Dokumentation

Stunde Null

Berlin im Sommer 1948: Die Sonne brennt. Doch die Stadt ächzt nicht nur unter der brütenden Hitze – die Blockade durch die sowjetische Besatzung hat Berlin im Griff. Die Geschichte der Versorgung durch die sogenannten Rosinenbomber ist wohlbekannt – kaum jemand allerdings weiß, dass die Flieger zumindest im Juli und August keinesfalls leer zurück nach Westdeutschland aufbrachen. Tausende jü-
discher Flüchtlinge wurden so aus der Stadt geflogen: eine heute fast vergessene Fußnote der Geschichte – und der Schluss-
punkt für die Dokumentation »Transit Berlin – Heimatlose Juden in der Stunde Null« von Gabriel Heim.

Spurensuche In seinem Film erzählt der ehemalige rbb-Fernsehdirektor vom Leben der jüdischen Flüchtlinge: 100.000 von ihnen strandeten nach der Flucht aus Osteuropa im zerstörten Berlin – und fanden in den drei DP-Camps (DP für Displaced Persons) von Schlachtensee, Wittenau und Mariendorf eine Auffangstation. Ein Jahr lang hat Heim an dem Film gearbeitet, von der ersten Lektüre bis zum letzten Schnitt. Für seine Recherche hat er Archive auf der ganzen Welt durchforstet und mit Dutzenden Zeitzeugen gesprochen. Wie ein »Schatzsucher« habe er sich dabei zum Teil gefühlt, so der Journalist. Und auf Schätze ist er tatsächlich gestoßen: so etwa auf einen heute 90-jährigen Militärrabbiner, den er in Miami fand und der gemeinsam mit seiner Frau sehr lebhaft von der Zeit in den DP-Camps berichten konnte. Oder aber die Herrenrunde, die sich auch heute noch fast täglich in einem Café am Kurfürstendamm trifft, um ihre Erfahrungen jener Zeit auszutauschen – jene Erfahrungen, von denen heute kaum etwas bekannt ist. »Es ist wirklich so, dass außer in einigen wissenschaftlichen Publikationen diese Episode jüdischen Lebens in Berlin in völlige Vergessenheit geraten ist«, fasst Heim zusammen.
Nach dem Zweiten Weltkrieg waren die Siegermächte vom jüdischen Flüchtlingsproblem vollkommen überrascht worden – es gab kein Konzept, was mit den entwurzelten und traumatisierten Menschen ge-
schehen sollte. Erst Anfang 1946 nahmen sich die Amerikaner des Problems an und richteten die DP-Camps ein – nicht nur in Berlin, sondern auch in Westdeutschland. 1948 wurden die Berliner Camps quasi über Nacht geschlossen wurden – ein Re-
sultat der sich zuspitzenden politischen Situation aufgrund der Blockade. Heim erklärt: »Es kam sehr abrupt. Für viele war das eine große Ernüchterung, hat sie aber gleichzeitig natürlich dann ins Leben zu-
rückgestoßen.« So endete die Zwischenstation Berlin mit der Ausreise via Rosinenbomber.

Bewusstsein Für seine Dokumentation wünscht sich Heim, dass sie beim Zuschauer ein Bewusstsein für die jüdischen Flüchtlingsgeschichten schafft: für jene, die es, so Heim, »bei all den sicherlich auch tragischen Familiengeschichten, die Deutschen widerfahren sind« auch noch gegeben habe. Und er wünsche sich mehr Achtung vor Menschen, die mit sehr viel Mut, Willensstärke und auch Überlebenskunst ihr Schicksal angenommen haben und ins Leben zurückgekehrt sind: »Meinen Res-
pekt haben sie jedenfalls in all den Be-
kanntschaft die ich machen durfte, durchaus gewonnen.« Alice Lanzke

Nachrichten

Strände, Soldat, Flüge

Kurzmeldungen aus Israel

von Sabine Brandes  21.05.2025

Sachsen-Anhalt

Sachsen-Anhalt: Verfassungsschutz sieht Demokratie bedroht

Im Osten ist die AfD besonders stark. Allerdings etablieren sich auch andere rechtsextremistische Bestrebungen

von Christopher Kissmann  19.05.2025

London

Nach antisemitischem Post: Lineker hört bei BBC auf

In den sozialen Medien teilt Gary Lineker einen Beitrag zum Israel-Gaza-Konflikt mit antisemitischer Konnotation. Nun zieht der frühere Fußballstar die Konsequenz

 19.05.2025

Erinnerungskultur

Beauftragter Klein will neues Konzept für NS-Gedenkstätten

Sie erinnern an die NS-Verbrechen und lenken den Blick auf die Gegenwart: Gedenkstätten. Sie bräuchten verlässlich Gelder und gut ausgebildetes Personal, sagt der Beauftragte der Bundesregierung gegen Antisemitismus

von Leticia Witte  19.05.2025

Berlin

»Israelfeindliche Schriftzüge« an Humboldt-Universität

Laut Polizei sind Fassaden am Haupt- und an einem Seiteneingang betroffen

 19.05.2025

Berlin

Linnemann: Migrationsabstimmung mit AfD führte zu Polarisierung

Im Januar ließ die Union über einen Antrag und Gesetzentwurf zur Verschärfung der Migrationspolitik abstimmen. Sie nahm in Kauf, dass die AfD zustimmt. Die Abstimmung hätte besser nicht stattgefunden, meint der CDU-Generalsekretär jetzt

 19.05.2025

Den Haag

Zehntausende fordern härteren Israel-Kurs

Demonstranten tragen symbolisch rote Kleidung, um eine rote Linie für die niederländische Regierung zu markieren

 18.05.2025

Nahost

Militärexperte: Vorgehen in Gaza führt zu Erstarken des islamistischen Terrors

Carlo Masala warnt vor einer Erhöhung des Konfliktpotenzials in der Region

 17.05.2025

Jerusalem

»Der Papst hat Lust auf Dialog«

Abt Nikodemus Schnabel über die Wahl von Leo XIV., das jüdisch-christliche Gespräch und Hoffnung auf Frieden in Nahost

von Michael Thaidigsmann  14.05.2025