Einspruch

Stepan Bandera: Held oder Faschist?

Alexander Friedman Foto: privat

Bei den russischen Raketenangriffen auf Serhijiwka bei Odessa am 1. Juli sterben 21 Zivilisten. Wenige Tage zuvor fordert der russische Angriff auf ein Einkaufszentrum in Krementschuk ebenfalls 21 Opfer. Charkiw, Mykolajiw und weitere ukrainische Städte werden systematisch beschossen. Über diese schrecklichen Verbrechen wird in Deutschland berichtet. Dann rückt aber plötzlich ein anderes Thema in den Vordergrund, das in der deutschen Presse kontrovers diskutiert wird, in Polen und Israel Empörung hervorruft und in Russland propagandistisch ausgeschlachtet wird: Es ist Stepan Bandera.

Der Anlass für eine neue Bandera-Debatte liefert der ukrainische Botschafter in Deutschland Andrij Melnyk, der den Anführer der Organisation Ukrainischer Nationalisten in einem Interview als Freiheitskämpfer für die unabhängige Ukraine würdigt und deren längst bekannte Verstrickung in den Juden- und Polenmord in den besetzten ukrainischen Gebieten während des Zweiten Weltkrieges leugnet.  

Bandera polarisiert, sowohl in der Ukraine als auch im Ausland. In der Forschung wird er oft als »Faschist« bezeichnet. Dieser glühende Antisemit, Polen- und Russenhasser kämpfte für die Gründung eines ukrainischen Staates. Etliche ukrainische Nationalisten ließen sich auf die Zusammenarbeit mit den deutschen Besatzern ein und wirkten aktiv bei NS-Verbrechen mit. Zwischen 1942 und 1944 als »Ehrenhäftling« im KZ Sachsenhausen inhaftiert, wurde Bandera 1959 in München von einem sowjetischen Agenten umgebracht.

In der Ukraine, vor allem im westlichen Teil des Landes, wird Bandera als antisowjetischer Freiheitskämpfer verehrt. Seine ideologische Ausrichtung und die Verbrechen seiner Anhänger werden indessen entweder ausgeblendet oder schlichtweg geleugnet. In Russland wird Bandera hingegen verteufelt, wobei Verfechter einer unabhängigen Ukraine pauschal als »Bandera-Leute« verunglimpft werden. Das Feindbild Bandera flankiert den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine.

Unter diesen Umständen erscheint es nicht überraschend, dass der »undiplomatische Diplomat« Melnyk allein aus Prinzip nicht von Bandera abrücken will, obschon er mit seinen Äußerungen – wie die israelische Botschaft in Berlin in ihrer Stellungnahme zutreffend betont – nicht nur den Holocaust verharmlose, sondern auch »den mutigen Kampf des ukrainischen Volkes« untergrabe, »nach demokratischen Werten und in Frieden zu leben«. Ferner distanziert sich das ukrainische Außenministerium ausdrücklich von Melnyk. Dessen Entgleisung wird aber genutzt, eine angesichts der aktuellen dramatischen Lage in der Ukraine überflüssige und vor allem von Moskau gewollte Diskussion über Bandera zu führen.

Braucht die demokratische und freie Ukraine eine kritische Aufarbeitung des Falls Bandera, die bislang nur ansatzweise stattfindet? Unbedingt! Dafür muss sie aber zunächst den Krieg gewinnen.

Der Autor ist Historiker und lebt in Düsseldorf.

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