unsichtbare Front

Spion für Zion

von Wladimir Struminski

Dieser Tage sind Israels Medien mit Ge-
schichten aus dem Schattenreich der Ge-
heimdienste voll. Ein israelischer Spion soll das syrische Atomwaffenprogramm unterwandert haben. In den USA wiederum wurde der greise Ben-Ami Kadish festgenommen. Der amerikanische Jude soll Israel mit Geheiminformationen über amerikanische Waffen versorgt haben. So etwas lesen die Israelis immer wieder mit Faszination: Kaum ein anderes Thema interessiert die Bürger des jüdischen Staates mehr als eine spannende Story über die Kundschafter von der unsichtbaren Front. Dabei unterliegt die Berichterstattung strengen Zensurauflagen. Die einheimischen Medien dürfen grundsätzlich nur das über den Auslandsaufklärungsdienst Mossad und den Inlandssicherheitsdienst Schabak berichten, was bereits im Ausland gedruckt oder ausgestrahlt wurde. Eigene Recherchen kommen wegen der Militärzensur so gut wie nie ins Blatt. Selbst der Standort der Schnüffelzentralen gilt als offizielles Staatsgeheimnis. Dass die Namen des jeweiligen Mossad- und des Schabak-Direktors publik sind, verschafft den Bürgern keinen Einblick in die streng abgeschotteten Dienststellen. Die Internetseiten der beiden Organisationen dienen lediglich der Kontakt-
aufnahme durch potenzielle Bewerber. Und der Imagepflege. So etwa lobt Mossad-Chef Meir Dagan seinen Dienst: »Die Mossad-Mitarbeiter stellen ihre Fähigkeiten, ihre Zielstrebigkeit und ihren Mut in den Dienst des Staates Israel.« Und Kollege Juwal Dis-
kin von der Inlandsabwehr beteuert: »Die Liebe zum Volk und zum Land sowie ein ausgeprägtes Bewusstsein, in deren Diens-ten zu stehen, sind die zentralen Werte des Schabak.«
Dennoch: Das wenige, das in die Öffentlichkeit dringt, reicht aus, um den Israelis Verehrung für die Schlapphüte abzuringen. So etwa bei der Atomaffäre in Syrien. Die Informationen, die in der vergangenen Woche Schlagzeilen machten, wurden seinerzeit von der israelischen Regierung nach Washington geschickt und von der CIA dem Kongress vorgelegt. Von dort war der Weg in amerikanische Medien nicht mehr weit. Falls das zutrifft, ist die Indiskretion für den Mossad ärgerlich, legt sie doch Arbeitsmethoden und Erkenntnisstand bloß, also den geheimen Kernbestand jeglicher Aufklärung. Wegen der Brisanz der Enthüllungen sagte Verteidi-
gungsminister Ehud Barak sogar seinen geplanten Amerikabesuch ab. Für Mosche Normalverbraucher sind die pikanten Details indessen besonders spannende Lektüre. So soll Israel einen Agenten in den von Syrien im Norden des Landes gebauten Kernreaktor eingeschleust haben. Dieser hat hieb- und stichfeste Beweise für die Absicht des Damaszener Regimes geliefert, Atombomben zu bauen. Diese Erkenntnisse, so die Geschichte weiter, waren die Grundlage für die Zerstörung der Atomanlage durch die israelische Luftwaffe im September vergangenen Jahres. Ein Spionagecoup, eines John le Carré wert. Mehr als das: Der israelische Agent hat in der syrischen Anlage auch einen nordkoreanischen Atomexperten fotografiert und damit Pjöngjangs tiefe Verstrickung in die Verbreitung von Atomwaffen belegt. Das wiederum ist für die amerikanische Eindämmungspolitik von unschätzbarem Wert. Israel als Hüter der freien Welt: Wer wäre da nicht auf die Superschnüffler stolz. Nicht minder abenteuerlich las sich die ebenfalls im Ausland veröffentlichte Geschichte der Liquidierung von Hisbollahkommandeur Imad Mughnije in Damaskus. Danach haben israelische Agenten mit iranischem Pass mithilfe einer syrischen Kfz-Werkstatt den Sprengsatz, mit dem Mughnije getötet wurde, in die Kopfstütze seines Fahrersitzes eingebaut. Ob das nun stimmt oder nicht, ist für die Mythenbildung zweitrangig.
Offener liegen die Erfolge zutage, die der Schabak bei der Terrorismusabwehr erzielt. Trotz des noch immer nicht fertig gebauten Grenzzauns zum Westjordanland vereitelt der Dienst nahezu lückenlos das Eindringen von Terroristen aus den Autonomiegebieten ins Kernland. In Gasa wiederum steht hinter jeder der zahlreichen Liquidierungen von Terrordrahtziehern durch die Armee die erfolgreiche Arbeit des Schin Bet. Es gilt nicht nur, die Namen und Funktionen der Zielpersonen zu ermitteln, sondern auch deren Aufenthaltsort und Bewegungen aufzudecken. Wie das bei der strengen Abschottung, die die Hamas und andere Terrororganisa-
tionen walten lassen, möglich ist, bleibt ein Betriebsgeheimnis der Abwehrleute.
Die moralische Berechtigung der Geheimdienstarbeit wird von jüdischen Is-
raelis nicht in Zweifel gezogen. Dass Spionage in Ländern, die den Judenstaat vernichten wollen, ein Gebot des Überlebens ist, versteht sich von selbst. Allerdings lö-
sen auch die gezielten Liquidierungen nur wenig Widerspruch aus, solange keine un-
schuldigen Zivilisten mit betroffen sind. Israels Oberstes Gericht, in der Regel ge-
genüber der Exekutive äußerst kritisch, sieht in der Terroristentötung ebenfalls keinen Makel. In einem vor anderthalb Jahren gefällten Grundsatzurteil weigerte sich das Richtergremium unter dem Vorsitz seines damaligen Präsidenten, Aharon Barak, die Liquidierungen für illegal zu erklären. Terroristen, so Barak in einem völkerrechtlich bahnbrechenden Beschluss, seien zwar Zi-
vilisten und keine Kombattanten im Sinne des Völkerrechts. Allerdings, fügte der hoch angesehene Jurist hinzu: »Zivilisten, die an Feindseligkeiten direkt teilnehmen, genießen keinen Schutz vor Angriffen.«
Vor allem der Schabak hat auch Kritiker – aber nicht allzu viele. Das »Öffentliche Komitee gegen die Folter in Israel« wirft dem Dienst vor, bei seinen Vernehmungen die Grenze zwischen erlaubten Verhörmethoden und illegalen Folterungen systematisch zu überschreiten. Ob solche Vorwürfe stimmen, ist umstritten. »Der Schabak bemüht sich, die Menschlichkeit des Staates Israel und unsere Menschlichkeit als Gesellschaft sicherzustellen«, erklärt der Vorsitzende des Rechtsausschusses der Knesset, Menachem Ben-Sasson (Kadima). Die meisten Bürger re-
gen sich über solche Berichte ohnehin nicht auf. In dem Kampf ums Überleben, so die vorherrschende Meinung, darf man nicht allzu zimperlich sein.

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