aufgestellt hat, so wirkungsvoll. Neben dem Denkmal zur Bücherverbrennung gegenüber der Humboldt-Universität, dessen Unterhaltskosten das Unternehmen seit 1996 trägt, weisen Informationstafeln in zwei Buswarteständen am Potsdamer Platz auf den amerikanischen Journalisten Varian Fry hin, der über 1.500 Hilfesuchenden auf der Flucht vor den Nationalsozialisten half. Das Motiv Walls: »Ich fühle mich den alten jüdischen Unternehmerfamilien aus Berlin verbunden und möchte, dass ihre Nachkommen oder sogar Überlebende wieder nach Berlin kommen, um hier ihre Geschäfte zu betreiben oder hier zu leben«, sagt Wall. Er nennt den Namen Wertheim als Beispiel für eine solche Familie. »Natürlich werden diese Leute dann in Berlin diese Erinnerungsorte auffinden.« Walls Leuchtwände sollen also Gleichgültigkeit oder Business-as-usual-Gefühle in der deutschen Hauptstadt vermeiden helfen – und damit nicht nur Vertrauen, sondern auch Attraktivität für ein neues, auch jüdisches Berlin schaffen.
Heraus aus Walls leuchtendem Berlin, hinein in die Welt globaler Geschäftsanbahnungen. Der Axel-Springer-Verlag, aber auch Burda, sind hier geradezu dynamische Vorreiter. Herausragendes Beispiel ist der EU-Israeli-Business-Dialogue, der im vergangenen November in Tel Aviv von Springer-Vorstandschef Mathias Döpfner und dem israelischen Internet-Unternehmer Yossi Vardi gegründet wurde. An zwei Tagen, am 16. und 17. Juni, wird diese internationale Veranstaltung im Axel-Springer-Hochhaus in Berlin ein zweites Mal stattfinden, ganz oben im altehrwürdigen Journalistenclub des bekanntermaßen sehr israelfreundlichen Altverlegers, der 1985 starb. Einladungen für dieses Top-Event gehen in diesen Tagen heraus, auch an deutsche Unternehmer, die mit Kunden oder Lieferanten aus Israel gut im Geschäft sind oder solche Kontakte wünschen. Eingebettet ist dieses internationale Treffen in eine Sicherheitstagung, auf der vor allem der Nahostkonflikt zur Sprache kommen soll. Über 100 Teilnehmer werden in den Gesprächsrunden erwartet. Wer näher nachfragt, über was denn genau diskutiert und gefachsimpelt wird, bekommt eine freundlich-reservierte Antwort: »Der EU-Israeli-Business-Dialogue ist nicht auf Öffentlichkeitswirksamkeit hin konzipiert. In erster Linie sollen Kontakte auf höchster Geschäftsebene die wirtschaftliche Zusammenarbeit zwischen Europa und Israel verbessern.« Natürlich reiste auch der frisch ernannte Cheflobbyist und frühere Welt- und Welt-am-Sonntag-Chefredakteur Christoph Keese auf Einladung von Schimon Peres nach Jerusalem, um dort an den Jubiläumsfeiern und am »Zukunftsforum« teilzunehmen.
Abgehoben staatstragend sollen die Beziehungen des Verlags nach Israel nicht sein. Die floskelhaft beschworenen »Beziehungen« – ein Wort aus dem Diplomaten-Jargon – werden gleichsam vom roten Teppich heruntergeholt und hinein in den journalistischen Alltag geschubst. So wurden gerade erst junge Journalistenschüler der Axel-Springer-Akademie für das von ihnen initiierte Webprojekt www.spree-aviv.de mit dem Axel-Springer-Preis für junge Journalisten ausgezeichnet. Der Verlag feiert sich, wenn auch intern, ein bisschen selbst – in springertypischer Weise: Denn der Preis wurde vergeben, weil »das Angebot dem Nutzer auf besonders unterhaltsame Weise das jüdische Leben in Deutschland näherbringt«. Es geht vor allem um kurzweiliges Entertainment, das gehört zur professionellen Kernkompetenz. So wird auf spree-aviv.de Hans Walls Traum vom jüdischen Leben in Berlin fast schon wahr, wenn auch auf sehr »kiezige« Weise. Unter den Rubriken »Allet Koscher«, »Checkpoint David«, »Kool Kibuz« geistert allerhand Skurriles über die Seiten, zum Beispiel ein strenger »Koscher-Inspektor«, der auch Jagd auf Fruchtfliegen macht. Unter der Überschrift »Humor als Waffe« werden Deutschen-Witze aus Israel erzählt – umgekehrt wird das Spiel nicht getrieben. Selbstironie klingt an bei der Feststellung: »Israelis baggern blonde Frauen an.« Ob hier ein bedauernder Ton mitschwingt, der Konkurrenz fürchtet, bleibt offen. Dies ist aber auch ganz egal. Hauptsache nicht verkrampft sein, lautet die Devise, die einen Bogen spannt »von Tempelhof zum Tempelberg«.
