von Lisa Borgemeister
Marina Cornea war in den vergangenen Tagen und Wochen viel beschäftigt. Zunächst Chanukka, dann Weihnachten und schließlich auch noch Neujahr. »Wir kombinieren die Feierlichkeiten und haben unsere eigene Tradition gebildet«, erzählt die 35-Jährige, die vor zwölf Jahren aus Weiß- russland nach Bremen kam. »Ich liebe es, viele Lichter um mich zu haben und anderen Menschen Geschenke zu machen«, sagt sie vergnügt. Sowieso denkt Marina Cornea praktisch: Weil es in Deutschland nach dem 24. Dezember keinen Weihnachtsbaum mehr zu kaufen gibt, hatte sie ihn kurz vorher als Schnäppchen im Ausverkauf besorgt. Die Tanne stand dann einige Tage als Weihnachtsbaum in ihrer Wohnung, und zum Jolka-Fest, dem russischen Neujahr, diente sie als Jolka-Tanne. Am 6. Januar, dem Geburtstag ihres Mannes, wird Marina Cornea den Baum entsorgen.
»Mein Mann hat eine nichtjüdische Tochter«, erklärt die Sozialarbeiterin. Das gehöre zu den Gründen, warum in ihrer Familie die Feste vermischt werden. »Im Vordergrund steht immer das Zusammensein mit der Familie.« Es habe gutes Essen gegeben, Musik und Geschenke. Auch Weihnachtspost hat Marina Cornea verschickt. Hin und wieder erinnert sie sich in diesen Tagen an ihre Kindheit in Russland. Sie vermisst die riesigen Neujahrsfeste im Kulturzentrum, bei denen sich die Kinder verkleideten und viele Menschen zusammen feierten. »Wir versuchen natürlich, hier genauso zu feiern. Wir essen und tanzen und machen eine große Party. Aber es ist etwas anderes.«
In Chemnitz, rund 600 Kilometer von Bremen entfernt, wohnt Anatoli Oratovschi. Auch er hat das Neujahrsfest nach russischer Tradition mit der Familie gefeiert. Unter dem Baum lagen die Geschenke für seine Kinder. »Mein großer Sohn war eigentlich dagegen, dass wir dieses Fest feiern. Er nimmt die jüdische Religion sehr ernst. Aber die Geschenke nimmt er immer gerne«, sagt Oratovschi und schmunzelt. Dem Arzt ist besonders wichtig, dass auch sein jüngerer Sohn die Bräuche aus der alten Heimat kennenlernt. »Ich verbinde Neujahr nicht mit religiösen Inhalten, sondern für mich ist es einfach ein schönes Fest. Ich denke in diesen Tagen an meine Familie, an Angehörige in der ganzen Welt und auch an die Geschichte meines Volkes.« An Weihnachten war Oratovschi bei christlichen Freunden in Holland zu Besuch. Ihm sei es wichtig, dass Religionen die Menschen zusammenbringen, sagt er. »Die Christen feiern an Weihnachten die Geburt eines Juden. Warum sollte ich also eine Einladung zu diesem Fest ausschlagen?« Seinen christlichen Freunden hat der 44-Jährige zu Weihnachten Geschenke gemacht. Und die Freunde wiederum haben seine Familie zu Chanukka beschenkt. »Ich lebe gerne in Deutschland und möchte mich hier auch nicht ausgrenzen«, betont Oratovschi.
Ähnlich sieht es Hana Grynberg. »Jedes Volk hat seine eigenen Feste«, sagt die 31-Jährige. Als sie vor fünf Jahren aus der Ukraine nach Frankfurt am Main kam, sei ihr die christliche Tradition mit ihren Festen noch sehr fremd gewesen, erinnert sie sich. Heute erfreut sich Hana Grynberg an der Ruhe, die an Weihnachten um sie herum herrscht und macht es sich zu Hause gemütlich. Dass die Geschäfte geschlossen sind, stört sie nicht. Im Gegenteil, sie genießt die Stille auf den Straßen. »Eine Frau hat uns eine Grußkarte geschickt. Aber normalerweise bekommen wir natürlich keine Weihnachtspost. Alle wissen, dass wir jüdisch sind und kein Weihnachten feiern.«
Die Ruhe in den Tagen, wenn die Mehrheitsgesellschaft Weihnachten feiert, hat auch Michael Russakowski genossen. Er war unmittelbar davor als Organisator beim Chanukkafest in seiner Gemeinde in Regensburg stark eingespannt. »Da kamen mir die Weihnachtsfeiertage ganz recht, weil ich mich ein bisschen ausruhen konnte«, erzählt der aus Kasachstan stammende Fernsehmoderator. Er habe die Zeit mit Lesen und Spazierengehen verbracht, »ganz normal, wie an den Sonntagen auch«. Russakowski beschreibt sich selbst als »Zuschauer«, der die Feierlichkeiten in Deutschland »mit Neugier und Vergnügen betrach- tet«. »Ich mag es, wenn die Leute guter Stimmung sind und viele Lichter leuchten«, sagt der 46-Jährige. Vor elf Jahren kam Russakowski nach Deutschland. »Ich stamme aus einem muslimischen Land. Weihnachten habe ich vorher nie gesehen, das war ganz neu und spannend für mich«, erinnert er sich. Grundsätzlich sei es gut, wenn Menschen Feste feiern, sagt er und lacht. »Je mehr Feiertage, desto besser.« Das russische Neujahrsfest verbinde er mit seiner Kindheit. Am 31. Dezember hat der Alleinstehende sich um Mitternacht das Silvesterfeuerwerk angeschaut – »ein wahres Kunstwerk«, sagt er. Bloß die Knallerei könne er nicht leiden. Ebenso wenig wie anschließend den Dreck auf den Straßen.