Dort ist auch Burda schon angekommen. Aus dem Haus des Verlages, der früher mit »Bunte« und Strickheften Millionenauflagen erzielte und mit der Spiegel-Konkurrenz Focus seit 15 Jahren im politischen Magazingeschäft mitmischt, heißt es fast andächtig, dass schon Senator Franz Burda, der Gründer des Verlages und Vater des heutigen Verlegers Hubert Burda, »eine enge Freundschaft mit dem früheren Jerusalemer Bürgermeister Teddy Kollek pflegte«. Das gehörte für viele deutsche Unternehmer der vergangenen Jahrzehnte zum guten Ton und wird gern mit Bildern von händeschüttelnden Selfmadeunternehmern auf Israelreise garniert. Hubert Burda hat aber eine viel innigere und vor allem innovative Verbindung zwischen seinem Verlag und Israel geschaffen. Vor knapp zehn Jahren gründete er das »Hubert Burda Center for Innovative Communications« an der Ben-Gurion-Universität. Das Center, ganz bewusst in amerikanischer Tradition mit dem Namen des Geldgebers verbunden, widmet sich der wissenschaftlichen Erforschung der Visualisierung auf so unterschiedlichen Gebieten wie Medien, Medizin, Entertainment und Militärtechnolo- gie. Burda pflegt eine ganz persönliche Freundschaft mit dem israelischen Internetunternehmer Yossi Vardi, der als Sohn osteuropäischer Einwanderer 1942 in Tel Aviv geboren wurde und 1969 im Alter von 26 Jahren an der Gründung des ersten Software-Unternehmens in Israel beteiligt war. Er, der »Bill Gates von Israel«, war auch Gründungsinvestor von Mirabilis, eines Computerprogramms zum Chatten im Internet. Und diese Lebensleistung macht ihn für den fast schon internet- und bildersüchtigen Verleger Hubert Burda so überaus interessant. Auf dem einmal jährlich stattfindenden Burda-Internetkongress Digital Life Style (DLS) taucht Vardi regelmäßig als Redner oder Zuhörer auf, stets in Burdas Nähe. Burda und Vardi verstehen sich prächtig, weil sie zu einer verschworenen Community gehören, die nicht nur beide Männer, sondern auch beide Branchen verbindet. Und zwei Kulturen – die deutsche und israelische – auf fast spielerische Weise zu vernetzen versucht.
Da ist Heinz-Horst Deichmann eher ein Einzelgänger. In seiner Biografie lässt der tiefreligiöse Unternehmer und Inhaber von über 2.000 Schuh-Filialen seine Erlebnisse nachzeichnen, die er als kleiner Junge in der Pogromnacht in Essen-Borbeck hatte. Lässt man seine Biografen sprechen, so erfährt man, »dass seine Eltern das Haus in Borbeck 1938 gekauft hatten, ohne dass die ursprünglichen Besitzer jemals den Kaufpreis erhalten hatten. Den hatten die Nazis beschlagnahmt.« Er zahlte aus eigener Tasche, so wird berichtet, 1948 den vollen Kaufpreis in Höhe von 40.000 D-Mark. 1983 lernt der Schuhhändler auf einer USA-Reise seinen jüdischen Unternehmerkollegen Mort Lerner von Lerner Shoes kennen. Die beiden fangen an, sich durch Geschichte und Religion durchzuarbeiten, ziehen sogar einen Rabbi hinzu und werden Freunde. Deichmann kauft später Lerner Shoes und beginnt sein Stiftungswerk. An der Universität Beer Sheva stiftet er den »Deichmann-Lerner-Chair for Gynaecology«. Einen anderen Lehrstuhl, finanziert aus der Deichmann-Schatulle, hat der Schriftsteller Amos Oz inne, ebenfalls ein Freund Deichmanns. Deichmanns Motto ist ein Wort des früheren Reichsaußenministers und Sohn des AEG-Gründers Walther Rathenau: »Ich habe niemals einen wirklich großen Geschäftsmann gesehen, dem das Verdienen die Hauptsache war.«

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